KZ-Gedenkstätte Dachau:Ein schwerer Gang

Es ist der Ort seiner Alpträume: Vor 65 Jahren war Arthur Seltzer zuletzt in Dachau - bei der Befreiung des Konzentrationslagers. Nun ist der jüdische US-Veteran zurückgekehrt.

Caroline Ischinger

Es ist das erste Mal, dass er an diesen Ort zurückkehrt. Ein Ort, der ihm Alpträume beschert hat, und über den er lange nicht sprechen wollte. Vor 65 Jahren ist er zuletzt hier in Dachau gewesen, als Fernmelder der 20. Panzerdivision. Arthur Seltzer gehörte zu einer der US-Truppen, die am 29. April 1945 etwa 32.000 überlebende Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau befreiten.

KZ-Gedenkstätte Dachau: Gemischte Gefühle: der jüdische US-Veteran Arthur Seltzer beim Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Gemischte Gefühle: der jüdische US-Veteran Arthur Seltzer beim Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Seltzer war damals noch ein junger Mann, 20 Jahre alt, und der einzige jüdische Soldat in seiner Kompanie. Diesmal ist er mit seiner Ehefrau Mildred und einer Reisegruppe gekommen. Sie sind von London bis nach Berchtesgaden unterwegs, auf den Spuren des Zweiten Weltkriegs. Mit aufrechtem Gang nähert er sich der Gedenkstätte.

Seine erste Frage lautet: "Wo ist das Tor?" Waltraud Burger, die pädagogische Leiterin der Gedenkstätte, wirkt besorgt. Sie weiß, dass der Anblick der Eisenstäbe mit dem Schriftzug "Arbeit macht frei" die Zeitzeugen oft überfordert. Sie würde einen Nebeneingang bevorzugen. Seltzer aber ist entschlossen. Er erzählt, wie er und seine Kameraden von München aus auf das Lager zu marschierten. Sie dachten zuerst, es sei ein Kriegsgefangenen-Lager. "Doch dann sahen wir die gestreifte Kleidung."

Er will weiter erzählen - doch seine Stimme versagt, seine Beine werden schwach.

Der Anruf der Enkelin

Fast fünfzig Jahre lang hat der pensionierte Elektroingenieur aus dem US-Staat New Jersey über seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg geschwiegen. "Ich wollte vergessen."

Es brauchte einen Anruf seiner Enkelin: Sie musste in der Schule einen Aufsatz über den Holocaust schreiben, bat ihren Großvater um Hilfe. "Ich konnte sie nicht enttäuschen", sagt Seltzer. Schnell merkte er, dass es die richtige Entscheidung war. 900 Dankes-Briefe hat er inzwischen für seine Vorträge erhalten.

Drinnen, in der Ausstellung der Gedenkstätte, wirkt Seltzer etwas gefasster. Er fotografiert mit seiner kleinen Digitalkamera die Ausstellungsstücke. Auch damals, als junger Soldat, gehörte es zu seinen Aufgaben, Fotos vom Konzentrationslager zu machen, die den Horror des Lagers festhalten sollten.

Seltzers stärkste Erinnerung an die vier Tage, die er 1945 auf dem Gelände des Konzentrationslagers in Dachau verbrachte, ist "der Geruch des Todes".

Mildred Seltzer war lange dagegen, nach Dachau zu reisen. Zu schwer wäre diese Rückkehr für ihren Mann, fürchtete sie. Als er von der Reisegruppe mit historischem Fokus hörte, witterte Seltzer seine Chance. Tatsächlich, seine Frau stimmte zu. "Da habe ich schnell angefangen zu packen, bevor sie ihre Meinung ändern konnte", sagt der Veteran, und er lächelt. So sehr der Besuch in Dachau an seinen Kräften zehrt, es ist ihm offensichtlich wichtig, hier zu sein. Sofern es seine Gesundheit erlaubt, sagt der 86-Jährige, möchte er wiederkommen. Mit seinen drei Kindern.

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