Süddeutsche Zeitung

KZ-Gedenkstätte Dachau:Eklat um Gedenkfeier

Die KZ-Gedenkstätte war wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Doch ein Verein erinnerte am 9. Mai an die Millionen Toten der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Jetzt will die Einrichtung der Initiatorin Hausverbot erteilen

Von Thomas Balbierer, Dachau

Die Gedenkfeier eines russland-nahen Vereins am Samstag an der KZ-Gedenkstätte Dachau hat zu einem Eklat geführt. Wie auf Facebook veröffentlichte Aufnahmen zeigen, feierte eine sechsköpfige Gruppe den in Russland bedeutenden 9. Mai als Tag des Sieges über Nazideutschland. Die Gruppe legte Kränze nieder und hielt an der russisch-orthodoxen Kapelle Andacht. Die Veranstaltung hätte jedoch gar nicht stattfinden dürfen - die Gedenkstätte war wegen der Corona-Pandemie für alle Besucher bis 11. Mai geschlossen. Auch die große Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ fand nur im virtuellen Raum statt. Die Gedenkstätte kündigt ein Hausverbot gegen die Organisatorin Vera Stegschuster an. Sie habe sich "unter Vorspiegelung falscher Tatsachen" über das angrenzende Karmel-Kloster Zutritt auf das Gedenkstättengelände verschafft.

Vera Stegschuster sieht das völlig anders. Sie erklärt der SZ, dass ihr Verein "Unsterbliches Regiment" seit Jahren in Dachau und Hebertshausen an die im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten der Roten Armee erinnere. Am ehemaligen "SS-Schießplatz Hebertshausen" sind 1941 und 1942 mehr als 4000 kriegsgefangene Rotarmisten erschossen worden, im KZ wurden viele Sowjetoffiziere nahe dem Krematorium hingerichtet. Auch in diesem Jahr habe es eine offizielle Erlaubnis der Gedenkstätte gegeben, sagt Stegschuster. Diese sei nicht widerrufen worden.

Die Gedenkstätte bestätigt zwar, dass sie bereits am 11. November 2019 die Andachtsfeier des Vereins genehmigt habe. Mit der staatlich angeordneten Schließung im Zuge der Corona-Pandemie sei die Genehmigung jedoch "hinfällig geworden". Als die russische Gruppe am 9. Mai dennoch auf dem Gelände erschien, habe das Aufsichtspersonal das Verbot "klar und unmissverständlich mitgeteilt", erklärt Irene Stuiber, eine Sprecherin der Gedenkstätte. Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann war am Mittwoch nicht erreichbar. Stegschuster wiederum behauptet, sie habe am Samstag noch vor Ort mit einer Mitarbeiterin der Gedenkstätte telefoniert und die Erlaubnis erhalten, die Andacht unter Einhaltung der Abstandsregeln fortzusetzen. Auf ihrer Facebook-Seite bedankte sie sich sogar am Mittwoch "herzlich" bei Gabriele Hammermann. Die Gedenkstätte wiederum dementiert, dass ein solches Telefonat geführt worden sei. "Wir wissen nicht, wer eine solche Auskunft auf welchem Weg hätte erteilen können", erklärt Stuiber.

Wie die Polizei Dachau mitteilt, kam es am Rande der Veranstaltung auch noch zu einer Auseinandersetzung zwischen den Teilnehmern und den Schwestern des Karmel-Klosters. Als die Gruppe das ehemalige Lager durch das Kloster wieder verlassen wollte, hätten die Schwestern die Pforte geschlossen und den Ausweg versperrt. Die Polizei spricht von einem "Missverständnis, das sich hochgeschaukelt hat". Die Beamten mussten den verbalen Streit schlichten.

Das ganze Geschehen sei "hochproblematisch", findet Andrea Heller vom Förderverein für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit in Dachau. Sie beobachtet die Aktivität von Vera Stegschuster schon seit Jahren. Auf ihrem Facebook-Profil, auf dem Stegschuster auch die Aufnahmen vom Samstag veröffentlichte, verbreite sie Desinformationen, Propaganda gegen Europa und die deutsche Bundesregierung und habe vor Jahren auch antisemitische Inhalte geteilt, so Heller. Dahinter stecke eine "demokratiefeindliche Gesinnung".

Im Juni 2017 sprach die KZ-Gedenkstätte schon einmal ein Hausverbot gegen Stegschuster aus, das bestätigt die Betroffene der SZ. Nun geht die Einrichtung erneut gegen sie vor. Wie lange das Hausverbot gelten soll, sei laut Irene Stuiber noch unklar. Stegschuster selbst kann die Aufregung nicht verstehen. Sie betont, dass es ihr doch um das Erinnern an die 27 Millionen sowjetischen Todesopfer des Zweiten Weltkrieges gegangen sei. "Wir haben das Deutsche Volk vom Faschismus befreit. Jetzt gibt es Demokratie in Deutschland", sagt sie. Ihr Vater sei selber sechs Jahre im Krieg gewesen, deshalb liege ihr das Andenken an die gefallenen russischen Soldaten sehr am Herzen. "Ich habe ein sauberes Gewissen", sagt sie.

Die Referentin und Historikerin Irina Grinkevich, die sich auch im Dachauer Förderverein engagiert, hat sich die Videos vom Samstag angesehen und für die SZ übersetzt. Sie hält die Rede, die Vera Stegschuster auf Russisch hielt, für "äußerst unangemessen". Stegschuster zitiert in dem Video ein Gedicht von Aleksander Gorodnitzkij, der die Blockade von Leningrad selbst miterlebte. Darin geht es zum Beispiel um die "verlorene Ehre" und die "Schande" von Tschechen und Belgiern, die sich den Nazis vermeintlich "ohne Kampf übergeben haben".

Grinkevich sieht darin, wie sie sagt, eine Herabsetzung von anderen Völkern an einem Ort wie dem ehemaligen Konzentrationslager. Das sei unangebracht, "denn Tausende Widerstandskämpfer aus den erwähnten Ländern waren in Dachau inhaftiert. Und das sicherlich nicht deshalb, weil sie ihre Städte ohne Kampf an die Besatzer übergeben haben", sagt Grinkevich.

Am Ende des Gesprächs fragt Vera Stegschuster, ob es wirklich nötig sei, über den Vorfall in der Zeitung zu berichten. Sie fürchtet, dass ihr ein Bericht schaden könnte und sagt, Journalisten in Deutschland dürften ohnehin "keine eigene Meinung haben". Dann bittet Sie noch: "Seien Sie gutmütig."

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Quelle:
SZ vom 14.05.2020
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