Süddeutsche Zeitung

Kultusministerium fördert Kunstprojekt:Kreativität statt Noten

Tanzen, musizieren, fotografieren: Kinder der Greta-Fischer-Schule lernen bei einem Kunst-Kultur-Projekt, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen und selbst etwas zu entwickeln. Fünf Künstler leiten sie dabei an - die Schüler spüren keinen Zwang und Druck

Von Christiane Bracht, Dachau

Zeit, sich zu entfalten, Dinge auszuprobieren und dabei sich selbst zu entdecken haben Kinder und Jugendliche kaum noch. Überall winken Noten. Nichts wird dem Zufall überlassen. Es gilt Ziele zu erreichen, Leistung zu bringen, Lehrpläne zu erfüllen. Dass man auch ohne dieses enge Korsett viel lernen kann, entdecken derzeit die Lehrer der Greta-Fischer-Schule in Dachau neu. Seit Mitte Januar kommen 70 Schüler jeden Mittwoch bis zu drei Stunden lang dem "Zufall" auf die Spur. Nicht irgendwie natürlich, sondern zusammen mit Künstlern - die Lehrer schauen zu. Einmal in der Woche stehen nicht Leistungen im Vordergrund, die mit Noten bewertet werden, sondern Kreativität und Teamwork. Die Neun- bis 14-Jährigen dürfen dann in Workshops Theater oder Filme machen, fotografieren, tanzen, Geschichten erzählen oder zusammen musizieren - je nachdem, was ihnen am Besten gefällt. Fünf Künstler hat die Schule für dieses Projekt ausgewählt, die auf ihre Weise die Kinder und Jugendlichen zu Spontaneität ermutigen und mit ihnen zusammen etwas entwickeln. Am Mittwoch, 9. Mai, zeigen die Gruppen von 14 Uhr an, was sie in vier Monaten erarbeitet haben.

Das Bayerische Kultusministerium hat den Anstoß für dieses Projekt namens "Kunst-Kultur-Tag" gegeben. "Wir sind ausgewählt worden", erklärt die Schulleiterin Gabriele Oswald-Kammerer. Zwei Lehrerinnen durften am Coaching der Stiftung Nantesbuch teilnehmen. Dabei lernten sie, wie man Kinder und Jugendliche über Kunst oder Natur schulen kann. Die Dachauer Greta-Fischer-Schule ist die einzige Förderschule in Oberbayern, die das Projekt nun trotz der hohen Kosten umgesetzt hat. Rund 15 000 Euro muss die Schule dafür aufbringen. Der Landkreis und der Lions-Club München helfen bei der Finanzierung. Noch hofft Oswald-Kammerer aber auch auf die Unterstützung der Sparkasse oder anderer Sponsoren.

"Die Tänzerin Ellen Steinmüller kitzelt viel mehr aus den Kindern heraus, als die Lehrer es mit ihrem pädagogischen Ansatz könnten", begeistert sich die Schulleiterin. "Die Künstler gehen einfach viel offener und unverkrampfter heran und lassen die Schüler mehr gewähren." Der Schwerpunkt bei diesem Projekt ist der Prozess, nicht das Ergebnis. Die Lehrer könnten sich hier vielleicht manches für ihren eigenen Unterricht abschauen und künftig integrieren.

Besucht man die Gruppen, merkt man sofort, mit welchem Feuereifer die Kinder und Jugendlichen dabei sind. Die kleinen Maler und Fotografen zeigen stolz ihre Werke. Die Tänzer geben ihr Bestes bei der Choreografie. Dabei machen sie keineswegs nur das, was man ihnen sagt. Ella Steinmüller, die die Gruppe leitet, animiert die Teenager dazu, sich selbst ein paar Figuren zum Rhythmus auszudenken und diese zu variieren. "Sie sollen ihren Körper kennen lernen, ihre Kreativität entfalten, Selbstbewusstsein entwickeln", erklärt die Tänzerin. "Und sie sollen aufeinander achten, sich gegenseitig Respekt zollen, im Team arbeiten." Steinmüller ist begeistert von dem, was die Schüler bereits können, und freut sich, wenn wieder jemandem "ein Licht aufgegangen ist". Viele dieser Kinder haben keinen Zugang zu kulturellen Angeboten, weiß Steinmüller. Sie schätzt die liebevolle Atmosphäre, die die Lehrer und Schulleiterin ihr entgegenbringen und das große Verständnis.

Die Nervosität vor dem großen Auftritt ist jedoch langsam zu spüren. Steinmüller weiß dies geschickt abzufedern. Obwohl sie selbst auch "nervös" wird. Die Kinder liegen im Kreis auf dem Boden, die Füße beieinander. "Konzentriert euch", ermahnt die Tänzerin. "Wenn es beim letzten Mal nicht so gut war, dann macht's jetzt besser - mit viel Energie und Selbstbewusstsein." Die Musik beginnt, die Schüler erheben sich langsam. Dann beginnt einer nach dem anderen den Rhythmus zu spüren und sich danach zu bewegen. Der eine zaghaft, der andere versucht kunstvolle Hiphop-Figuren, der dritte dreht sich. "Super war das", lobt die Tänzerin. Zwischendurch ermahnt sie ihre Kinder, im Takt zu bleiben. Es macht Spaß zuzuschauen.

Auch die Fotografin Silvia Kirchhof aus Altomünster ist begeistert. "Anfangs war ich sehr streng", gibt sie zu. Sie hat die Kinder animiert, nach einer Idee des britischen Künstlers David Hockney einander zu fotografieren. Danach sollten sie nach eigenem Gutdünken die Detailaufnahmen zu einer Komposition zusammensetzen. "Erst haben sie nicht verstanden, wie es gedacht ist. Das war schwierig und sie waren genervt, dass ich sie so getriezt habe", sagt Kirchhof. "Aber jetzt sind sie froh und stolz auf das, was sie geschaffen haben."

Kreativ war auch die Malgruppe, die aus Kaffeeflecken Figuren gestaltet oder Landschaften herausgearbeitet hat, passend zum Thema des Projekts "Zufall". Es gründet sich auf den Ausspruch von Ebo Rau: "Die besten Dinge verdanken wir dem Zufall . . . doch wir müssen dafür bereit und offen sein." Offen für diesen Ansatz zeigt sich die Greta-Fischer-Schule schon jetzt, bevor das Projekt überhaupt beendet ist. Einmal in der Woche können die Kinder vor Schulbeginn zum Malen kommen oder auch Yoga machen. Ganz frei, ohne Druck.

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SZ vom 04.05.2018
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