Süddeutsche Zeitung

Kunstrasen:Kunstrasenfelder stehen zur Disposition

Die synthetischen Sportplätze geben jährlich 11 000 Tonnen Mikroplastik in die Umwelt ab. Für die Projekte des ASV und TSV 1865 Dachau könnte das Folgen haben.

Von Thomas Hürner, Dachau

Egal ob bei Schnee, Dauerregen oder trockener Hitze: Witterungsunabhängige und pflegeleichte Kunstrasenplätze sind mittlerweile in vielen Sportarten verbreitet, etwa im Feldhockey oder American Football und gerade auch im Amateurfußball. Doch Umweltforscher finden den künstlichen Bodenbelag bedenklich. Kunstrasen ist die drittgrößte Quelle für Mikroplastik, allein in Deutschland werden 11 000 Tonnen pro Jahr in die Umwelt abgegeben - sieben Mal so viel, wie von Kosmetikprodukten verursacht wird. Das ist das Ergebnis einer Studie des Fraunhofer-Instituts Osnabrück, die jetzt auch in Dachau eine politische Debatte über das künstliche Grün angestoßen hat. Naturschützer fordern einen radikalen Rückbau der Kunstfelder, der Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) wünscht sich von den Sportvereinen "alternative Lösungsansätze" - und das könnte Auswirkungen auch auf die Kunstrasenprojekte des ASV und des TSV 1865 haben, die eigentlich schon beschlossene Sache sind.

Sportvereine sind ein Ort der Begegnung, der Integration und des Wettkampfs, sie bereiten junge Menschen aufs soziale Leben vor und helfen älteren dabei, weiter daran teilzuhaben. Dafür braucht es jedoch Angebote und die passende Infrastruktur. Rund 6000 Mitglieder zählen die beiden großen Dachauer Vereine ASV und TSV 1865, ihre Anlagen stoßen an die Belastungsgrenze. Deshalb wird beim ASV für 1,4 Millionen Euro ein zweites Kunstrasenfeld gebaut, der TSV 1865 errichtet ab 15. Juli eines im Sportpark Ost für 1,5 Millionen Euro. Die Vereine müssen für zehn Prozent der Kosten aufkommen, der Rest kommt von staatlichen (30 Prozent) und kommunalen Zuschüssen (60 Prozent).

Aber nun sind die Warnungen der Umweltforscher auch zu den Sportfunktionären und Kommunalpolitikern durchgedrungen. Einem Antrag der SPD-Fraktion im Stadtrat soll die Verwaltung eine Reihe von Fragen klären: Welche Granulate auf den Kunstrasenflächen der Sportvereine in Dachau verwendet werden, welche weiteren geplant sind und welche Risiken für Mensch und Umwelt bestehen. Die Vereine seien beauftragt worden, sich Gedanken zu machen über Varianten, die umweltverträglicher sind, erklärt Oberbürgermeister Hartmann. Im nächsten Schritt, werde man über die Kosten sprechen - "aber die Stadträte haben bereits signalisiert, dass es okay ist, wenn es etwas teurer wird."

Ganz unkompliziert ist die Sache jedoch nicht. Die handelsüblichen Kunstrasenplätze werden zur Befestigung mit Quarzsand befüllt, darüber kommt dann ein Gummigranulat, das meist aus Altreifen hergestellt wird. Die Dachauer Sportvereine planen bisher mit einem umweltverträglicheren Granulat, sogenanntes EPDM-Material, das auch bei Spielplatzgeräten verwendet wird. Es gibt sogar schon moderne Varianten, die ganz ohne Granulat auskommen. Aber damit, erklärt der Planer Michael Luska, gebe es noch keine Langzeiterfahrungen. Unklarheit herrsche auch bei den Dämpfungseigenschaften und darüber, ob sie vereinbar sind mit den Vorgaben der Sportverbände, etwa des American Football Verbands Deutschland (AFVD). Und: Einer der wenigen Hersteller kommt aus der Schweiz, also nicht aus der EU, die eine produktneutrale Ausschreibung verlangt.

Überhaupt müsse man die ökologische Situation ganzheitlich betrachten, sagt Luska. Und tatsächlich haben Kunstrasenplätze dahingehend auch ihre Vorzüge: Sie können je nach Nutzungsintensität zwei bis drei Naturrasenflächen ersetzen, das bedeutet weniger Flächenverbrauch, weniger Ballfangnetze, sie benötigen weniger Wasser und mähen muss man sie auch nicht. Zum Plastik gibt es noch eine Alternative aus Kork, die aber anfällig für Schimmelpilze und deshalb deutlich pflegeintensiver ist als die umweltschädlichen Produkte. Das beeindruckt Kreisrat Roderich Zauscher (Grüne), Kreisvorsitzende des Bundes Naturschutz, nicht sonderlich. Schon länger, sagt er, habe er die negativen Folgen für die Umwelt geahnt, ohnehin brauche es dafür in Anbetracht der Menge an verbauten Plastiks "nicht besonders viel Fantasie".

Die Vereine ziehen umweltfreundliche Lösungen in Betracht

Aber was tun mit jenen Feldern, die dabei helfen, den Spielbetrieb in den Vereinen aufrechtzuerhalten? "Nach und nach zurückbauen", lautet Zauschers radikaler Lösungsvorschlag, "und das auf Kosten der Verursacher". Damit können sich die Sportfunktionäre nun aber überhaupt nicht anfreunden. Die Vereine suchen durchaus einen Ausweg aus dem Dilemma. Der parteifreie Stadtrat Wolfgang Moll, Vorsitzender des TSV 1865, betont, dass der Bedarf für den täglichen Spielbetrieb "unstrittig" sei - "ohne einen zeitgemäßen Allwetterplatz ist das nicht mehr zu stemmen". Und das, so der ehemalige Fußballer Moll, sage er als jemand, der eigentlich nicht der große Fan von Kunstrasenplätzen sei. Das Spiel verliere an Authentizität im Vergleich zu Partien auf dem Naturrasen. Bei vielen Fußballern waren Kunstfelder lange Zeit nicht sonderlich beliebt, weil sie im Vergleich zum Naturrasen das Verhalten des Balls verändern und bei Grätschen schon mal Schürfwunden hinterlassen. Die modernsten Kreationen synthetischer Plätze kommen dem natürlichen Untergrund jedoch erstaunlich nah.

Einer umweltfreundlichen Variante wolle sich Moll jedoch keinesfalls verwehren, im Gegenteil: "Mit dieser Denke rennt man bei uns grundsätzlich offene Türen ein", sagt er, "wir sind aber abhängig vom politischen Willen und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen." Ähnlich schätzt auch Molls Vorstandskollege Andreas Wilhelm die Lage ein. Rund 30 Mannschaften würden den Kunstrasenplatz des ASV nutzen, Tendenz steigend. Und eine wirkliche Alternative zu einem neuen Kunstrasenplatz gebe es nun mal leider nicht. "Die Flächen sind rar in Dachau", sagt Wilhelm, "wo sollten wir denn drei Naturrasenplätze hinstellen?" Die American-Football-Mannschaft etwa besteht seit zwei Jahren und sie braucht zwingend ein neues Feld, wenn sie etwas höherklassiger spielen will: Die Länge des bestehenden Platzes passt nicht mit den Vorgaben des AFVD überein.

Die SPD verweist in der Diskussion auf das österreichische Bundesland Tirol, das bereits komplett auf die Füllung mit gefährlichem Gummigranulat verzichtet. Moll hofft auf eine "zufriedenstellende Lösung" nach intensiven Gesprächen mit der Stadt und den Planern, die jetzt folgen sollen. Für Wilhelm ist klar: "Die Präferenzen haben sich geändert, es funktioniert nicht ohne einen umweltverträglichen Kompromiss."

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Quelle:
SZ vom 18.04.2019
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