Den kleinen Schwips gibt es schon für einen Euro, man muss nur die Münze in den Schlitz werfen und den Schalter bis zum Anschlag nach links drehen, schwups, schon kommt eine kleine Plastikkugel aus dem roten Automaten gekullert, Inhalt: „Edle Tropfen in Nuss“ oder „Mon Chérie“. Man weiß nie, was man bekommt.
In der KVD-Galerie haben sie den Schnapspralinenspender natürlich aus gutem Grund aufgestellt. „Damit finanzieren wir unsere Ausstellung“, sagt der Vorsitzende der Künstlervereinigung Dachau (KVD), Johannes Karl. Und lacht. Das ist natürlich nur ein Scherz.
Das Gerät illustriert das launige Thema der diesjährigen Mitgliederausstellung der KVD, „Rausch“. Auf gut Bairisch ein „Fetzenrausch“, auf dem Plakat hat das „R“ im „Rausch“ schon die Orientierung verloren und streckt seinen Allerwertesten nach links statt nach rechts. Eine „besoffene Geschichte“ ist das keineswegs. Wie vom Vorstand zu erfahren ist, wurde das Thema, ganz nüchtern, auf einer ordentlichen Mitgliederversammlung der KVD zur Abstimmung gestellt und mehrheitlich für gut befunden.
66 Arbeiten von 39 Künstlerinnen und Künstlern werden hier gezeigt, in unterschiedlichsten Techniken und Stilen und auch mit sehr verschiedenen Ansätzen. Kuratiert ist hier nichts, entsprechend wild ist die Mischung, zwischen sinnlicher Opulenz und Wahrnehmungsstörung, zwischen Ekstase und Kater, zwischen Lebenslust und Todesgefahr. Das Gemälde von Dörthe von Haniel kann man dahin gehend schon als ernsten Warnhinweis lesen: „Don’t do Drugs – Mörderischer Rausch“. Aus einem grauen Geflecht sprießt ein Gewächs in giftigem Neongelb, vermutlich ein psychoaktives Schwammerl aus dem Urwald.
Ein Kunstwerk für 32 000 Euro, das ist mutig
Noch ernster wird die Sache in der Arbeit von Dieter Navratil, sie trägt den hochdramatischen Titel „überlebt“ und ist für Nichtmediziner einigermaßen verstörend. Drei großformatige Bilder in Mischtechnik zeigen eine Herzoperation, zwei der Arbeiten kosten 8400 stolze Euro, für die dritte ist auf der Preisliste der KVD die sagenhafte Summe von 32 000 Euro angegeben. Was das mit dem Rausch zu tun hat? Man weiß es nicht so genau. Und vielleicht ist genau das des Pudels verwackelter Kern.
Im Rausch verschwimmen die Grenzen, die Orientierung kommt ins Wanken, so wie in Wolfgang Feiks abstrakten Fotografien, der „Stadtwald“ löst sich darin auf in einem Gewirr bunter Linien. Wüsste man es nicht besser, man würde diese Fotografien zu Zeichnungen mit Wachskreide deklarieren. Es sind nicht die einzigen Werke dieser Ausstellung, in der sich Formen und Farben aus der fest gefügten Ordnung befreien und sich in künstlerischer Freiheit austoben; so ist es in Anna Kroschewskis Acrylbildern, so ist es auch in Andreas Kreutzkams Holzschnitten.
Manchmal ist der Rausch auch nur Metapher: Die Schmuckkünstlerin Ulrike Kleine-Behnke versetzt Silberketten in einen „Blätterrausch“, bei Paul Havermann sind es die Blumen, die in einen „Farbrausch (Rot)“ geraten, Ähnliches vollzieht sich bei der Malerin Mari Dettloff am Himmel als „Wolkenrausch“. Die Bildhauerin Monika Siebmanns formiert ihre Eisenfiguren zu einem Ring der zwischenmenschlichen Verbundenheit: Der thematische Bezug wird im Titel nachgereicht: „In Rausch und Bogen“.
Doch nun zum blonden Gift aus Bayern: Die Arbeit von Johannes Karl ist eine Fotografie mit dem schlichten Titel „Bier“. Auf schwarzem Grund leuchtet das schwitzende Glas mit seinem bernsteingelben Inhalt, schaumgeboren und verheißungsvoll wie eine Heiligenikone – und ist am Ende doch nur eine perfide Illusion. Das vermeintliche Bier besteht aus gefärbtem Kunstharz, die Schaumkrone ist ein Stück Schaumstoff. Trotzdem ist das Verlangen sofort geweckt. Schon die Aussicht auf den Rausch ist ein Glücksversprechen. Man darf es halt nur nicht übertreiben beim Gelage.
Was passieren kann, wenn der Kipppunkt einmal überschritten ist, zeigt Michi Brauns Upcycling-Werk „Eine zu viel“: Aus einem durchbrochenen Barhocker ragen zwei Beine hilflos in die Luft, die schwarzen Stiefel haben den Boden unter den Füßen verloren. Schon ein Stück über dem Eichstrich angesiedelt ist auch Alfred Ullrichs Readymade mit dem hübsch Wienerisch angehauchten Titeln „5 Quartln“. Dahinter verbirgt sich ein zweiteiliges Gedeck: ein Masskrug aus Steinzeug, darüber eine kreisförmige Aureole aus Bierfilzmasse, angepinnt an der Wand. Ein bisschen Dada, ein bisschen Chin-chin.
Die Party ist vorbei, die Welt ist im Eimer
In seiner Tuschezeichnung eines E-Scooters vor einer Hecke setzt Florian Marschall künstlerisch „die Geschichte einer Trunkenheitsfahrt“ um, wie er sagt. Der Titel „130 Meter“ verweist auf die zurückgelegte Strecke, der Preis von 3306,42 Euro beziffert die damit verbundenen Kosten. Ein ziemlich teurer Spaß. Wenn der Rausch vorbei ist, beginnt die Reue. In der Installation „Kehraus“ des Bildhauers Wolfgang Sand scheint die große Party der Menschheit insgesamt schon vorbei zu sein, die Welt ist im Eimer. Wortwörtlich. Die Kehrschaufel liegt noch auf dem Eimerrand.
Einer der interessantesten Arbeiten dieser Ausstellung stammt von Oliver Hein. Eine von Motoren angetriebene wackelige Drahtkonstruktion tunkt einen Pinsel immer wieder in ein Schälchen mit Wasser, um es sodann über eine Schieferplatte zu führen. Der dünne Wasserfilm verdunstet langsam, so ergeben sich immer wieder neue Muster auf der Platte. Die mechanische Wiederholung der Pinselbewegungen hat etwas Manisches, es ist ein künstlerisch-maschineller Arbeitsrausch, ein permanentes Ankämpfen gegen das Verschwinden.
Vielleicht ist das eine Erklärung für das Wesen des Rausches, aber auch für die Kunst. Es ist eine Art, das Leben gegen die Endlichkeit zu behaupten. Eines der letzten Bilder dieser Ausstellung, die Nummer 63 von 66, gibt der Ausstellung dann noch eine Art Schlusswort. Martin Off lässt in seiner Collage eine Wiesenbedienung auflaufen, mit sechs Maßkrügen auf dem Arm. Die Spalten auf dem linierten Papier sind leer, denn kein Rausch währt ewig. Überschrieben ist das Bild mit den Worten „Aus is’“.
„Rausch“, Mitgliederausstellung der KVD, Vernissage am Donnerstag, 5. Dezember, um 19.30 Uhr in der KVD-Galerie. Die Ausstellung geht bis 22. Dezember.