Ausstellung in Dachau:Starten Sie die Schneehuhnmaschine

Ausstellung in Dachau: Schwein muss man haben. Petra Steeger, Bettina Paschke und Kira Fritsch (v.l.n.r.) mit Oskar, einem ausgestopften Wildschwein.

Schwein muss man haben. Petra Steeger, Bettina Paschke und Kira Fritsch (v.l.n.r.) mit Oskar, einem ausgestopften Wildschwein.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

"Kira Fritsch rettet die Welt. Bettina Paschke lässt die Grillen zirpen. Petra Steeger erschafft neue Wesen." In der KVD-Galerie zeigen die drei Künstlerinnen eine Ausstellung über Zufluchts- und Sehnsuchtsorte in Zeiten der Krise. Das Resultat ist über weite Strecken unerwartet witzig.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Neuneinhalb Minuten kann man Kira Fritsch in einem Video dabei zu sehen, wie sie an einem Tisch Ingwer-Karottensuppe isst; dann geht es wieder von vorne los. Die Künstlerin hat die Aktion vor zwei Jahren schon mal live bei der "Langen Nacht der Museen" in München durchgezogen, einen ganzen Abend lang, fünf Stunden lang, langsam, unermüdlich. Einer muss die Suppe ja auslöffeln.

Natürlich geht es hier nicht um neue Essrekorde, die Suppe ist eher als metaphorische Brühe zu sehen, angerührt aus all dem menschengemachten Unheil, das Tag für Tag aus den Nachrichtenkanälen über uns schwappt: Klimawandel, Naturzerstörung, Artensterben, Ausbeutung, politische Instabilität. Mit dem Auslöffeln übernimmt Kira Fritsch symbolisch die Verantwortung für alles, was die Menschheit sich so eingebrockt hat. Eine Sisyphus-Arbeit am Suppenteller. Aber solange man den Löffel nicht abgibt, gibt es immer noch Hoffnung.

Ausstellung in Dachau: Kira Fritsch packt die Probleme der Welt aktiv an - mit dem Löffel.

Kira Fritsch packt die Probleme der Welt aktiv an - mit dem Löffel.

(Foto: Niels P. Jørgensen)
Ausstellung in Dachau: Richtiges Werkzeug gesucht: Eine Sammlung "absurder Löffel".

Richtiges Werkzeug gesucht: Eine Sammlung "absurder Löffel".

(Foto: Niels P. Jørgensen)
Ausstellung in Dachau: In dem Altkleiderberg verbirgt sich eine Superhelden-Shorts.

In dem Altkleiderberg verbirgt sich eine Superhelden-Shorts.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Kira Fritsch, Bettina Paschke und Petra Steeger betreiben in ihrer neuen gemeinsamen Ausstellung keine Schwarzmalerei. Der Spirit ihrer Arbeiten schlägt sich auch im Titel ihrer Ausstellung nieder, die nun in der KVD-Galerie zu sehen ist: "Looking for a Safe Place". Seinen künstlerischen Ansatz formuliert das Trio so: "In unseren Arbeiten stellen wir uns Fragen, suchen nach Zufluchts- und Sehnsuchtsorten, nach Schutz und einer Geisteshaltung, die uns handlungsfähig bleiben lässt."

Der Better-Life-Coach würde nun etwas von Resilienz schwadronieren, bewährter ist das alte Hausrezept gegen alle Widrigkeiten: eine Prise Ironie. Das kommt daher auf vier Pfoten - "Oskar", das kleine Wildschwein, steht mitten im Ausstellungsraum, niedlich, ausgestopft und postum domestiziert. Petra Steeger hat ihm Zügel angelegt, an denen ein rechteckiges Stück Filz hängt. Es sieht aus wie eine dieser Fußmatten mit witzigen Sprüchen: "Sind wir sicher oder sollen wir höher klettern?", fragt das Menetekel aus rot aufgestickten Buchstaben. Die Antwort scheint eindeutig. Aber nur auf den ersten Blick: Ist das Höher-Schneller-Weiter nicht das ursächliche Problem unserer Misere? Fällt uns da nichts Besseres ein? Eine geniale Erfindung vielleicht aus dem Land der Ingenieure?

"Ich mag es gerne ein bisschen provokativ"

Na klar. Petra Steeger hat dazu eine fabelhafte "Schneehuhnmaschine" entwickelt, die aussieht wie ein Fleischwolf: Oben werden abgehackte Hühnerfüße eingefüllt (Güsse aus Silikon), unten schaut schon das fertige, komplett gefiederte Bein eines echten Schneehuhns heraus. Vom Schreddern zur Schöpfung. "Ich mag es gerne ein bisschen provokativ", sagt Petra Steeger.

Filzmatten, tote Tiere, das erinnert natürlich schon stark an Joseph Beuys und seine politische Aktionskunst. Petra Steeger lebt und arbeitet in Rostock, ist aber in Kleve aufgewachsen, ganz nah an Düsseldorf und Beuys. "Mit acht war ich auf meiner ersten Fluxus-Aktion", erzählt sie. Da hat sicher auch ein bisschen was auf sie abgefärbt.

Man könnte annehmen, dass diese Schneehuhnmaschine für manche ein richtiger Aufreger ist. Petra Steegers Erfahrungen sind andere. Die Reaktionen der Besucher seien "durchweg positiv" gewesen, erzählt sie. "Viele haben gesagt, sie fänden es toll, wenn es so etwas wirklich gäbe." Vielleicht erleben wir es ja noch. Den Thermomix haben wir schon.

Ausstellung in Dachau: "Schneehuhnmaschine", Objekt mit Schneehuhnfüßen, Latex-Krallen, Filz und Metall von Petra Steeger, 2020.

"Schneehuhnmaschine", Objekt mit Schneehuhnfüßen, Latex-Krallen, Filz und Metall von Petra Steeger, 2020.

(Foto: Niels P. Jørgensen)
Ausstellung in Dachau: In der Werkserie "Glaubst du wir sind sicher" hat Petra Steeger diese Frage auch auf eine alte Rettungsweste gestickt. Löst sich die Weste oder die Stickerei bereits auf, oder bilden sich hier medusenhafte Fangarme?

In der Werkserie "Glaubst du wir sind sicher" hat Petra Steeger diese Frage auch auf eine alte Rettungsweste gestickt. Löst sich die Weste oder die Stickerei bereits auf, oder bilden sich hier medusenhafte Fangarme?

(Foto: Niels P. Jørgensen)
Ausstellung in Dachau: In ihrer Serie mit "Brütlingen" ergänzt Petra Steeger den Korpus einer defekten Babypuppe mit Tierkörperteilen.

In ihrer Serie mit "Brütlingen" ergänzt Petra Steeger den Korpus einer defekten Babypuppe mit Tierkörperteilen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Auch wenn die Welt in großen Teilen schon ein furchtbarer Ort ist, gibt es doch Inseln, die - wenigstens gefühlt - noch intakt sind. Bettina Paschke hat ihren persönlichen Zufluchtsort in einer Wiese gefunden, die sie schon seit Kindertagen kennt. Es wuchern Gras und Disteln, im Sommer zirpen die Grillen. Aber man darf sich durch die Idylle nicht täuschen lassen. Auch hier ist es trockener geworden und heißer, im Winter fällt oft kein Schnee mehr.

So akkurat ihre Zeichnungen sind, sind sie doch nicht naturalistisch. Ihre Strategie sei es, die Dinge umzuformen, um sie in ihre eigene Welt zu integrieren, so Paschke. Gräser, Disteln, Blätter, Blumen, alles wird in Fragmente zerlegt - man könnte auch sagen in Zeichen eines Systems, so wie Buchstaben im Alphabet, die sie wieder zu neuen Worten zusammensetzt, zu einer ganzen Geschichte.

Die vor feinen Strichen strotzende Wiese erscheint von Ferne mal wie weiches Fell, mal wie Vogelgefieder, man sieht wurzelartige Strukturen, "verkorkst und verheddert", wie die Künstlerin sagt. Und wenn daneben gleich eine Rettungsweste mit endlos langen Medusenfäden von Petra Steeger baumelt, ergeben sich in der Gesamtschau immer wieder neue, ja, Anknüpfungspunkte.

Ausstellung in Dachau: Immer wieder zeichnet Bettina Paschke Details aus der sich stetig wandelnden Wiese vor dem Haus.

Immer wieder zeichnet Bettina Paschke Details aus der sich stetig wandelnden Wiese vor dem Haus.

(Foto: Niels P. Jørgensen)
Ausstellung in Dachau: Das systematische Arbeiten mit feinen Strichen gibt manchen Bildern die Anmutung von Drucken eines nicht mehr ganz funktionstüchtigen Tintenstrahldruckers.

Das systematische Arbeiten mit feinen Strichen gibt manchen Bildern die Anmutung von Drucken eines nicht mehr ganz funktionstüchtigen Tintenstrahldruckers.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Erfrischende an dieser Ausstellung ist, dass sie - mit dem Slogan einer bayerischen Markenpartei gesprochen, nahe am Menschen ist. Kira Fritsch, die Dulderin an der Terrine, gibt dem Gefühl der individuellen Überforderung den passenden künstlerischen Ausdruck in Gestalt eines umfangreichen und äußerst vielfältigen Löffel-Sets.

Das Instrumentarium erweist sich bei näherer Prüfung als völlig dysfunktional. Mal hat der Löffel ein Loch, mal fehlt der Griff, mal stellt man fest, dass er konvex ist statt konkav und gar keine Flüssigkeit fassen kann. Ein anderes Exemplar ist aus einer stacheligen Kastanienschale gemacht, man würde sich damit den Mund blutig stechen. Und selbst der aus einem roten Material gegossene Löffel, der einen ganz brauchbaren Eindruck macht, wäre für heiße Suppe ungeeignet. Der Kunststoff fängt bei 60 Grad an zu schmelzen, verrät die Künstlerin. Das ist witzig, zeugt zugleich aber auch von einer gewissen Ernüchterung, was die eigenen Möglichkeiten zur Rettung der Welt angeht.

Eine Gesellschaft von Sklavenhaltern

"Früher habe ich gedacht, dass man die Situation entscheidend verbessern kann, wenn jeder in seinem eigenen Bereich ein bisschen was verändert", sagt die Künstlerin. Von dieser Vorstellung hat sie sich längst verabschiedet. Es gebe heute mehr Sklaverei als zu Zeiten des Kolonialismus, sagt Fritsch. Der Wohlstand jedes Einzelnen beruht auf systematischer Ausbeutung anderer. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO hat eine Seite im Internet eingerichtet, auf der man seinen persönlichen "Slavery Footprint" ermitteln kann. Das Ergebnis ist, man kann es nicht anders sagen, beschämend.

Überraschend ist der Befund leider nicht, wenn man sich den Überfluss an Konsumartikeln ansieht. Ein Berg von Altkleidern türmt sich auf einem Wühltisch in der KVD-Galerie. Fritsch hat die Textilien als Sack voller Lumpen erworben, aber wie in der Büchse der Pandora am Grund die Hoffnung schlummert, findet sich in dem Altkleiderverhau eine kurze Hose mit dem Aufdruck "Superheroes, Limited Edition".

"Als Held wird man nicht geboren", sagt Kira Fritsch. "Helden werden vom Schicksal erwählt. Entweder nimmt man die Bestimmung an oder nicht." Und die Ausstellung zeigt: Dafür muss man nicht zwingend ein Cape tragen, dafür reichen schon ein Paar ausgewaschene Shorts.

"Looking for a Safe Place" von Kira Fritsch, Bettina Paschke und Petra Steeger. Zeichnung, Objekt, Fotografie, Video und Rauminstallation. Öffnungszeiten der KVD-Galerie. Öffnungszeiten: Donnerstag bis Samstag jeweils 16 bis 19 Uhr, Sonntag 14 bis 18 Uhr. Zu sehen bis 14. Mai.

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