Süddeutsche Zeitung

Landkreis Dachau:Ein Leben in Ed: 21 Einwohner, 21 Milchkühe

Keine Geschäfte, keine Wirtschaft und keine Kirche: Bis auf sieben Höfe gibt es nichts in Ed. Nicht umsonst leitet sich der Ortsname von öd ab. Doch auch eine Einöde hat Probleme.

Von Tobias Roeske, Hilgertshausen-Tandern

Hupende Autos, schreiende Kinder, Leuchtreklametafeln vor Bars und Geschäften, Nachbarn, die aneinander vorbei gehen, ohne sich zu grüßen. All das kennt jeder Stadtbewohner. Doch die Einwohner von Ed, einem kleinen Weiler, der zur Gemeinde Hilgertshausen-Tandern gehört, kennen diese Probleme nicht. In Ed ist es ruhig. Hier fahren keine Autos. In Ed spielen auch keine Kinder auf der Straße. Es gibt auch keine Geschäfte, keine Wirtschaft und keine Kirche. Bis auf sieben Höfe gibt es nichts in Ed.

Nicht umsonst leitet sich der kürzeste Ortsname im Landkreis Dachau von öd in dem Wort Einöde ab. Doch auch eine Einöde hat Probleme: Die Landwirtschaft stirbt aus. Die Hallen stehen leer. Die jüngeren Anwohner verlassen den Weiler. Bis auf eine Landwirtin, haben sich alle anderen beruflich umorientiert oder sind in Rente. Dennoch: Die Menschen in Ed sind glücklich in ihrer Heimat und sind froh, dass sie dort ungestört leben können.

"Hier kannst du tun und lassen, was du willst", sagt Marlene Wagner, während sie sich um die Kälber ihrer Milchkühe kümmert. Die 41-Jährige Landwirtin wohnt seit ihrer Geburt in Ed und hat 21 Milchkühe - genauso viele Einwohner zählt Ed. Wagner betreibt den einzigen, noch übrig gebliebenen landwirtschaftlichen Hof. Die übrigen sechs sind aus der Landwirtschaft ausgestiegen. Für Wagner ist das nicht sonderlich verwunderlich: "Die Landwirtschaft wirft einfach nicht mehr genug Geld ab. Wenn mein Mann nicht in der Gemeinde in Hilgertshausen arbeiten würde, könnte ich unsere Familie nicht ernähren."

Die Probleme der bayerischen Landwirtschaft haben auch vor Ed keinen Halt gemacht. Die Preise für Milch und Fleisch sind niedrig, der Konkurrenzdruck hoch. "Meine Kühe liefern zwischen 300 und 350 Liter Milch am Tag. Damit gehöre ich zu den kleinen Milchbetrieben", erklärt Wagner. Doch mehr Milch zu produzieren, bedeutet auch mehr Geld in den Betrieb zu investieren. "Das Risiko und der Arbeitsaufwand ist einfach zu hoch. Gerade weil es in den Sternen steht, ob meine Kinder den Hof irgendwann übernehmen." Damit spricht die Mutter von zwei Kindern ein weiteres Problem an: Viele landwirtschaftliche Betriebe sind seit Jahrzehnten in Familienhand und werden von der einen Generation an die nächste übergeben. Doch häufig hat der Nachwuchs andere Pläne.

So erging es auch Josef Ostermair, der die Schweinezucht von seinem Vater übernommen hatte. "Früher war das ganz einfach. Ein Sohn musste den Betrieb weiter führen. Ob er wollte, oder nicht", sagt der 64-jährige ehemalige Landwirt aus Ed. Doch seine Kinder wollten den Betrieb nicht übernehmen. "Mir blieb also nichts anderes übrig, als meine Zucht aufzugeben." 20 Jahre ist das nun her. Ostermair arbeitet inzwischen, wie auch der Ehemann von Marlene Wagner, für die Gemeinde in Hilgertshausen. Den anderen Betrieben in Ed erging es ähnlich. Die ehemaligen landwirtschaftlichen Hallen stehen leer und wären sanierungsbedürftig. Doch warum sanieren, wenn sie doch niemand benutzt? So wirkt der Weiler beinahe ein wenig verlassen. Obwohl ihn drei Täler, zwei Bäche und die Ilm umgeben und er einen wunderschönen Blick auf Hilgertshausen und das Dachauer Hinterland bietet.

"Die jungen Leute ziehen alle weg"

Der in Ed geborene Ostermair wirkt bedrückt, als er am Rande seines Hofes steht und über die Wiesen und Felder blickt. Er sagt: "Die jungen Leute ziehen alle weg. Es bleibt ihnen ja auch keine andere Möglichkeit, selbst wenn sie hier bleiben wollten." Laut dem ehemaligen Landwirt, hätten viele Nachkommen der Familien vorgehabt, in Ed Häuser zu bauen und weiterhin dort zu leben. Das sei aber nicht so einfach. "Auch wenn die ganzen Hallen leer stehen, darf man sie nicht einfach in ein Wohnhaus umwandeln", erklärt Ostermair. Zuerst müsse man bei der Gemeinde und beim Landratsamt eine Nutzungsänderung beantragen. "Das Landratsamt genehmigt diese aber nicht und verweist immer auf das Bundesbaugesetz", meint Ostermair. Der Weiler Ed gehöre zum Außenbereich und dort dürfe nicht jeder das bauen, was er wolle. "Das Gesetz soll eigentlich den bäuerlichen Charakter der kleinen Weiler und Siedlungen erhalten", sagt er weiter. Es soll verhindern, dass in Weilern Wohnsiedlungen entstehen oder Gewerbegebiete das ländliche Leben beeinträchtigen.

Einaid, Oed, Ed

Der Weiler Ed taucht in den Geschichtsbüchern zum ersten Mal im Jahr 1741 auf. Damals schrieb man es noch Einaid, einer alten Schreibweise für Einöde. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war es unter dem Namen Oed bekannt. Um sich von den anderen Oeds in Bayern abzugrenzen, wurde der Name dann in Ed abgeändert. Bis zum Zweiten Weltkrieg existierten vier Höfe in dem Weiler. In den Fünfzigerjahren wurde Ed um einen Fünften erweitert. Mittlerweile gibt es sieben Hausnummern, an denen insgesamt 21 Menschen wohnen. Ed gehörte genau wie die damals eigenständigen Gemeinden Hilgertshausen und Tandern zu dem schwäbischen Landkreis Aichach-Friedberg und wurde erst 1972 dem Landkreis Dachau zugesprochen. Erst nach der Gemeindegebietsreform im Mai 1978 entstand die Gemeinde Hilgertshausen-Tandern, zu der Ed bis heute gehört. Um den Weiler Ed zu besuchen, kann man entweder das Auto, das Fahrrad oder den Bus nehmen. Auch wenn es in Ed weder Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, Apotheken, eine Kirche oder ein Gasthaus gibt, so ist Ed dennoch im Einzugsgebiet des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds MVV, und hat eine eigene Bushaltestelle. Von der kann man mehrmals täglich nach Altomünster, Petershausen und sogar nach München-Allach fahren. troe

Im Grunde genommen findet Ostermair das Gesetz in Ordnung. Es verhindere aber auch, dass die Einwohner zusätzliche Wohnhäuser für ihre Angehörigen auf die Grundstücke bauen oder die ehemaligen Hallen anderweitig nutzen könnten. "Meine beiden Schwestern haben 25 Jahre lang dafür gekämpft, ein Wohnhaus auf das Grundstück meines Vaters zu stellen", sagt der ehemalige Landwirt. Ohne Erfolg. Die Schwestern haben inzwischen aufgegeben. "Wie sollen wir denn so die Leute in Ed halten?", fragt Ostermair. Marlene Wagner sagt dazu: "Uns Landwirten bleibt doch nichts anderes übrig, als im Außenbereich zu bauen. Die Leute regen sich auf, dass sie hier nichts anderes bauen dürfen, aber wo sollen wir denn sonst hin?" Im Dorfgebiet sei es schwierig Nutzungsflächen zu bekommen. Es gebe zu viele Auflagen, die man einhalten müsse.

"Ach, das Thema mit dem Bauen in Ed ist so schwierig. Das hat vor ein paar Jahren einen regelrechten Krieg entfacht", sagt Berti Weigl, während sie Kaffee und Kuchen auf den Küchentisch stellt. Die freundliche alte Dame ist 1971 nach Ed gezogen und erzählt, was im Jahr 2008 geschehen ist: "Thomas Köchl hat es geschafft, eine Nutzungsänderung für seinen Hof zu bekommen und hat ihn in eine Zimmerei umgewandelt." Anschließend wollte er eine Halle erweitern, sagt sie weiter, doch dagegen hätten sich die anderen Einwohner stark gewehrt. Köchl konnte sein Vorhaben jedoch durchsetzen und plant derzeit einen weiteren Anbau. Berti Weigl ist das Thema unangenehm: "Wir reden in Ed nicht gerne über diesen Vorfall. Das hat zu so viel Streit geführt."

Dennoch versteht sie beide Parteien: "Auch wenn es vielen nicht gefällt, die Hallen in gewerbliche Betriebe umzuwandeln, ist wahrscheinlich der einzige Weg, wie wir verhindern können, dass noch mehr Leute wegziehen und Ed irgendwann ausstirbt."

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Quelle:
SZ vom 27.08.2016/gsl
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