KZ-Friedhof Leitenberg:Verhärtete Fronten

KZ-Friedhof Leitenberg: Die Diskussion um die Instandsetzung des Leitenbergs geht weiter.

Die Diskussion um die Instandsetzung des Leitenbergs geht weiter.

(Foto: Toni Heigl)

Die bayerische Gedenkstättenstiftung antwortet auf einen offenen Brief der Dachauer Grünen, die sofortige Maßnahmen zur Erhaltung baulicher Relikte des ehemaligen Konzentrationslagers und eine Neuausrichtung der Erinnerungspolitik gefordert haben. Stiftungsdirektor Karl Freller (CSU) lässt die Grünen abprallen. Sie stellten die Dinge falsch dar und sollten sich doch besser an ihre Kulturstaatsministerin Claudia Roth wenden, damit der Bund mehr Geld gebe.

Von Helmut Zeller, Dachau

Es hätte der Neubeginn einer gemeinsamen Erinnerungsarbeit sein können, doch jetzt sind die Fronten noch mehr verhärtet, als sie es schon waren. Die Beziehungen zwischen Dachau und der Stiftung Bayerische Gedenkstätten sind lange schon angespannt: Da ist der jahrelange Streit um den "Kräutergarten", der ehemaligen SS-Plantage, der zusehends verfällt; oder der KZ-Friedhof auf dem Leitenberg mit den sterblichen Überresten von mehr als 7000 Opfern des Konzentrationslagers Dachau. Seit den 1980er-Jahren warnen Experten davor, dass der kleine Berg im Stadtteil Etzenhausen abrutscht.

An Weihnachten war es dann so weit - ein Erdrutsch. Für die Grünen in Stadt und Landkreis Dachau war damit die Grenze überschritten. Sie forderten von der Gedenkstättenstiftung unter dem Vorsitz des Kultusministers Michael Piazolo (Freie Wähler) sofortige Maßnahmen zur Erhaltung des Friedhofs, auch anderer gefährdeter baulicher Relikte des ehemaligen Konzentrationslagers und darüber hinaus eine Neuausrichtung der Gedenkstättenarbeit im Freistaat Bayern. Jetzt liegt die Antwort vor. Sie hat "offen gesagt, genau das bestätigt, was wir schon seit Langem monieren", meint der Dachauer Grünen-Vorsitzende Martin Modlinger. Stiftungsdirektor und Vizelandtagspräsident Karl Freller (CSU) wies alle Kritik zurück und forderte die Grünen auf, sich doch über ihre Kulturstaatsministerin Claudia Roth "für eine deutliche Erhöhung der Fördermittel des Bundes" einzusetzen. Ein Gespräch mit Roth wollen ihre Dachauer Parteifreunde auch bald suchen. Marese Hoffmann, Sprecherin der Grünen-Kreistagsfraktion, sagt: Wenn die bayerische Staatsregierung ihre Verpflichtung zur Erhaltung der Gedenkorte weiter so missachtet, dann wenden wir uns an die Ampelregierung in Berlin.

Stiftungsdirektor Freller kritisiert die Grünen

Der Stiftungsdirektor spart seinerseits nicht mit Kritik an den Grünen: "Ich bedauere, dass Sie diesen Weg gewählt haben, anstatt zunächst ein Gespräch mit der Leiterin der Gedenkstätte, Frau Dr. Gabriele Hammermann, oder mir zu suchen. Hierfür stehen wir beide jederzeit gerne bereit, und es wäre unserem gemeinsamen Anliegen - der zeitgemäßen Fortentwicklung der Erinnerungsarbeit und dem Erhalt der Gedenkstätte - sicher dienlicher als die Platzierung von doch einseitigen, teils unvollständigen und teils unrichtigen Darstellungen in der Öffentlichkeit." Er, so Modlinger, sehe keinen einzigen Punkt der Grünen-Kritik, der unrichtig sei.

Auch habe man natürlich in der Vergangenheit Gespräche mit der Gedenkstättenleiterin geführt, aber es gehe ja gerade darum, dass der Freistaat seit Jahren notwendige Maßnahmen zur Erhaltung und zum Ausbau der KZ-Gedenkstätte nicht oder nur zögerlich umsetze. Auch diesmal: "Die Verantwortung wird weggeschoben." Den offenen Brief unterschrieben haben unter anderem auch die Dritte Bürgermeisterin, Luise Krispenz, der Zeitgeschichtsreferent des Stadtrats, Richard Seidl, und die Fraktionssprecherin Marese Hoffmann im Kreistag.

Von einer Gefährdung des Gedenkortes auf der Leiten könne, so Freller, keine Rede sein. Der Erdrutsch habe sich 100 bis 150 Meter vom KZ-Friedhof entfernt ereignet und keinerlei Einfluss gehabt. Als Sofortmaßnahme seien an der Abbruchkante Bäume gefällt worden. "Die Situation an der Hangkante wird von der KZ-Gedenkstätte und vom Staatlichen Bauamt Freising laufend überwacht, um eine Gefährdung des KZ-Friedhofs auszuschließen. Die Zugänglichkeit des Friedhofs ist über einen gut gepflegten, allerdings nicht barrierefreien Weg jederzeit sichergestellt." Weiter heißt es: "Für Erhalt und Pflege des KZ-Friedhofs stellen Bund und Freistaat gesonderte Mittel zur Verfügung. Ich habe dazu bereits vor einigen Wochen einen Antrag im bayerischen Landtag eingebracht, der eine deutliche Erhöhung der bayerischen Mittel für 2023 zum Ziel hat."

Auch die anderen Kritikpunkte der Grünen weist Freller zurück: Das baufällige Internationale Mahnmal auf dem ehemaligen Appellplatz werde noch in diesem Jahr saniert. Das Kultusministerium habe auf seine Initiative hin, so der Stiftungsdirektor, "einer deutlichen, zweckgebundenen Aufstockung der Bauunterhaltsmittel zugestimmt". Oder das historische Gebäude des Krematoriums, das bei starkem Schneefall und Sturm vom Einsturz gefährdet und für die Besucher der Gedenkstätte bereits einmal gesperrt werden musste. Man habe eine "temporäre Notsicherung" eingebaut. Eine dauerhafte Sanierung erfordere weitergehende Untersuchungen und ein umfassendes und denkmalgerechtes bauliches Konzept für die Verstärkung des Tragwerks. Das dauere jedoch. Freller verweist darauf, dass nicht zuletzt pandemiebedingt die personellen und materiellen Ressourcen im Hochbau in erheblichem Umfang gebunden seien. "Gerade Kommunalpolitiker, die ja mit dieser Thematik häufiger befasst sind, können hierfür sicherlich ein Grundverständnis aufbringen."

"Ein billiger Versuch, sich herauszureden."

Nicht die Grünen. Denn es dauert, wie sie sagen, doch schon zehn und noch viel mehr Jahre. Marese Hoffmann beurteilt das Antwortschreiben Frellers als "billigen Versuch, sich herauszureden". Man werde jetzt direkt an den Kultusminister und Stiftungsratsvorsitzenden Piazolo herantreten - "und wenn alle bayerischen Stellen versagen, dann an die Ampelregierung". Freller, sagt Hoffmann, engagiere sich mehr als andere, aber er müsse sich mal auf die Hinterbeine stellen.

Ihrer Partei geht es um ein grundsätzliches Problem: Gedenkpolitik in Bayern priorisiert einzelne Projekte - aber die Erinnerung müsste insgesamt höchste Priorität haben und dementsprechend, so Hoffmann, müsse man eben viel Geld dafür aufwenden. "Aber wenn der politische Wille fehlt, dann verfallen die Gedenkorte eben." Das aber dürfe nicht sein, weil authentische Orte wie in Dachau für zukünftige Generationen erhalten bleiben müssten. In diesem Zusammenhang verstehe sie überhaupt nicht, sagt Hoffmann, warum Täterorte wie Hitlers Alpendomizil, der Obersalzberg, oder das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg mit zweistelligen Millionenbeträge erhalten werden.

Und dann sind da ja noch die Pariser Verträge: Als im Sommer 1949 das vernachlässigte Gräberfeld an der Leiten ins Blickfeld der internationalen Öffentlichkeit geriet, schädigte das das Ansehen Dachaus und Deutschlands im Ausland erheblich. Der Skandal führte dazu, dass in einem Zusatzprotokoll des deutsch-französischen Vertrages über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik vom Oktober 1954 festgelegt wurde, dass Gedächtnisorte mit den sterblichen Überresten von Opfern der Naziherrschaft auf Dauer gesichert und zugänglich gemacht werden müssen.

Modlinger räumt ein: Es sei nicht ganz unwahr, dass der Bund, der Freller zufolge bisher nicht einmal die Hälfte der Ausgaben für Gedenkstätten in Bayern finanziert, auch seinen Anteil leisten müsse. Aber Frellers Verweis auf die Grünen-Kulturstaatsministerin Roth quittiert Modlinger mit einem Schmunzeln. Die neue Bundesregierung ist seit Anfang Dezember 2021 im Amt. Was hat der unionsgeführte Bund in den vorhergehenden 16 Jahren getan? In erster Linie, so Hoffmann, sei das aber eine Sache des Freistaates Bayern. Dachaus Dritte Bürgermeisterin Luise Krispenz sagt: "Wir wollen, dass die KZ-Gedenkstätte Dachau in ihrer Gesamtheit erhalten bleibt und entwickelt wird." Die Stadt habe den Anspruch, für zukünftige Generationen die Erinnerungskultur zu wahren und fortzuführen, dazu aber sei eine intensive Zusammenarbeit mit dem Freistaat Bayern nötig. Dieses Anliegen sei unerfüllt geblieben.

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