Süddeutsche Zeitung

KZ-Gedenkstätte Dachau:Kultur im KZ

Was wie ein Widerspruch klingt, gehört doch zur Geschichte: Von 1943 an gab es in Dachau etwa 200 Theater- und Kabarettaufführungen, Opern, Operetten und Revues. Häftlinge und SS-Männer sahen sie zusammen an. Dominik Frank klärt über die Hintergründe auf

Von Renate Zauscher, Dachau

Theateraufführungen in NS-Konzentrationslagern? So absurd das auch klingen mag - es hat sie in der Tat gegeben: im Konzentrationslager Dachau von 1943 an, in einigen anderen Lagern bereits in den frühen Jahren der NS-Herrschaft. In der Öffentlichkeit ist über diesen Teilaspekt der Lagerrealität wenig bekannt - vielleicht deshalb, weil man nach 1945 revisionistischen Tendenzen keine zusätzliche Nahrung geben wollte. Zu leicht hätte so mancher sich in der Meinung bestätigt fühlen können, es sei ja "alles gar nicht so schlimm gewesen".

Dominik Frank, Theaterwissenschaftler an der Universität Bayreuth und Referent der Gedenkstätte Dachau, hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt. Bei einen Rundgang auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte zeigte Frank Stationen, die mit der Thematik in besonderer Weise verbunden sind.

Eigentlich sei das Theater als demokratisches Medium, bei dem es um die Auseinandersetzung unterschiedlicher Positionen geht, unvereinbar mit einem faschistischen System, so Frank. Dennoch habe es Berührungspunkte gegeben. So habe der NS-Staat die politische Realität in vielfacher Hinsicht als Theaterspektakel inszeniert. Egal ob auf Fotografien des Häftlingsalltags oder bei der zynischen Ankündigung am Tor "Arbeit macht frei". Bewusste Inszenierungen hätten im NS-Staat sogar eine wichtige Rolle gespielt. Der Häftling selbst sei, so Frank, nach seiner Ankunft in eine neue, ihn entmenschlichende "Rolle" gezwungen worden: Er wurde zur Nummer in der "Kostümierung" der Häftlingskluft.

Frühe Formen kulturellen Lebens hat es laut Dominik Frank etwa im Konzentrationslager Börgermoor im Emsland gegeben, teils im engen legalen Rahmen, teils aber auch illegal. Der spätere Leiter des Deutschen Theaters in Berlin, Wolfgang Langhoff, gründete dort einen "Zirkus Konzentraziani", der großen Erfolg bei Häftlingen wie SS-Bewachern hatte. In Buchenwald gab es Rezitationsabende mit Texten wie "Dantons Tod" von Büchner oder Schillers "Don Carlos" mit dessen berühmtem Satz von der Freiheit der Gedanken. Bruno Apitz und Otto Halle schrieben Stücke, die teils mit schwarzem Humor, teils mit den Stilmitteln des Expressionismus die eigene Situation reflektierten. Kabarett gab es auch im französischen Gurs, wo etwa das Stück mit dem satirisch-anspielungsreichen Titel "Schmocks höhnende Wochenschau" entstand.

In Dachau war Kabarett zu dieser Zeit verboten, auch wenn hier mit der Ankunft österreichischer Kabarettisten und Musiker wie Hermann Leopoldi und Fritz Grünbaum nach dem "Anschluss" dennoch illegal Kabarett gespielt wurde. Nach Dominik Franks Einschätzung mit stillem Einverständnis der meist aus politischen Gefangenen bestehenden Kapos. Von 1939 an habe man mit einer neuen, von Minister Albert Speer maßgeblich beeinflussten Richtlinie, die Arbeitsleistung der Häftlinge steigern wollen. Fortan sollten diese nicht nur mit der Möglichkeit von Bordellbesuchen, sondern auch mit Unterhaltung durch Symphonie- und Jazzkonzerte, mit Chorgesang oder Volkstanz bei Laune gehalten werden. In Dachau ließ ein neuer, kulturbegeisterter Lagerkommandant, Martin Gottfried Weiß, 1943 die Baracke 30 zur Bühne mit professionellem Equipment ausbauen. Bis Ende 1944 wurden hier geschätzt zweihundert Vorstellungen aus verschiedensten Bereichen von Schauspiel, Operette, Revue und Kabarett gegeben - vor dem Hintergrund des rauchenden Krematoriums. Über Lautsprecher, sogenannte "Nürnberger Trichter", wurden die Häftlinge mit Wagneropern beschallt.

Den grandiosen Höhepunkt des "kulturellen" Lebens im Lager bildete das vom österreichischen Journalisten Robert Kalmar verfasste, in Manier früherer Ritterspiele konzipierte Schauspiel mit dem langen Titel "Die Blutnacht auf dem Schreckenstein oder Ritter Adolars Brautfahrt und ihr grausiges Ende oder Die wahre Liebe ist das nicht", das die Grundlage für ein Reenactment 2012 von Karen Breece darstellte.

Kalmar wirkte in dem Stück, das offen auf Hitler und andere Nazi-Größen anspielte, als Regisseur und Hauptdarsteller mit, ebenso auch Erwin Geschonnek, später einer der bekanntesten Schauspieler in der DDR. Jeweils an die tausend Häftlinge sahen sich das Stück in rund einem Dutzend Aufführungen an. Überliefert ist, dass nicht nur die Gefangenen mit tosendem Gelächter auf den Inhalt des Stücks reagierten sondern auch die anwesenden SS-Männer. Über die Gründe für deren Amüsement lässt sich nur spekulieren.

Aber welche Funktion erfüllte das Theaterspiel in den Lagern? Dominik Frank hat sich damit beschäftigt und nannte mehrere Motive: das der psychischen Entlastung einerseits, aber auch das des inneren Widerstands und der Möglichkeit, hinter der Fassade reiner Unterhaltung politische Botschaften zu übermitteln. Schließlich aber sei es vor allem um den Versuch gegangen, sich trotz der von den Tätern gewollten Entmenschlichung als Mensch im existenziellen, humanistischen Sinn zu behaupten, so der Theaterwissenschaftler.

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SZ vom 14.08.2019
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