Süddeutsche Zeitung

Kunst zum Jubiläum in Dachau:Bilder keiner Ausstellung

Lesezeit: 3 min

Künstler aus Dachau und Oświęcim zeigen sich auch im 30. Jahr ihrer Freundschaft kreativ: Sie präsentieren trotz Corona eine kleine Schau mit großem Katalog

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Mittags um eins in der Neuen Galerie Dachau: Landrat Stefan Löwl, Oberbürgermeister Florian Hartmann sowie Marese Hofmann in Doppelfunktion als die stellvertretende Landrätin und Partnerschaftsbeauftragte sind gekommen, um den Katalog einer Ausstellung zu präsentieren - einer Ausstellung, die nie stattgefunden hat und in der geplanten Form nie stattfinden wird. Denn eigentlich sollten heuer dreißig Jahre Künstlerfreundschaft sowie fünf Jahre Landkreispartnerschaft zwischen Dachau und Oświęcim (vielen immer noch besser als bekannt als Auschwitz) groß gefeiert werden: mit einer umfassenden Ausstellung in Dachau und Freising sowie einem fröhlichen Fest. Alles abgesagt, so wie schon die Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau und unzählige andere Veranstaltungen, in die deren Organisatoren viel Zeit und Herzblut gesteckt haben.

Doch die sogenannte "neue Normalität" kann in Corona-Zeiten bisweilen ausgesprochen kreative Blüten treiben. Diese entfalten ihre Leuchtkraft zwar nicht im gleißenden Licht von Schweinwerfern, begeistert klatschendem oder johlendem Publikum und ewigen Adabeis, sind aber gerade deshalb von besonderer Intensität. Genau das trifft auf die aktuelle Ausstellung in der Neuen Galerie Dachau zu. "Dachau - Oświęcim, Bilder keiner Ausstellung" heißt sie. Und ist viel mehr als ein Ersatz für die geplante große Schau. Von dieser gibt es nun nur besagten Katalog. Bedauern ist die erste Empfindung beim Blättern. Was wären das für ein Erlebnis geworden, all diese Zeichnungen, Skulpturen, Installationen, Plakate, Fotografien und Gemälde in natura zu sehen. Da möchte man am liebsten sofort los und die Künstlerinnen und Künstler in Dachau und Oświęcim in ihren Ateliers besuchen. Doch es bleibt erst einmal nur die Vorfreude auf 2022, wenn hoffentlich viele dieser Arbeiten in Dachau ausgestellt werden.

Doch da ist ja noch "Bilder keiner Ausstellung". Und die haben es in sich. Heiko Klohn und Florian Marschall haben etliche Werke polnischer Künstler, die sich bereits in Dachau befinden oder den Weg über die immer noch geschlossenen Grenzen geschafft haben, in die Neue Galerie geholt. Dazu gibt es neue Arbeiten Dachauer Künstler, die diese eigens für die Großausstellung geschaffen haben. Es ist die pure Freude, mit Klohn und Marschall diese Werke zu betrachten. Klohn hat vor dreißig Jahren zusammen mit seinem polnischen Kollegen Paweł Warchoł den Grundstein für die lange Künstlerfreundschaft gelegt. Alles hatte mit einer Ausstellung von 15 Künstlern der späteren Gruppe D in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Oświęcim begonnen - zu einer Zeit also, in der in Dachau noch heftig über die von Künstlern der Gruppe D unterstützte Einrichtung einer Jugendbegegnungsstätte diskutiert wurde. Nachdem die Gruppe D "irgendwie im Sande verlief", wie Klohn beim Rundgang erzählte, hätten er und Warchoł "einfach weitergemacht". Die längst wieder prosperierende Künstlerfreundschaft war vor fünf Jahren Auslöser der Landkreispartnerschaft.

"Kunst als Vorreiter für eine Partnerschaft ist nicht alltäglich", sagte Landrat Löwl dazu. Nicht alltäglich ist auch die spürbare tiefe Verbundenheit mit ihren polnischen Kollegen, die Klohn und Marschall ausstrahlen. Beinahe liebevoll erklären sie jedes Detail, etwa eine wunderbare Skulptur mit unzähligen Händen des Bronzegießers Remigiusz Dulko oder die Plakate Paweł Warchołs. Selbsterklärend sind dagegen Florian Marschalls Abstandshalter - rot-weiß gebänderte, exakt 1,50 Meter lange Holzstäbe mit Fahrradklingel, die beim Rundgang natürlich im Einsatz sind. Die Gadgets sind ebenso von Anti-Corona-Maßnahmen inspiriert wie seine 16 Zeichnungen mit diversen Toilettenpapieren.

Heiko Klohns bekannter Elefantenriese schaut majestätisch im Eingangsbereich der Neuen Galerie auf die Menschlein, die da kommen und gehen. Annekathrin Norrmanns nur noch als Schatten sichtbarer Basaltlöwe ist ein Mahnmal an die Zerstörung von Kunstwerken durch Krieg und Terror. Anna Rosa Lea Dietzes Multimediainstallation ist bedauerlicherweise nur teilweise zu sehen: ein nur auf den ersten Blick niedliches Mädchenzimmer mit allerlei Krimskrams. Unübersehbar sind dagegen Wolfgang Sands Holzskulptur "Überhitzt" und eine Installation mit Mundnasenschutz aus Blei - Symbol für eine bleierne Zeit? Nein, "Bilder keiner Ausstellung" sprüht vor Lebendigkeit, macht betroffen in Erinnerung an die schreckliche Vergangenheit von Dachau und Oświęcim und macht Hoffnung. Denn "wichtig sind nur die Tage, die wir nicht kennen, wichtig sind die wenigen Momente auf die wir warten". Das hat Pawel Warchoł in seinem Vorwort zum Katalog einer Ausstellung geschrieben, die nicht stattgefunden hat.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4922351
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 30.05.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.