Das Jahr hat ermutigend begonnen. Viertausend Menschen, selten waren es so viele, demonstrierten am 28. Januar am Ernst-Reuter-Platz in Dachau gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie. Ein breites Bündnis der Zivilgesellschaft quer durch die lokale Vereins- und Parteienlandschaft hatte dazu aufgerufen. So viele Teilnehmer hatten selbst die Initiatoren nicht erwartet. Auch in der Marktgemeinde Indersdorf gingen zweimal mehr als tausend Menschen gegen Rechtsextremismus und AfD auf die Straße. Mit diesem „positiven Wind“ im Rücken starteten Manuel Liebig und sein Team, wie er sagt, ins neue Jahr. Liebig leitet beim Kreisjugendring (KJR) Dachau die Fachstelle „Partnerschaft für Demokratie“.
Die Fachstelle organisiert mit dem „Demokratiemobil“ des KJR Workshops zur Demokratiebildung an vielen Schulen im Landkreis. Liebig und sein Team halten einen Jugendkreistag für Schülersprecher und andere interessierte Jugendliche ab; sie organisieren zusammen mit dem Max Mannheimer Studienzentrum auch Fortbildungskurse für angehende Lehrer und pädagogische Fachkräfte und fördern einzelne Projekte von Vereinen und Jugendlichen – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Immer geht es darum, junge Menschen gegen Hass, Verschwörungserzählungen, Fake News und Hetze gegen Minderheiten im Netz zu wappnen – die Nachfrage von Leitungen aller Schularten hat in diesem Jahr, wie Liebig sagt, stark zugenommen.

Gaza-Krieg:"Unter Israelis hat sich herumgesprochen, dass hier jemand ist, der hilft"
Auf kommunaler Ebene gibt es kaum Antisemitismusbeauftragte. Der Landkreis Dachau hat einen: Michael Holland. Er will über Judenhass und den Nahostkonflikt aufklären - und er erzählt, warum Menschen aus Israel ausgerechnet nach Dachau auswandern wollen.
Die Großdemo in Dachau, freut sich Liebig, sei von vielen jungen Menschen mitgestaltet, letztlich von einigen sogar initiiert worden. Man hätte meinen mögen, Dachau und der Landkreis stünden wie eine Wand gegen die zunehmenden Angriffe auf die Demokratie. Ein gutes Gefühl. Vor allem deshalb, weil in Dachau – wie in ganz Deutschland – ein paar Monate zuvor noch Mahnwachen gegen Antisemitismus nur eine geringe Zahl an Menschen angesprochen hatten.
Nur etwa 150 Menschen kamen zu einer Kundgebung am 12. November 2023, die der Förderverein für Internationale Jugendbegegnung am Schrannenplatz in der Altstadt initiiert hatte. Die Veranstalter wollten ein Zeichen der Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland setzen. Seit dem 7. Oktober, dem Tag des antisemitischen Terrorangriffs der islamistischen Hamas auf Zivilisten in Kibbuzim und Besuchern eines Festivals in Südisrael, war die ohnehin hohe Zahl der judenfeindlichen Übergriffe in Deutschland sprunghaft angestiegen – und es ging das ganze Jahr über weiter so, auch in Bayern.
Göttler wird nicht müde, auf den „bürgerlichen Antisemitismus“ hinzuweisen
Proteste gegen Rechtsextremismus auf der einen Seite und Schweigen zu dem Leid der Opfer des Hamas-Pogroms auf der anderen Seite und der unerträglichen Situation der Juden hierzulande – diese Diskrepanz zog sich das ganze Jahr hindurch. Landrat Stefan Löwl (CSU) kritisierte das wiederholt. Die Dachauer Kulturszene, ein großer Teil der Kommunalpolitik, auch seiner Partei, und der Bevölkerung reagierten so gut wie nicht. Der Schriftsteller Norbert Göttler, früherer Kreis- und bis Ende 2023 Bezirksheimatpfleger, denkt mit Bangen an die Zukunft der Demokratie. Antisemitismus zielt auf das Herz der Demokratie, die von den Verfassungsvätern historisch gesehen gegen den Nationalsozialismus und als Bollwerk gegen Judenhass etabliert worden ist.
Mehr als Göttler eigentlich im Ruhestand wollte, ist er im Landkreis unterwegs, um etwa für das Dachauer Forum Vorträge über die Gefahren für die Demokratie zu halten. Die Bedrohung durch den Rechtsextremismus erkennen die Menschen, zumindest ein Teil. Aber der Antisemitismus: Göttler wird nicht müde, auf den „bürgerlichen Antisemitismus“ hinzuweisen, neben dem rechts- und linksextremen und den aus Teilen der muslimischen Community. Er plädiert dafür, die Bürgermeister der 17 Gemeinden im Landkreis ins Boot zu holen.
Hitzige Debatte über antisemitische Judasfeuer
Sie müssten als Partner im Kampf gegen Antisemitismus gewonnen werden – allerdings haben sie in der Debatte über die vielen antisemitischen Judasfeuer zu Ostern ihren Unwillen schon deutlich gezeigt. Kreisheimatpflegerin Birgitta Unger-Richter und Michael Holland, Antisemitismusbeauftragter des Landkreises, wollten über den judenfeindlichen Ursprung dieses Brauchs aufklären, der vor allem von den Burschenvereinen gepflegt wird. Im Landkreis brennen auch Puppen, die „Judas“ – also den Juden – symbolisieren. Viele Bürgermeister und Burschenvereine beriefen sich aber auf „die Tradition“ – die Feuer brannten wieder.
Göttler will mehr Aufklärung in den Landgemeinden. Es gibt positive Beispiele, die Petersberger Gespräche etwa, wo Vertreter von Schützenvereinen, vom Bauernverband, von Soldaten- und Veteranenvereinen oder Burschenvereinen über Rechtspopulismus und Demokratie diskutieren. Auch das Kulturprogramm Erdweg, das Hoftheater in Bergkirchen oder Kult A 8 sind mit einzelnen Veranstaltungen zu nennen. Göttler vermisst jedoch bei den Akademien und Stiftungen der politischen Parteien entsprechendes Engagement.
Für die Partnerschaft Demokratie hat das Zittern ein Ende. Haushaltsquerelen, Bruch der Ampelkoalition und klamme Kassen in den Kommunen – doch die Zukunft der Arbeit ist gesichert, die hauptsächlich aus dem Bundesprogramm „Demokratie leben!“ finanziert wird. Am 15. November hat der Kreistag einstimmig die Fortführung der Partnerschaft für Demokratie von 2025 bis 2032 beschlossen. Der Landkreis zahlt jährlich 16 000 Euro zu den Bundesmitteln von 140 000 Euro.
Besinnung auf das Wichtige
Vizelandrätin Marese Hoffmann (Grüne) erinnerte daran, was auch in der Kommunalpolitik wichtig ist. In ihrer Weihnachtsansprache in der letzten Kreistagssitzung des Jahres forderte sie, dass der Landkreis, weiter Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen müsse, dass auch Syrer, jetzt nach dem Sturz des Assad-Regimes, nicht wegen der instabilen Lage im Land abgeschoben werden dürften. Das nahmen die Bürgermeister gerade noch so hin. Aber als Hoffmann die unerträgliche Lebenssituation von Jüdinnen und Juden in Deutschland und Bayern, die in großer Unsicherheit vor täglichen Angriffen lebten, beschrieb, wurde es eher ungemütlich.
Es genüge nicht, sagte die Grünen-Fraktionssprecherin, einen Antisemitismusbeauftragten zu bestellen und dann Judasfeuer abzubrennen. Da ging ein Raunen durch die Reihe der Bürgermeister. Am liebsten wohl hätten sie ausgerufen, nicht schon wieder dieses Thema. Aber sie blieben stumm.