Kunstdruck:Worte mit Gewicht

Buchvorstellung Haiku

Der Dichter Michael Groißmeier leistet die Kopfarbeit. Für das Kunsthandwerkliche sind Klaus Eberlein, Willi Beck und Günther Urban zuständig.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Der Dachauer Dichter Michael Groißmeier, Buchdrucker Willi Beck und die Grafiker Klaus Eberlein und Günther Urban führen in der KVD-Galerie vor, wie ein außergewöhnlich kunstvoll gestalteter Gedichtband mit Haikus entsteht

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Mit flinken Handbewegungen ordnet Willi Beck die Buchstabenplättchen auf der Presse an. Sie ist ein Relikt aus der Zeit, in der das gedruckte Wort einem handwerklichen Meisterwerk glich. Während Buchdrucker Willi Beck den Besuchern der KVD-Galerie den Entstehungsprozess mit routinierter Gelassenheit vorführt, wirkt das auf ein Plakat gedruckte Credo im Hintergrund noch deutlicher. Hier heißt es: "Im Bleisatz hat das Wort noch Gewicht." Ein Wortspiel, das auf den langwierigen Druckprozess, das verwendete Material und gleichzeitig auf die hohe Kunst sprachlicher Prägnanz anspielt. So könnte es nicht besser in diesen Abend passen: In der Mitte der hell ausgeleuchteten Räume der Künstlervereinigung Dachau sitzt Dichter Michael Groißmeier an einem weißen Holztisch. Der 83-Jährige beginnt zu erzählen, im warmen Dialekt der Region und in bayerisch-direkter Manier. Vielleicht ist sie es, die den unerwarteten Bogen zu der poetischen Form spannt, die Groißmeier an diesem Abend vorstellt: das japanische Haiku. Das "hai" im Wort stehe für Beständigkeit, die zweite Silbe werde mit "Vers" übersetzt, erklärt Groißmeier. Der Dachauer Lyriker ist weltweit bekannt für seine Werke, selbst in der Haiku-Heimat Japan werden seine Gedichte übersetzt.

Die lyrische Kunstform der Japaner folgt dabei stets einem strikten Schema. Ein Haiku besteht stets aus 17 Silben, reimen muss es sich nicht zwingend. Doch jedes Haiku soll einer Jahreszeit entsprechen, durch ein in der Natur entdecktes Sinnbild. Groißmeier beginnt mit einem Beispiel des Frühlings, es handelt von Jasminduft und einem sich daraus "destillierenden Gedicht".

Für die Interpretation der japanischen Gedichtform wurden diverse Regeln erschaffen, erklärt Groißmeier den Besuchern der Galerie. So soll ein Haiku stets ein natürliches Bild, ein Polpaar an Ausdrücken, Bewegung, ein Symbol und - als Essenz des Ganzen - einen versteckten Sinn enthalten. Groißmeier selbst sieht solche akademischen Analysen jedoch skeptisch, er habe das "schon im Deutschunterricht nicht gemocht", sagt er. Ein Haiku müsse man vielmehr "mit eigenen Intentionen fühlen". Das lyrische Werk diene dabei nur als Kurzanleitung, als Anstoß für den Leser und Generator einer "blitzartigen Erkenntnis". Um diese wirken zu lassen, legt der Autor an diesem Abend zwischen dem Lesen seiner Haikus kurze Pausen ein, so können sich die Worte in den Köpfen der Besucher setzen.

Die Schwierigkeit deutscher Haikus liegt in den sprachlichen Unterschieden: Das Japanische enthält zum Beispiel keine Pronomen, die Sätze bleiben so meist kürzer und prägnanter. Im Deutschen wird genau diese Prägnanz zur großen Herausforderung, doch für Dichter Michael Groißmeier liegt genau darin die Faszination für diese Form der Lyrik: Für lange Ausführungen fehle ihm die Geduld, erklärt er. Die Kunst der Kürze scheint ihm vielmehr eine faszinierende Herausforderung, vollführt in dem "kleinsten lyrischen Gebilde der Welt". Dass sich der Dichter mit dem Hang zur Prägnanz mit dem Künstler des schwertragenden gedruckten Wortes vereint, liegt auf der Hand. Entstanden ist ein Werk mit 70 Haikus von Michael Groißmeier, im Bleisatz gesetzt und gedruckt von Willi Beck.

Damit nicht genug: Die Illustration des Werkes übernahmen zwei weitere Künstler aus dem Landkreis: Klaus Eberlein und Günther Urban. Orientiert an dem naturorientierten Grundgerüst der japanischen Lyrik setzten sie verschiedene Beobachtungen aus der heimischen Landschaft um. Auf Eberleins Radierungen tummeln sich Käfer, Würmer und Libellen, Steine und Blumen zieren die Werke in dunklen Farbnuancen. Die Farbholzschnitte von Günther Urban zeigen Szenen aus der Natur hingegen in bunten Farben, von Pastellgelb und Moosgrau bis hin zu leuchtendem Blau und Grün. Mehr als ein Jahr lang waren die Künstler mit dem Werk beschäftigt. Entstanden ist ein Buch mit rotem Einband und goldenen Verzierungen. 35 Exemplare wurden gedruckt, alle sind von den Künstlern handsigniert und mit Bleibuchstaben nummeriert. Wer eines von ihnen in den Händen hält, kann die gelungene Symbiose der Kunstformen und Kulturen erkennen: ein Werk mit Gewicht, dank detailverliebter Handarbeit und Poesie.

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