Kunst im Wasserturm:Ewige Vergänglichkeit

Aufgelöste Gegensätze: Gabriele Middelmann präsentiert im Wasserturm Kunst ohne Grenzen

Von Petra Neumaier, Dachau

Zeit! Für Gabriele Middelmann ist sie genauso vergänglich wie beständig. Weit und dehnbar und doch winzig und starr. Flexibel im Raum. So angepasst wie Grenzen setzend. Für die Künstlerin gibt es keine starren Muster für Zeit, so wie es für sie auch keine Grenzen in ihrer Kunst gibt. Leichtes lässt sie wie Schweres aussehen, Vergänglichem verleiht sie Ewigkeit. In Schriften, Fotografien, mit Farben und Papier, auf Holz, Buchdeckeln und auf Leinwand. Und das oft und gerne miteinander kombiniert, übereinander, untereinander nebeneinander und in einer einzigartigen Symbiose aus Farben, Strukturen, Gefühl und Seele. Denn Gabriele Middelmann bleibt in ihren Werken nicht an Oberflächen stehen, sie geht weiter und erzielt dabei Effekte, die zum Staunen bringen. So auch in ihrer Ausstellung im Dachauer Wasserturm.

Raum und Zeit gehören für die sympathische 56-Jährige zusammen. Genauso, wie für sie Malerei, Fotografie und Bildhauerei nicht getrennt existieren. "Nur Malen wäre doch wie jeden Tag Spaghetti essen", sagt die Künstlerin lachend, die wie selbstverständlich auch das Wort nicht außer Acht lässt: Zu fast jedem ihrer Werke gibt es einen Text - selten ist er neben dem Bild, wie bei der "Magnolien-Hochzeit". Und nur hin und wieder wird er sichtbar, in Fragmenten unter Farben durchscheinend oder hineingekratzt. Meist sind die Gedanken Gabriele Middelmanns, die stets am Anfang eines jeden Werkes stehen, unter den Schichten aus Farben und Materialien versteckt. "Die Energie der Wörter geht trotzdem hindurch", ist sie überzeugt.

Kunst im Wasserturm: Dieses Werk der Künstlerin Gabriele Middelmann trägt den Titel "touched" und ist in der Ausstellung im Wasserturm zu sehen.

Dieses Werk der Künstlerin Gabriele Middelmann trägt den Titel "touched" und ist in der Ausstellung im Wasserturm zu sehen.

(Foto: Toni Heigl)

Die klare Strukturierung ihrer 70 Werke, die sie auf drei Stockwerke des Wasserturms verteilt hat, macht dies deutlicher. Im ersten Stock sind abstrakte Bilder (abgesehen von einem Selbstbildnis, zu dessen Präsentation die Künstlerin erst ein Freund überreden musste). In ihnen hält die gebürtige Nordrheinwestfälin, die viele Jahre in Haimhausen ihr Atelier hatte, Vergänglichkeiten fest. Gabriele Middelmann geht viel hinaus. Schaut dem Geben und Nehmen zu, dem Gehen und Vergehen und seinen einzelnen Stadien. Prozesse in der Natur, aber auch in Materialien. Mauern haben es ihr dabei besonders angetan. Ausschnitte gibt sie wieder, vergrößert und bis ins kleinste Detail. Ihre Altersfurchen, ihr Bröckeln, ihre vermeintlich trotzige Stärke und gleichzeitige zerbrechliche Vergänglichkeit. Durch oft jahrelanges Experimentieren gelingt es ihr, leichten Materialen ein gewichtiges Aussehen zu verleihen: Die blechernen, abgewetzten Engelsflügel, die aus einer massiven Mauer schweben, bestehen wie jene selbst lediglich aus Papier. Selbst die rostigen Stahlplatten sind nur eine Illusion ihrer selbst. Um diese Effekte zu erreichen, verwendet die experimenttierfreudige Künstlerin Lasuren, die nicht decken, die durchscheinen, und in vielen, in oft fast unzähligen Schichten und Farben aufgetragen werden. Dreidimensionalität entsteht dabei ganz natürlich. Auch durch die verwendeten Materialien wie gebundene Steinmehle. Dabei hält sich Gabriele Middelmann, die trotz ihres Umzugs nach Fahrenzhausen seit vielen Jahren Mitglied der Künstlervereinigung Dachau ist, auch nicht immer an Formate. "Ich finde, dass Kunst darüber hinausgehen darf. Wie auch das Leben selbst", sagt sie fröhlich.

Künstlerisch geht sie diesen Weg auf jeden Fall, wie auch die zweite Abteilung beweist, in der sie ihre Fotografien zeigt. Nahaufnahmen der Vergänglichkeit, die sie respektvoll und einfühlsam durch Malerei und Materialien überstreicht. Schwarz-weiß sind die Fotografien, die wie Gemälde aussehen und doch lebendig im Ausdruck sind: der Oldtimer im Wald, der Waschraum in der längst toten Fabrik. Stets sind nur Ausschnitte gezeigt, die beim Betrachten aber Raum geben, das Ganze zu sehen.

Kunst im Wasserturm: Gabriele Middelmann ist eine preisgekrönte Künstlerin und Dozentin an internationalen Kunstakademien. Ihr Blick geht durch die Oberfläche von Dingen und Menschen zum Wesen.

Gabriele Middelmann ist eine preisgekrönte Künstlerin und Dozentin an internationalen Kunstakademien. Ihr Blick geht durch die Oberfläche von Dingen und Menschen zum Wesen.

(Foto: Toni Heigl)

Ungebrannter Ton auf kleinen Holzkisten wirkt wie Miniaturen aufgebrochener Erde einer ausgetrockneten "Wasserwüste"; unter einer dicken Schicht auf den Buchdeckeln alter Bücher verkrusten die Wörter von Goethes Gedichten. Ein großes Bild ist sogar komplett mit Wachs überzogen - Gegensätzliches abstrakt aufgelöst. Gabriele Middelmann überlegt. "Durch die Ausschnitte der Gegenstände komme ich in die Abstraktion", erklärt sie und kreiert mit "Gegabstraktion" amüsiert gleich ein neues Wort ihrer Kunst.

Auf der dritten Ebene endet jene im Warten. In Bildern von Räumen, Stühlen und Sesseln, die einst bessere Zeiten gesehen haben, aber noch immer stehen. Irgendwo in Fabriken, in der Umgebung, aber auch in Italien und Frankreich. Ihre Kamera, ihr Auge für das, was ihre Umgebung an Kunst bietet und was man daraus machen kann, trägt Gabriele Middelmann ja stets mit und in sich. Und so ist ihre Ausstellung auch schon nicht mehr das, was sie aktuell beschäftigt, sondern nur eine Erinnerung an das abgelaufene Jahr, an die Zeit, die in ihrem künstlerischen Werdegang Vergangenheit ist. "Meine Ideen hören ja nie auf."

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