KZ-Gedenkstätte Dachau:Ein Leben für die Erinnerungsarbeit

KZ-Gedenkstätte Dachau: Aus dem litauischen Ghetto nach Kaufering - Karl Rom überlebt Holocaust und wird "für eine Zeit Dachauer".

Aus dem litauischen Ghetto nach Kaufering - Karl Rom überlebt Holocaust und wird "für eine Zeit Dachauer".

(Foto: oh)

Das Gesicht des ehemaligen KZ-Häftlings Karl Rom ist im Rahmen der Plakataktion "Für eine Zeit ein Dachauer" im Februar in der ganzen Stadt zu sehen

Über sein Überleben im Holocaust sprach Karl Rom bis 1988 nicht. Das erste Mal erzählte er darüber in Alabama, USA, wo er als Zeitzeuge von seinem Enkelsohn Daniel Silber in eine Schule eingeladen worden war. 1994 besuchte Karl zum ersten Mal Kaufering wieder und setzte sich seitdem für die Errichtung eines Gedenkortes an der Stelle des ehemaligen Lagers ein. Viele Jahre sprach Karl Rom als Zeitzeuge in den Schulen und bei Gedenkveranstaltungen, ebenso besuchte er als Ehrengast die Internationale Jugendbegegnung Dachau, wo er seine Erinnerungen mit den Jugendlichen aus der ganzen Welt teilte. "Das schulde ich meiner Familie", sagt er immer dazu.

Jetzt ist das Gesicht von Karl Rom auf Plakaten abgebildet, die in der ganzen Stadt Dachau aufgehängt sind. Es ist die Fortsetzung der Plakatreihe "Für eine Zeit Dachauer", die der Förderverein für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit aus Anlass des 75. Jahrestages der Befreiung des KZ im April 2020 startete. Jeden Monat wird seitdem jeweils ein Porträt eines ehemaligen KZ-Häftlings in Dachau plakatiert. Insgesamt sind es zwölf Porträts. Im Februar widmet sich die Reihe Karl Rom.

Als jüngster von drei Geschwistern kam Karl Rom am 25. Februar 1926 in Kaunas (Litauen) in einer nicht-orthodoxen jüdischen Familie zur Welt. Seine Eltern besaßen ein Restaurant nahe des Marktplatzes der Stadt, dort verbrachte Karl als Kind viel Zeit. Neben Jiddisch sprach er Polnisch und beim Spielen mit anderen Kindern lernte er auch Litauisch. Während seine Schwestern eine Jüdische Volksschule und ein Jüdisches Gymnasium besuchten, ging Karl in eine litauische Schule. In seiner Freizeit sang er in einem Kirchenchor, war an katholischen Feiertagen mit anderen Kindern auch immer dabei. Er verstand sich gut mit Gleichaltrigen aus christlichen Familien.

Nach Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes 1939 marschierten sowjetische Truppen in Litauen ein. Bereits zu dieser Zeit wurden die ersten Juden aus der Region deportiert, zunächst nach Sibirien. Doch als 1941 die deutschen Truppen einmarschierten, blieb keine jüdische Familie verschont. "Als die Russen kamen, da waren die Juden Kapitalisten. Als die Deutschen kamen, da waren die Juden Kommunisten. Die Deutschen haben uns auseinandergebracht." So erklärte Karl 2013 bei einer Veranstaltung im Jüdischen Museum, wieso die litauische Bevölkerung sich von den jüdischen Bürgern abgewendet hatte.

Am 15. August 1941 musste die Familie von Karl zusammen mit anderen jüdischen Einwohnern zunächst in ein Ghetto ziehen. Unterernährung, extrem beengte Verhältnisse und ständige Todesangst begleitete das Leben der Bewohner. Anfang Oktober begannen die Massenmorde in den Ghettos, teils auf den Straßen, teils auf Forts - alten Festungsanlagen aus den Zarenzeiten in der Umgebung von Kaunas. Besonders einprägsam war für Karl der 18. Oktober, als in der Kasernenanlage "IX. Fort Kaunas" im Rahmen der "großen Aktion" rund 12 000 Juden erschossen wurden.

Zunächst arbeitete Karl beim Transport von Brennstoffen, diese Beschäftigung sicherte ihm das Überleben im Ghetto. Als dieses im Herbst 1943 in ein KZ umgewandelt wurde, kam er mit seinen Eltern und der Schwester Sarah in das sogenannte "Schanzenlager", wo er in der Kleiderkammer arbeiten musste. Er musste den Besitz der nach Kaunas aus ganz Europa deportierten Juden sortieren, bevor die guten Sachen zurück nach Deutschland verschickt wurden. Seine zweite Schwester Esther Deborah blieb im KZ Kauen, dort verlor sich ihre Spur. Im Sommer 1944 wurde das KZ in Kaunas aufgelöst, die Häftlinge wurden in andere Lager Richtung Westen abtransportiert. Am 15. Juni wurde die Familie Rom in das KZ Stutthof deportiert, wo die Mutter und die Schwester Sarah blieben. Karl aber wurde mit seinem Vater nach Kaufering I, ein Außenlager des KZ Dachau, transportiert. Er erhielt die Häftlingsnummer 81262, sein Vater die Nummer 81263.

Als sie dort ankamen, war das Lager noch nicht ausgebaut. So musste Karl zunächst beim Aufbau des Lagers als Baggerfahrer arbeiten. Später wurde er einem Kommando zugeteilt, welches unmittelbar beim Bau des Betonbunkers beschäftigt war. Dieser sollte für die unterirdische Flugzeugproduktion der Firma "Messerschmitt" errichtet werden. Es herrschten unmenschliche Bedingungen, die Todesrate war in diesem Kommando unverhältnismäßig hoch. Bei unzähligen Unfällen fielen Häftlinge manchmal in den Beton und wurden nicht mehr herausgeholt. Nur durch die gute Beziehung zu seinem Oberkapo, den Karl noch aus dem Schanzenlager in Kaunas kannte, gelang ihm der Wechsel aus diesem Kommando zurück in die alte Arbeitsstelle. Zusammen mit seinem Vater wurde Karl schließlich Anfang April 1945 in das Lager Kaufering XI verlegt, wo sich sein Onkel Jakob und sein Cousin Daniel Liebermann auch befanden. Der Zusammenhalt und die Hilfe der Familie half ihnen sehr, da Karls Vater bereits sehr geschwächt war und nicht mehr laufen konnte. Karl selbst wog 34 Kilo.

Über die kommende Auflösung des Lagers erfuhr Karl im Krankenrevier, wo er sich auf Empfehlung des Onkels zum Ausruhen mit vermeintlichem Fieber gemeldet hatte. Das Krankenlager war zusätzlich mit Draht eingezäunt. Da davon auszugehen war, dass die SS die Kranken bei der Räumung des Lagers nicht verschonen würde, floh Karl aus dem Krankenbau, um zurück zu seinem Vater zu kommen. Beim nächsten Morgenappell erhielt jeder Häftling etwas Ersatzkaffee, ein Drittel eines Brotlaibes und eine Scheibe Wurst - das war die für den Marsch vorgesehene Verpflegung. Am 26. April 1945 verließen etwa 150 Gefangene das Lager Richtung Dachau. Vier Tage später, am 30. April, wurden Karl und sein Vater im Außenlager Allach durch die amerikanischen Truppen befreit.

Nach der Befreiung lebte Karl Rom zunächst im DP-Lager "Funkkaserne" in München, wo er bis Ende 1949 blieb. In dieser Zeit arbeitete er für die zionistische Fluchtorganisation "Bricha" ("Flucht"), welche Juden half, nach Palästina zu kommen. Dabei geriet er mehrmals in Konflikt mit verschiedenen Behörden und wurde vom sowjetischen Geheimdienst NKWD verhört. In München lernte Karl seine Frau Flora kennen, mit der er 1949 schließlich nach Israel auswanderte. Er hoffte, dass ihm auch seine Familie folgen würde. Doch die Schwester Sarah starb an den Spätfolgen der Misshandlungen in Lagern, 1955 starb auch sein Vater. 1956 kehrten Karl und Flora mit ihrer bereits sechsjährigen Tochter nach Deutschland zurück, seit 1976 leben sie in Hohenschäftlarn bei München.

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