Langer Weg zum Bleiberecht:14 000 Kilometer fliegen, um bleiben zu können

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Der Weg zum Bleiberecht ist steinig und sehr, sehr lang. Im Falle von Alieu S. bis nach Westafrika und zurück. Da lohnt es sich, den Flieger zu nehmen. (Foto: privat)

Das Landratsamt bewilligt die freie Ausreise von Alieu S. - eine Abschiebung kann der gebürtige Sierra-Leoner so umgehen. Mit einem Ausbildungsvisum soll der 32-Jährige, der seit sieben Jahren im Landkreis Dachau lebt, schon bald wieder nach Deutschland einreisen können.

Von Jacqueline Lang, Petershausen

An diesem Mittwoch geht sein Abschiebeflieger. Alieu S. wird allerdings nicht darin sitzen. Stattdessen wird der 32-Jährige einen Tag später als freier Mann in das Flugzeug steigen, das ihn zurückbringt in das Land, das einmal seine Heimat war: Sierra Leone. Und wenn der Plan aufgeht, wird Alieu S., der sieben Jahre lang im Landkreis Dachau gelebt hat, nicht allzu lange ausharren müssen: In München wartet bereits eine neue Lehrstelle auf ihn. Und vielleicht, ja vielleicht, könnte die Geschichte von Alieu S. dann doch noch ein Happy End bekommen - und Beleg dafür sein, was möglich ist, wenn Ehrenamtliche und Behörden gemeinsam an einem Strang ziehen.

Auch wenn man es dem 32-Jährigen am Telefon zwei Tage vor dem Abflug nicht anhört, wenn er lebhaft erzählt und lacht: Das Leben von Alieu S. ist gezeichnet von Schicksalsschlägen, von Gewalt und Verlust. In Sierra Leone wird er mit gerade einmal sieben, acht Jahren als Kindersoldat rekrutiert, er verliert im Krieg nahezu seine gesamte Familie. 2007 tritt er schließlich seine Flucht an, sein langer, beschwerlicher Weg führt ihn über den Senegal, Mali, Marokko, Algerien, Mauretanien. 2013 kommt er in Europa an. In Spanien schlägt er sich zunächst als landwirtschaftliche Hilfskraft durch, 2015 reist er weiter nach Deutschland.

Fast zwei Monate sitzt Alieu S. in Abschiebehaft

Doch auch als er in Bayern ankommt, läuft nicht alles nach Plan: Zwar beginnt er 2016 eine Ausbildung im Autohaus Rapp in Karlsfeld zum Karosserie- und Fahrzeugbaumechaniker, 2021 beendet er die Lehre allerdings ohne Abschluss. Er schafft die Prüfung nicht. Sein Deutsch ist zu schlecht, das Lernen fällt ihm schwer in seiner Unterkunft. Immer macht irgendjemand Lärm, immer wird irgendwo gestritten. Ohne Ausbildung verliert Alieu S., der erst in Karlsfeld und später in Petershausen lebt, auch seinen Aufenthaltstitel. Ende Juli kommt es, wie es kommen muss. Bei einer Personenkontrolle wird er festgenommen und kommt in Abschiebehaft. Erst seit vergangenem Donnerstag ist er wieder auf freiem Fuß.

Die beiden großen Leidenschaften von Alieu S. sind Musik und Fußball. (Foto: privat)

Zu verdanken hat Alieu S. seine Freiheit vor allem Agnes Fuchsloch, die im Bellevue di Monaco in München als Integrationslotsin tätig ist und den 32-Jährigen eher zufällig dort kennenlernte. Als sie erfährt, dass Alieu S. in Haft genommen wurde, setzt sie sofort alle Hebel in Bewegung, um ihn aus dem Gefängnis zu holen. Eine entsprechende Petition hat jedoch keinen Erfolg.

Den Helfenden bleibt zu diesem Zeitpunkt nur noch eine Möglichkeit, so Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat: Sie müssen erwirken, dass Alieu S. nicht abgeschoben wird, sondern freiwillig ausreisen darf. Nach mehreren Gesprächen stimmt Landrat Stefan Löwl (CSU) schließlich zu - unter der Bedingung, dass ein Ausbildungsvertrag, eine Ausreiseeinwilligung und ein Flugticket vorliegen.

Fragt man Löwl, ob seine Entscheidung Alieu S. eine Abschiebung zu ersparen, etwas mit der massiven Kritik an seiner Person und der ihm unterstellten Ausländerbehörde nach der Abschiebung der Karlsfelder Familie Esiovwa Mitte Juli zu tun haben könnte, verneint er dies. "Der Fokus liegt immer auf der freiwilligen Ausreise", so Löwl. Das einzige Problem im Fall Alieu S. sei gewesen, dass man das Angebot der freiwilligen Ausreise normalerweise unterbreite, solange eine Person noch geduldet sei.

Schon am 1. Oktober könnte der 32-Jährige seine neue Ausbildung beginnen

Weil die Duldung in diesem Fall bereits ausgelaufen sei, habe man die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise von Alieu S. an mehr Bedingungen als üblich geknüpft. Unter anderem auch an die Zusicherung der Helferinnen und Helfer, dem Mann aus Sierra Leone nach der Wiedereinreise weiter unter die Arme zu greifen - damit es dieses Mal klappt mit der Ausbildung zum Hotelfachmann im Mercure Hotel München, beginnen soll die schon am 1. Oktober.

Bevor Alieu S. einen Neubeginn wagen kann, muss er allerdings erst einmal das Land verlassen. Dieses Prozedere, Menschen erst aus- und dann wieder einreisen zu lassen, ist in den Augen von Stephan Dünnwald nichts als "Schikane", die Zeit und Nerven kostet und auch enorm viel Geld. Rein rechtlich sei der Vorgang freilich nicht zu beanstanden. Gleichzeitig ist er froh, dass Landrat Löwl in diesem Fall, trotz der schwierigen Ausgangslage, dazu bereit gewesen sei, dem Sierra-Leoner die freiwillige Ausreise zu ermöglichen. "Das hat er gut gemacht", sagt Dünnwald. Auf ein derart kooperatives Verhalten hoffe er nun auch in zukünftigen Fällen, er werde daher versuchen, mit dem Landrat im Gespräch zu bleiben.

Mit der Erlaubnis zur Wiedereinreise, die Löwl zusammen mit Alieu S.' Pass am Münchner Flughafen hinterlegt hat, steht einer Rückkehr nach Deutschland theoretisch nichts mehr im Weg. Praktisch wissen aber alle Beteiligten, dass es noch ein paar Hürden zu nehmen gilt: Zunächst einmal muss sichergestellt werden, dass Alieu S. beim Hinflug und seiner Zwischenlandung in Paris nicht sofort wieder in den Flieger zurück nach Deutschland gesetzt wird, weil er kein Visum für den Schengen-Raum hat. Dann muss der 32-Jährige irgendwie von Sierra Leone nach Ghana kommen, dort befindet sich das nächstgelegene deutsche Konsulat, das ihm das nötige Ausbildungsvisum ausstellen kann. Und nicht zuletzt müssen alle darauf hoffen, dass genug Spendengelder zusammenkommen, um für all die bereits entstandenen und die noch ausstehenden Kosten aufzukommen.

Alieu S. sagt, dass der bevorstehende Flug ihn traurig mache: Bis auf eine Tante, die in Gambia lebt, habe er in Afrika keine Familie mehr. Seine einzige verbliebene Schwester, bei der er bis zu seiner Ausreise untergekommen sei, lebt ebenfalls in München. Gleichwohl blickt Alieu S. hoffnungsvoll in die Zukunft: "Inşallah", sagt er. So Gott wolle, werde alles gut gehen, er schon bald wieder als DJ auflegen und mit seinen Freunden Fußball spielen. Vielleicht klappt es ja sogar mit einer eigenen kleinen Wohnung. Nach Petershausen, in die Geflüchtetenunterkunft, will Alieu S. jedenfalls nie mehr zurück.

Wer für Alieu S. spenden möchte, kann dies unter folgendem Link tun: www.betterplace.org/de/projects/112281 .

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