75. Jahrestag:Bayern gedenkt der Befreiung des KZ Dachau

Jubelnde KZ-Häftlinge nach der Befreiung des KZ Dachau, 1945

Ende des Nazi-Terrors: Am 29. April 1945 befreien Truppen der US-Armee das Konzentrationslager Dachau. Die Häftlinge jubeln.

(Foto: SZ Photo)

Die Feierlichkeiten, zu denen auch viele Zeitzeugen erwartet wurden, fallen wegen der Corona-Pandemie aus - nicht aber virtuell. Sie fallen in eine Zeit, in der sich antisemitisches Denken verbreitet.

Von Helmut Zeller, Dachau

Nahezu jeden zweiten Tag kommt es in Bayern zu einem antisemitischen Übergriff. Das ist die Bilanz der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) für 2019 - darunter sind Beleidigungen, aber auch Angriffe, Sachbeschädigungen und eine schwere Körperverletzung. Die Rias-Leiterin Annette Seidel-Arpacı warnt vor einer Folge der Corona-Krise: Der Antisemitismus könne durch die vermehrte Verbreitung von Verschwörungserzählungen im Internet noch wirkmächtiger werden. In diese Entwicklung fällt der 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau am 29. April 1945.

Ministerpräsident Markus Söder und die Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) werden am Mittwoch die KZ-Gedenkstätte besuchen und einen Kranz niederlegen. Die Gedenkfeiern mussten wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden - und finden im virtuellen Raum statt. Von rechts und links und aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft - rassistisches und judenfeindliches Denken, das nie weg war seit Kriegsende, verbreitet sich und ist auch in die Parlamente eingezogen. Zugleich werden die Zeitzeugen bald nicht mehr sein - ihr authentisches Zeugnis wird fehlen. Um so nötiger ist die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, seinen Verbrechen, dem Holocaust, und seinem europaweiten Lagersystem, für das das KZ Dachau, im März 1933 eröffnet, das Vorbild war.

"Den Überlebenden rücken in diesen Tagen, in denen ihrer Befreiung vor 75 Jahren gedacht wird, ihre Erinnerungen und ihre Schmerzen besonders nah", erklärte der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner. Etliche wollten anlässlich der ursprünglich geplanten Befreiungsfeierlichkeiten wahrscheinlich zum letzten Mal die Orte ihrer schrecklichen Erfahrungen aufsuchen. In Dachau wurden ungefähr 2000 Besucher erwartet, darunter mehr als 90 Überlebende und Veteranen der 7. US-Armee. In dem Konzentrationslager waren während der zwölf Jahre seines Bestehens mehr als 200 000 Menschen aus ganz Europa gefangen. Mehr als 41 000 Häftlinge im Stammlager und seinen 140 Außenlagern, die bis nach Österreich reichten, überlebten nicht - sie wurden ermordet oder starben an Hunger, Zwangsarbeit und sogenannten medizinischen Versuchen.

Der Pianist Igor Levit wird sein im Internet gestreamtes tägliches Hauskonzert am Mittwoch den Überlebenden der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager widmen. Levit will den Überlebenden damit für ihre jahrzehntelange pädagogische Arbeit als Zeitzeugen und für ihre Verteidigung der Demokratie angesichts des zunehmenden rechtsextremen und antisemitischen Hasses danken, wie erklärt wurde. Die Überlebenden seien "Igor Levit für diese einzigartige künstlerische und menschliche Geste" dankbar, "gerade weil sie sein Engagement und sein Aufbegehren gegen populistische Dummheiten, Verschwörungstheorien und rechtsextremem Hass immer wieder ermutigt", erklärte Heubner am Montag in Berlin. Zu sehen ist das Konzert um 19 Uhr auf dem Twitter- sowie Instagram-Account Levits. Das Auschwitz Komitee hat Levit für seinen Einsatz für Demokratie im Januar mit der Statue "B" ausgezeichnet. Levit spielt seit Beginn der Corona-Krise jeden Abend ein Konzert für seine Fans.

Coronavirus - Pianist Levit gibt Hauskonzert auf Twitter

Pianist Igor Levit widmet sein Hauskonzert an diesem Mittwoch den Lager-Überlebenden.

(Foto: Henning Kaiser/dpa)

32 000 Häftlinge wurden in den späten Nachmittagsstunden des 29. April, eines Sonntags von den amerikanischen Soldaten befreit. Die jungen GIs trafen in dem Lager auf unvorstellbares Leid und Elend. Seit November grassierte eine Typhusepidemie, die insgesamt 15 000 Tote fordern sollte. Im Mai nach der Befragung starben noch Tausende an den Folgen der Fleckfieberepidemie und der Unterernährung. Die jungen Soldaten wurden von den Häftlingen überschwänglich begrüßt, umarmt und geküsst - aber nicht wenige der GIs erlitten beim Anblick der Leichenberge und der abgemagerten, geschundenen Häftlinge ein Trauma, unter dem sie zeitlebens litten.

"In Dachau hat der SS-Staat begonnen, der bis in die Massenvernichtung von Auschwitz führte", schrieb die frühere langjährige Gedenkstättenleiterin Barbara Distel 1985. Und in Dachau endete der völkisch-rassistische Staat, der mit Unterstützung der meisten Deutschen, sechs Millionen europäische Juden vernichtet hat; dem Millionen von Slawen, eine halbe Million Sinti und Roma, Homosexuelle, behinderte Menschen, Zeugen Jehovas und politische Gegner sowie Widerstandskämpfer zum Opfer fielen. Dachau bliebt, sagen die Überlebenden, Mahnung und Warnung für heute und morgen.

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Am Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau jubeln Häftlinge ihren Rettern, den US-amerikanischen Soldaten, zu.

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:Ankunft in der Hölle

Am 29. April 1945 erreichen US-Truppen das KZ Dachau. Was die Soldaten sehen, versetzt sie in einen Schockzustand: Tausende Tote im Güterzug, ausgemergelte Häftlinge. Aber es gibt auch den überschwänglichen Jubel der Geretteten.

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