77. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau:Licht und Schatten

77. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau: Bei der Befreiungsfeier auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte flatterte 2017 die Flagge der Ukraine besonders gut sichtbar im Wind auf dem ehemaligen Appellplatz. Die Nationalfahnen von Belarus und Russland werden diesmal nicht gehisst.

Bei der Befreiungsfeier auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte flatterte 2017 die Flagge der Ukraine besonders gut sichtbar im Wind auf dem ehemaligen Appellplatz. Die Nationalfahnen von Belarus und Russland werden diesmal nicht gehisst.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Erstmals seit zwei Jahren können die Feierlichkeiten wieder in Präsenz stattfinden - mit Überlebenden des Konzentrationslagers. Allerdings wird der Gedenkakt vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine überschattet.

Von Helmut Zeller, Dachau

Sie kommen aus Österreich, Italien, Frankreich, Israel und der Ukraine nach Dachau - fünf Überlebende nehmen am Gedenkakt zum 77. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau teil. Nach zwei Jahren Pause in der Corona-Pandemie können die Veranstaltungen endlich wieder in Präsenz stattfinden. Die Freude darüber ist aber getrübt: Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar bangt man in Dachau um die KZ-Überlebenden in der Ukraine. Sie sind hochbetagt, einige auch zu krank, um vor dem Bombenhagel in den Westen fliehen zu können. Der 96-jährige Holocaust-Überlebende Boris Romantschenko, ein ehemaliger Buchenwald-Häftling, wurde bei einem russischen Bombenangriff auf Charkiw getötet. Das war der letzte Anstoß zu einem ungewöhnlichen Schritt der KZ-Gedenkstätten in Deutschland: Russische und belarussische Diplomaten und Konsuln wurden aus Protest gegen Putins Krieg ausgeladen. Konsularische Vertreter der Ukraine nehmen dagegen an der Gedenkfeier in Dachau am 1. Mai teil.

Das Gedenken an die NS-Opfer aus Belarus und Russland soll jedoch nicht leiden. Die KZ-Gedenkstätte stiftet Kränze und wird sie vor dem Internationalen Mahnmal niederlegen. Auf die sonst üblichen Kranzschleifen in den Nationalfarben der beiden Länder wird man verzichten. Die Schleifen tragen die Aufschrift: "In Gedenken an die russischen Opfer des KZ Dachau" und "In Gedenken an die belarussischen Opfer des KZ Dachau." Die Nationalfahnen von Belarus und Russland werden diesmal nicht gehisst. Die Dachauer Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann sowie die Lagergemeinschaft Dachau und das Comité International de Dachau (CID) hatten vor drei Wochen schon den russischen Angriffskrieg öffentlich verurteilt.

Der Historiker Boris Zabarko kommt nach Dachau

Hammermann freut sich auf einen unter den aktuellen Umständen besonderen Gast: Dem 86-jährigen Holocaust-Überlebenden und Historiker Boris Zabarko gelang mit seiner Enkelin die Flucht aus Kiew. Der Präsident der Allukrainischen Assoziation der Jüdischen KZ- und Ghettoüberlebenden kommt nach Dachau. Bei der Gedenkfeier am ehemaligen "SS-Schießplatz Hebertshausen" spricht am Sonntag, 1. Mai, der Theresienstadt-Überlebende Ernst Grube, 89, Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau. An diesem Ort wurden nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 mehr als 4000 kriegsgefangene Rotarmisten von der Lager-SS erschossen. CID-Vizepräsident Abba Naor, 94, hält wie der Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) am Sonntag am ehemaligen Krematorium eine Rede; die Veranstaltung findet im geschlossenen Kreis statt. Am Tag zuvor spricht Naor am Todesmarsch-Mahnmal. Naor ist Überlebender des Todesmarsches, auf den Tausende Häftlinge noch in den letzten Tagen vor der Befreiung am 29. April 1945 durch Einheiten der US-Armee getrieben worden sind. Am 22. März 1933 eröffnete das NS-Regime in Dachau eines der ersten Konzentrationslager, das als Modell für alle KZ und Vernichtungslager diente. Mehr als 200 000 Menschen aus über 40 Nationen waren in Dachau und seinen Außenlagern gefangen, mindestens 41 500 Häftlinge wurden ermordet oder starben an Hunger, Krankheiten, Folter und den Folgen der KZ-Haft noch nach ihrer Befreiung.

Die Veranstaltungen zum 77. Jahrestag beginnen am Donnerstag, 28. April, mit einem Konzert mit Werken jüdischer und verfolgter Komponisten, unter anderem von Paul Ben-Haim, Emil František Burian und Ernest Bloch im Dachauer Schloss (Einlass um 18.30 Uhr). Die ausgewählten Stücke haben einen unmittelbaren Bezug zu München oder der Geschichte des KZ Dachau. Die Gedenkstätte und das Ben-Haim-Forschungszentrum der Hochschule für Musik und Theater München (HMTM) veranstalten das Gedenkkonzert. Am Freitag wird die Ausstellung "Dachauer Prozesse - Verbrechen, Verfahren und Verantwortung" eröffnet. Sie ist eng mit der Biografie von Alfred Edward Laurence verbunden, der zwischen Februar und Oktober 1937 Häftling im KZ Dachau war. Sieben Jahre später kam er als Soldat der US-Armee zurück und war im April 1945 an der Befreiung des Dachauer Lagers beteiligt. Er arbeitete im Anschluss als Ermittler des War Crime Investigation Teams 6826. Seine Tochter Virginia Laurence und seine Enkelin Annemarie Wadlow werden am 29. April im Besucherzentrum der KZ-Gedenkstätte Dachau mit Christoph Thonfeld, Leiter der wissenschaftlichen Abteilung, über das Leben und Wirken ihres Vaters und Großvaters sprechen. Es geht dabei besonders um den Umgang mit NS-Verfolgung, KZ-Haft und deren strafrechtlicher Aufarbeitung als familiäres Erbe aus der Sicht unterschiedlicher Generationen.

Am Jüdischen Mahnmal gibt es diesmal nur ein stilles Gedenken mit einer Kranzniederlegung. Auf der zentralen Gedenkfeier am ehemaligen Appellplatz spricht Gedenkstättenleiterin Hammermann ein Grußwort, gefolgt von einer Rede des Stiftungsdirektors und Landtagsvizepräsidenten Karl Freller (CSU). Danach sprechen Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) und CID-Präsident General Jean-Michel Thomas. Um 13 Uhr folgt eine Gedenkstunde am ehemaligen "SS-Schießplatz Hebertshausen". Im Anschluss an die Befreiungsfeier lädt der Förderverein für Internationale Jugendbegegnung um 12.45 Uhr zum Tag der Begegnung ins Max-Mannheimer-Haus, Roßwachtstraße 15, ein. Geschäftsführerin Andrea Heller wartet im Vorfeld mit einer erlösenden Nachricht auf: "Wir sind sehr froh - Vera, die Tochter des verstorbenen Dachau-Überlebenden Volodymyr Dshelali, und ihr Ehemann haben die Flucht aus Mariupol geschafft! Noch ist die Familie getrennt - der Enkel von Dshelali ist noch in einer anderen Stadt. Aber Vera und ihr Mann haben dank der Vermittlung meiner Kollegin nun eine Adresse, bei der sie Unterschlupf finden und erst einmal ein paar Tage Ruhe finden können."

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