Süddeutsche Zeitung

Literatur:Die Geschichte des "Kräutergartens"

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Die Einrichtung am nördlichen Stadtrand von Dachau diente in der Jahren von 1938 bis 1945 ganz unterschiedlichen Zwecken. Der Verein "Zum Beispiel Dachau" erinnert mit einem Buch daran, was dort passiert ist und mahnt, das Geschehene nicht zu vergessen

Von Renate Zauscher, Dachau

Forschungslabor, Wirtschaftsunternehmen, Teil der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie: Die Einrichtung am nördlichen Stadtrand von Dachau, die heute als "Kräutergarten" bekannt ist, diente in den Jahren 1938 bis 1945 unterschiedlichsten Zielen und Zwecken. Der Verein "Zum Beispiel Dachau" hat sich intensiv mit der Geschichte dieses Orts befasst und heuer ein mit zahlreichen Fotos illustriertes Buch über den "Kräutergarten" herausgegeben. Monika Lücking vom fünfköpfigen Autoren-Team stellte es am Donnerstag in der Versöhnungskirche auf dem Gelände der Gedenkstätte vor.

"Kräutergarten": Die Bezeichnung für die Einrichtung klingt beruhigend harmlos. Dabei war sie - nach ersten Anfängen in Schleißheim - so projektiert worden, dass die Häftlinge im benachbarten Dachauer "Schutzhaftlager" als kostenlose Arbeitskräfte herangezogen werden konnten. Insbesondere die in Dachau zusammengefassten Priester, viele aus Polen, sollten hier nach dem Wunsch von Heinrich Himmler "einer leichten Gartentätigkeit" nachgehen. Ein bösartiger Euphemismus: Die "leichte" Tätigkeit bedeutete für hunderte von ihnen den Tod. Schon die Vorarbeiten der Urbarmachung des im Grunde ungeeigneten Moorbodens nur mit Hacke und Spaten war Schwerstarbeit, ehe 1938 mit dem Anbau von Calendula begonnen wurde und 1939 die Gründung der "Deutschen Versuchsanstalt für Ernährung und Verpflegung" (DVA) erfolgte. Dachau wurde zum Vorbild für zahlreiche andere Betriebe der DVA, die zuletzt eine Gesamtfläche von 6200 Hektar umfasste.

In Dachau entstanden Verwaltungs- und Produktionsgebäude, die teilweise heute noch stehen, Forschungslabor und Gewächshäuser, ein Lehr- und Schaugarten sowie verschiedenste Werkstätten. Ziel war, mit Blick auf den kommenden Krieg, von Auslandsimporten möglichst unabhängig zu werden. Mit dem Anbau von Heilkräutern wollte man die "deutsche Volksgesundheit" fördern. So experimentierte man unter anderem erfolgreich mit der Herstellung von Vitamin C aus Gladiolenblättern und stellte aus verschiedenen heimischen Zutaten das beliebte "Prittlbacher Gewürz" als Pfefferersatz her. Geforscht wurde etwa zur Kompostgewinnung oder zu Fragen biologisch-dynamischer Wirtschaftsweise. Neben zivilen Angestellten waren auch Häftlinge in diese Arbeiten eingebunden. Selbst die Planung der Anlage war durch einen Häftling erfolgt: Emmerich Zederbauer, Professor für Obst- und Gartenbau an der Universität für Bodenkultur in Wien, der 1938 mit dem sogenannten "Prominententransport" eingeliefert worden war. Die Zahlen der Beschäftigten auf der "Plantage" variierten während verschiedener Phasen. So waren im Sommer 1944 23 Zivilarbeiter der DVA in Dachau, eingesetzt, dazu zehn SS-Angehörige und 1.565 Häftlinge.

So unterschiedlich die Arbeit in den verschiedenen Arbeitskommandos war, so unterschiedlich wurde auch die Beschäftigung auf der Plantage empfunden. Für manchen sei sie "die Hölle" gewesen, sagte Monika Lücking, für andere zumindest ein Stückchen "Himmel", weil sie, etwa beim Tütenkleben für den Versand, in der Bibliothek oder bei der Erstellung eines illustrierten Botanikbuchs, unter Dach arbeiten konnten.

Eine besondere Rolle spielte die Verkaufsstelle an einem der Gewächshäuser. Hier konnte jedermann die Produkte der Plantage einkaufen: Gemüse, Blumen, Gewürze oder Samen. Für die Häftlinge ergab sich hier der ein oder andere Kontakt nach draußen. So gelang es Imma Mack, einer mutigen jungen Frau, die allwöchentlich aus Freising zum Einkauf kam, Medikamente, Briefe oder auch Hostien für die Messfeiern der Priester ins Lager zu schmuggeln. Auch einige Dachauer Familien halfen heimlich auf diesem Weg.

Sehr anschaulich wurde Monika Lückings Buchvorstellung durch die Präsentation zahlreicher, großenteils zeitgenössischer Fotografien. Die Zeit nach 1945 streifte sie nur kurz. Stattdessen nahm sie sich viel Zeit für Fragen aus dem Publikum. So wollte ein Zuhörer etwa wissen, ob es Zusammenhänge zwischen der Forschungsarbeit auf der Plantage und anthroposophischen Denkweisen gibt - ein Zusammenhang, den Lücking bejahte. Auch nach der heutigen Nutzung der noch vorhandenen Gebäude auf dem 1957 von der Stadt Dachau übernommenen Gelände wurde gefragt. Eindringlich vor dem "Vergessen" der geschichtlichen Zusammenhänge warnte die Vorsitzende des Vereins "Zum Beispiel Dachau", Kerstin Cser, die so wie auch Diakon Frank Schleicher auf die vergleichsweise noch vielen authentischen Strukturen auf der ehemaligen "Plantage" verwies. Die Bausubstanz der erhaltenen Gebäude sei gut, sagte Lücking, die Situation bezüglich der Gewächshäuser aber "kritisch". "Nehmen sie teil an den Rundgängen, die wir anbieten", forderte Kerstin Cser die Zuhörer auf, "dann können wir auch gegenüber der Gedenkstätte und der Stadt Dachau belegen, dass Interesse am Erhalt des Vorhandenen besteht."

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SZ vom 18.10.2021
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