Kultur-Schranne Dachau:Monotone Eruptionen

Starke Momente sind nicht alles, vor allem, wenn sie übergangslos aneinander gereiht werden. Das Konzert des "Charles Gayle Trios" war ein weitgehend träger Abend.

Andreas Pernpeintner

Es ist 22.30 Uhr in der Dachauer Kultur-Schranne, und bislang gehört der Auftakt zur diesjährigen Frühjahrsreihe des Jazz e.V. nicht nur wegen der 50-minütigen Pause zu den trägsten Abenden, die man im Dachauer Jazzclub jemals erlebt hat. Es ist freilich nicht so, dass die Musik des amerikanischen "Charles Gayle Trio" von vorne bis hinten fad und kontrastlos wäre. Das ist sie nicht. Man erlebt sogar grandiose Momentaufnahmen: Charles Gayles außergewöhnlichen Stil am Jazzklavier zum Beispiel. Völlig versunken kauert er über der Klaviatur, spielt weniger pianistisch, sondern entlockt dem Klavier mit Ganzkörperimpulsen bleischwere Cluster, rhythmisch zerklüftete Intervallketten, leise Schwebeklänge, wie beiläufig hingeschleuderte Läufe, die mit voller Absicht durcheinanderpurzeln, in die Brüche gehen. Und ebenso kompromisslos in der Ausdrucksintensität ist auch Gayles Saxophonspiel: brachiale Eruptionsklänge, schrill, quietschend, hemmungslos überblasen, Linien, deren Schönheit Gayle zur melodischen Karikatur dekonstruiert und die gerade deshalb aufhorchen und hinhören lassen. Hinzu kommen mit Michael Wimberly ein Schlagzeuger, der bei manch furios polterndem Solo aus der Erstarrung erwacht, und mit Larry Roland ein wundervoll lyrischer Kontrabassist. Dessen Solobeiträge sind von mitunter tiefer Nachdenklichkeit. Man erahnt ihre Schönheit sogar im hinteren Teil des Raumes, wo das Schrannenpersonal in professioneller Selbstaufgabe auch während der leisesten Passagen Besteck sortiert und aus der Küche Popmusik aus dem Lautsprecher erklingen lässt. Peinlich für die Bühne der Stadt Dachau.

Kultur-Schranne Dachau: Schrill, quietschend, hemmungslos: Charles Gayle spielt das Saxophon mit kompromissloser Intensität.

Schrill, quietschend, hemmungslos: Charles Gayle spielt das Saxophon mit kompromissloser Intensität.

(Foto: DAH)

Klingt doch - auf die Darbietung bezogen - an sich gut. Wo ist dann der Haken? Nun: Starke Momente sind nicht alles. Man sollte sie auch nicht grundsätzlich auf Minuten ausdehnen. Und mehrere zueinander kontrastreiche Passagen, aneinandergeklatscht durch die Kunst des Nicht-Übergangs, ergeben in der Gesamtheit noch keine spannende Musik. Genau das ist die Krux: Beim "Charles Gayle Trio" gibt es kaum Progression. Lautstärke entsteht nicht in energetischem Crescendo, sondern sie ist einfach da, umspült einen mit anhaltendem Nachdruck, bis sie nichts Spannendes mehr zu bieten hat. Und so ist manche Klangeruption nur ein sich zwar heiß, aber auch träge dahinwälzender Lavastrom. Es ist Programmkoordinator Axel Blanz wirklich zu danken, dass er noch genügend Anlässe für sein begeistertes Pfeifen entdeckt. Denn seine Pfiffe zeigen an diesem Abend nicht Bemerkenswertes an, sie lassen vielmehr Stellen erst zu akustisch prägnanten Höhepunkten werden. Klingt wie ein Scherz, ist aber so.

Das ist der Stand um 22.30 Uhr. Gayle wechselt noch einmal ans Klavier. Nun ja, noch ein paar perkussive Aphorismen, dann ist es aber wirklich gut. Doch was ist das? Ein paar schwülwarme Blues-Versatzstücke tönen plötzlich sonnig durch die Schranne. Ein Rachmaninov-Zitat nebst sich anschließender Verfremdung. Debussy-Mondschein leuchtet auf. Und auf einmal - oder endlich - entsteht aus der Zergliederung ein klarer, fassbarer Puls. Gayle erhebt seine Stimme und singt ein bezaubernd fragiles, tonal abdriftendes, sich wieder fangendes, farbig schillerndes, halbimprovisiertes "Amazing Grace". Was für ein Schlusspunkt. Es hätte wirklich ein grandioses Konzert sein können.

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