KZ-Gedenkstätte Dachau:Tränen, Hoffnung, Freundschaft

Juden musizieren erstmals in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Dem Jerusalem Chor und dem Vokal Ensemble München gelingt mehr als nur ein Konzert.

Helmut Zeller

Ganz nahe liegen an diesem Abend in Dachau Freude und Trauer beieinander. Nach dem Konzert umarmen sich die jungen Musiker des Jerusalem Chors im Gesprächsraum der evangelischen Versöhnungskirche und halten sich aneinander fest. Sie schweigen. "Das war für uns sehr schwer", sagt dann Elay Aviv über den Auftritt an der KZ-Gedenkstätte.

KZ-Gedenkstätte Dachau: Erstmals traten in Dachau israelische Musiker auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers auf.

Erstmals traten in Dachau israelische Musiker auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers auf.

(Foto: Toni Heigl)

Es ist dem 27-Jährigen auch noch nie passiert, dass er mitten im Singen weinen musste. Aber als er sah, wie bewegt die Zuhörer waren, konnte Elay Aviv die Tränen nicht mehr zurückhalten. Im Innenhof und in der Kirche stehen die 250 Besucher noch und wollen nicht fortgehen. Von der überwältigenden Gesangskunst dieses Chores hätten sie gerne noch mehr gehört. Aber jeder fühlt, dass an diesem Abend darüberhinaus Besonderes geschehen ist.

Als "kleine Sensation" war er auch angekündigt worden. Erstmals traten israelische Musiker auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers auf. Was das für die Studenten der Musikhochschule Jerusalem bedeutete, hatte Ran Yaakoby, Kultur-Attaché an der israelischen Botschaft in Berlin, dem Publikum zu erklären versucht.

"Der Staat Israel wurde auf der Asche und in der Erinnerung an die Menschen errichtet, die auch hier, auf diesem Boden, ermordet wurden." So erhielten die 32 Künstler und ihr Chorleiter Stanley Sperber schon bei ihrem Einzug in die Kirche tosenden Beifall. "Das hat so was Versöhnliches", sagte Dagmar Anders aus Karlsfeld, bevor noch Sperber von einem "Zeichnen der Versöhnung" und einer "Heilung" zwischen Deutschen und Juden sprach.

Zumindest an diesem Abend gelang das Stanley Sperber, dem herzlichen aber in musikalischen Fragen strengen und kompromisslosen Chorleiter. Der 69-jährige Musiker aus New York leitete den Chor schon von 1972 bis 1985 und seit 2000, nach einem Engagement in Haifa, wieder. Die hochtalentierten Studenten, die alle eine Solokarriere anstreben, sind in Israel mit allen namhaften Orchestern aufgetreten und begeisterten 2008 bei einer Tournee durch die USA die Zuhörer in Boston, Philadelphia und New York.

Zusammen mit ihren Gastgebern, dem Vokal Ensemble München unter Leitung von Martin Zöbeley, hatte der Chor am Vorabend in der Münchner Markus-Kirche ein bewegendes Konzert gegeben.

In Dachau aber werden die beiden Ensembles gefeiert. Mit Leidenschaft, Präzision und Professionalität überlässt sich der Jerusalem Chor ernsten wie beschwingten hebräischen Liedern, und Stanley Sperber vereinigt die Stimmen zu einer einzigen aufwühlenden Stimme von Leid und Freude, die weit über das Gelände der KZ-Gedenkstätte trägt.

"Da ist was zusammengewachsen."

Dachaus Kulturamtsleiter Tobias Schneider hat sich auf die Treppe gesetzt, die hinab zu dem in den Boden geduckten Bauwerk der Versöhnungskirche führt. Hier lässt sich Gesang noch besser genießen. Gewitterwolken ziehen heran. Aber der Regen, der bald darauf fällt, vertreibt kaum einen der Besucher, die im Innenhof der Musik lauschen. Die düstere Kulisse der Gedenkstätte im Rücken macht deutlich, dass es doch um viel mehr geht als um ein Konzert.

Von einer "großen Ehre für Dachau" hatte Bürgermeister Claus Weber (FW) zu Beginn gesprochen. Der Name der Stadt sei gerade in Israel ein "Synonym für den Holocaust". Diesen Auftritt versteht die Stadt als einen weiteren Schritt zur Annäherung. Dafür tritt auch der Auschwitz-Überlebende Max Mannheimer, Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees und Dachauer Ehrenbürger, ein. Deshalb ist er heute gekommen.

Die Stadt hat inzwischen Kontakte, aber die Suche nach einer israelischen Partnerstadt blieb ohne Erfolg. Die Teilnahme der Dachauer Band Lupin an der Jubiläumsfeier der Aktion Sühnezeichen im März in Jerusalem wäre beinahe gescheitert. Überlebende hatten nicht vergessen, welche Rolle Musik im KZ Dachau hatte. Sie wurde von der SS zur Demütigung der Häftlinge eingesetzt, diente als Geräuschkulisse bei Folterungen und Erschießungen.

Auch dagegen erhebt der Chor seine Stimme, vielleicht am eindrucksvollsten mit dem Lied "Halicha L 'Kesaria", einem vertonten Gedicht von Chana Szenes, der 21-jährigen jüdischen Widerstandskämpferin, die 1944 ungarische Juden vor der Deportation retten wollte und von den Nazis ermordet wurde. Das Publikum versteht dieses Zeichen jüdischen Selbstbewusstseins.

Überglücklicher ruft Stanley Sperber am Ende in das Publikum: "Kommen Sie nach Jerusalem." Und das ist keine Floskel. Klaus Spiegel, Pater an der KZ-Gedenkstätte, bringt es auf den Punkt: "Da ist was zusammengewachsen, was Worte, Philosophien, Theologien oder Gedenktage nicht auszudrücken vermögen."

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