Süddeutsche Zeitung

KZ-Gedenkstätte Dachau:Debatte um Gedenkkultur

Wie geht man richtig mit baulichen und anderen Überresten von Konzentrationslagern um? Das Ringen um Authentizität steht im Widerspruch zu dem Versuch, historische Orte zu erhalten. Vor diesem Dilemma steht auch die KZ-Gedenkstätte Dachau.

Von Helmut Zeller, Dachau

"Dachau habe ich einmal besucht", schreibt die Schriftstellerin und Auschwitz-Überlebende Ruth Klüger. "Da war alles sauber und ordentlich, und man brauchte schon mehr Phantasie, als die meisten Menschen haben, um sich vorzustellen, was dort vor vierzig Jahren gespielt wurde." An dieses Urteil knüpft eine zentrale Frage der Erinnerungskultur an.

Seit Jahren diskutieren Historiker - häufig kontrovers zu den Überlebenden - über den richtigen Umgang mit baulichen und anderen Überresten der Konzentrationslager. Die Wahrung größtmöglicher Authentizität, wie sie aus gutem Grund von Historikern gefordert wird, birgt einen unlösbaren Widerspruch in sich. Der Versuch, historische Orte zu erhalten, führt unweigerlich zu ihrer Veränderung, wenn etwa in die Bausubstanz eingegriffen werden muss.

Vor diesem Dilemma steht die KZ-Gedenkstätte Dachau mit dem sogenannten "Kräutergarten" - eines der schwersten Arbeitskommandos für Häftlinge. Gewächshäuser und andere Gebäude verfallen zusehends. In der aktuellen Debatte über die bröckelnde "Zeppelintribüne" auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände werden Rufe nach einem kontrollierten Verfall laut. Und im Fall der gestohlenen KZ-Tür in der Dachauer Gedenkstätte hat sich die grundsätzliche Streitfrage erneut entzündet.

Der Historiker Wolfgang Benz, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der bayerischen Gedenkstättenstiftung, ist in diesem Punkt unbeugsam: keine Rekonstruktion, sagt er. Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann stützt ihre Ablehnung auf die Empfehlungen eben jenes Gremiums zur Neugestaltung der Gedenkstätte im Jahr 1996, denenzufolge man auf Rekonstruktionen und architektonische oder künstlerische Überformungen verzichtet. Das hat auch politische Gründe: Eine Abwehr der wiederholten Versuche, den Holocaust zu leugnen oder zu relativieren.

Aber ist die reine Lehre in diesem besonderen Fall anwendbar? Der Historiker Jörg Skriebeleit aus Flossenbürg, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in Deutschland, hätte kein Problem mit einer Kopie - wenn sie nicht als Dauerlösung gedacht ist und für die Besucher der Anschlag thematisiert wird. Man solle im Einzelfall entscheiden.

Wie andere Gedenkstätten mit der Frage umgehen

Andere Gedenkstätten gehen diesen Weg: Buchenwald verleiht sein KZ-Tor für Ausstellungen und setzt vorübergehend ein Nachbildung ein. In Auschwitz wurde die gestohlene Aufschrift, die man zurückbekam, durch eine Kopie ersetzt - das wertvolle Original wanderte in die Ausstellung. Manche Stimmen stellen das Konzept vom "authentischen Ort" überhaupt in Frage - und schießen damit wohl über das Ziel hinaus.

Richtig ist hingegen, dass Gedenkstätten heute nicht nur die Verbrechen, sondern auch den Umgang mit der Vergangenheit bezeugen. Darauf reagierte Jörg Skriebeleit in der Gedenkstätte Flossenbürg nicht nur mit der innovativen Ausstellung "Was vom Lager blieb". Die Torpfosten wurden nach 1945 versetzt - sie bleiben so, weil das den Umgang mit dem Ort in der Nachkriegszeit spiegelt. Entscheidend ist die Kommunikation darüber.

Eine Gedenkstätte ist auch ein Lernort, an dem über den Nationalsozialismus aufgeklärt wird. Gedenkorte sind nicht selbsterklärend. Aber es wohnt ihnen eine große Erinnerungskraft inne - vor allem für jene, die an ihnen litten. Deshalb fordern ehemalige Dachau-Häftlinge eine Nachbildung der Eisentür mit der zynischen Aufschrift "Arbeit macht frei". Der Ort ist Teil ihrer Geschichte und Identität. Sein Schwinden nehmen sie als ein Vergessen ihres Schicksals wahr. Deshalb macht es für sie wenig Unterschied, ob die Tür ein Original oder eine detailgetreue Kopie ist - sie wollen, dass sie gesehen wird als ein Symbol ihres Leids, auch nach ihrem Tod. Dem fühlt sich Stiftungsdirektor Karl Freller verpflichtet, und Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, erklärt: "Wer Authentizität will, soll nach Auschwitz gehen."

Die Dachauer Debatte irritiert Außenstehende ohnehin: Die Aufschrift ist schon eine Kopie, aus dem Jahr 1972 - und die Tür galt alle Jahre ebenfalls als eine Replik. Erst nach ihrem Diebstahl wurde bekannt, dass sie original ist. Doch Benz meint: "Das ändert nichts an der Sachlage."

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SZ vom 14.02.2015/infu
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