74 Jahre nachdem die Amerikaner das Konzentrationslager Dachau befreiten, ängstigen sich Holocaust-Zeitzeugen, Vertreter von Opferverbänden und Politiker vor einem wiedererstarkten Antisemitismus. Bei den Gedenkfeiern, die am Wochenende an historischen Orten in der Stadt über die Bühne gingen, zeigten sie sich besorgt angesichts eines neuen Judenhasses und riefen zugleich dazu auf, sich dem entgegen zu stellen.
Vor dem Hintergrund der anstehenden EU-Parlamentswahl am 26. Mai forderten sie zudem, das Friedensprojekt Europa gegen nationalistische Kräfte zu verteidigen.
Vor 74 Jahren wurde das KZ Dachau befreit
Zwar sei das politische Problembewusstsein gewachsen, sagte die Präsidentin der Israelitschen Kultusgemeinde München Charlotte Knobloch bei einer Erinnerungsfeier am jüdischen Mahnmal in der KZ-Gedenkstätte. "Doch die Hoffnung darauf, eine Zeit ohne Judenhass noch zu erleben, in der jüdisches Leben in Deutschland Normalität ist und in der jüdische Gemeinden ohne Panzerglas und ohne Sicherheitsschleusen auskommen, habe ich für mich selbst bereits aufgegeben", so die 86-jährige Holocaust-Überlebende.
Zu groß und zu zahlreich seien die Rückschläge der vergangenen Jahre gewesen. Nicht nur im rechtsextremen Milieu, sondern auch in anderen Teilen der Gesellschaft gebe es inzwischen Tendenzen, "antisemitische Meinungen zu akzeptieren und zu verbreiten". Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) sagte bei einer Gedenkfeier für die Opfer des Dachauer Todesmarsches, die Hemmschwelle für Antisemitismus sinke.
Die Nazis sperrten mehr als 200000 Menschen in das KZ Dachau
Von 1933 bis 1945 sperrten die Nazis mehr als 200 000 Menschen aus ganz Europa in das KZ Dachau und seine viele Außenlager. Mehr als 41 500 Häftlinge wurden ermordet oder starben durch Krankheit, Hunger, Zwangsarbeit und medizinische Experimente. Angesichts der vorrückenden amerikanischen Armee zwang die Lager-SS am 26. April 1945 9000 Häftlinge, sich zu Fuß auf den Weg nach Tirol zu machen. Beim Dachauer Todesmarsch starben mehr als 1000 Menschen. Auf dem Schießplatz Hebertshausen in der Nähe des Konzentrationslagers brachte die Lager-SS in den Jahren 1941 und 42 mehr als 4000 sowjetische Kriegsgefangene um.
"Es droht die Verharmlosung des Nationalsozialismus und seiner Vernichtungspolitik", sagte Jean-Michel Thomas, Präsident des Internationalen Dachau Komitee (CID). Er mache sich Sorgen um die baldigen Europawahlen. Die Demokratie in Europa sei gefährdet. Thomas beobachtet einen "Wiederanstieg des Antisemitismus" und einen radikalen Islamismus. "Die heutige Gefährdung der Demokratie in Europa sollte uns verunsichern."
In Dachau blickt man mit Sorge auf die Eurpawahl 2019
Doch nicht nur Thomas ging auf die Europawahlen in drei Wochen ein. Auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, betonte dass dabei nationalistischen Alleingängen ebenso wie Antisemitismus ein Riegel vorgeschoben werden müsse. "Daher appelliere ich an alle Bürger, wählen zu gehen und europafreundlichen Parteien ihre Stimme zu geben", so Schuster. Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann zitierte in ihrer Ansprache den französischen KZ-Überlebenden Joseph Rovan, der sich gleich nach der Befreiung als Bürger Europas betrachtete und feststellte: "Hier auf unserem Kontinent hat zukünftig jeder Mensch zwei Vaterländer: das seine und Europa."
Und für den bayerischen Kultusminister Michael Piazolo ist Europa die Antwort auf die Frage, wie man verhindern könne, das solche Verbrechen wie im KZ Dachau wieder geschehen. "Die europäische Einigung ist ein Friedensprojekt, das es so noch nie gegeben hat." Das dürfe man bei allen Krisen nie vergessen, sagte er.
Bei einem Pressegespräch betonten Landrat Stefan Löwl (CSU) und Marcin Niedziela, Landrat des Landkreises Oświęcim, wie wichtig die deutsch-polnische Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene ist. Beide Landkreise hätten dazu eine historische Verpflichtung. Es müsse neben dem Europa der Nationalstaaten auch ein "Europa der Kommunen" geben, sagte Löwl. Niedziela, der als neugewählter Landrat erstmals an den Befreiungsfeiern teilnahm, zeigte sich empört angesichts des Rechtsrucks in Europa. Er sieht auch die junge Generation gefragt, die europäischen Werte hochzuhalten. "Die EU steht vor allem für Frieden", sagte er. Das müsse man wieder in den Vordergrund stellen.