Kultur in Dachau:"Wir haben den Wunsch, Spuren zu hinterlassen"

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Die junge Stiftung Kulturerbe Bayern mit Sitz in Sulzemoos setzt sich mit lokalen Initiativen und mehr als 1000 Freiwilligen dafür ein, Baudenkmäler und historische Parkanlagen im Freistaat zu bewahren. Dafür kauft sie auch einige Objekte selbst auf. Großes Vorbild ist der National Trust in Großbritannien

Von Dorothea Friedrich

Seit 2018 hat die Initiative Kulturerbe Bayern ihre Geschäftsstelle im Schlossgut Sulzemoos. Die Initiative besteht aus dem 2015 gegründeten Verein und der 2018 ins Leben gerufenen bürgerlichen Stiftung Kulturerbe Bayern. Nach dem Vorbild des britischen National Trust nimmt Kulturerbe Bayern geschichtsträchtige Gebäude und Kulturlandschaftsteile in seine Obhut, um sie zu bewahren und für alle erlebbar zu machen. Der neue Hauptgeschäftsführer Bernhard Averbeck-Kellner spricht über realisierte Projekte, Ziele und Umsetzungsmöglichkeiten.

SZ: Herr Averbeck-Kellner, eine persönliche Frage vorweg: Warum haben Sie sich für diese Position entschieden?

Bernhard Averbeck-Kellner: Die Sorge um das baukulturelle Erbe ist mir eine echte Herzensangelegenheit genauso wie das Bewahren von (Kultur-)Landschaften. In Pfaffenhofen an der Ilm haben wir privat vor einigen Jahren das ehemalige Post-Verstärkeramt gekauft und es weitgehend in Eigenarbeit wiederhergestellt. Jetzt freue ich mich, meine mehr als 25-jährige Erfahrung in der Marken- und Unternehmensführung in diese einzigartige Organisation einzubringen und diese gemeinsam mit meinem Kollegen in der Geschäftsführung, Rudolf Himpsl, und dem gesamten Team weiterzuentwickeln.

Kulturerbe Bayern ist ja noch eine junge Organisation. Wie ist sie entstanden?

Ob Schloss mit Park, Stadthaus oder Bauernhof mit Obstgarten: Die historisch gewachsenen Landschaften machen Bayern in all seinen Regionen einzigartig. Die Frage, wie angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen diese besondere Kulturlandschaft noch besser als bisher erhalten werden kann, trieb die Initiatoren 2015 bei der Gründung des Vereins an. Als zweites Standbein der Initiative richteten 2018 acht Gründer die Stiftung Kulturerbe Bayern ein. Der Verein hat inzwischen mehr als 1100 Mitglieder. Außerdem unterstützen etwa 200 Volunteers - Ehrenamtliche, die sich bereit erklärt haben, ihre Fähigkeiten und ihre Zeit für Kulturerbe Bayern einzubringen - die Projekte, und zwar ganz praktisch: Deren Engagement reicht vom Mithelfen bei archäologischen Grabungen bis zum Mitanpacken bei Baumaßnahmen oder bei Pflegearbeiten in historischen Parkanlagen.

Der Rittersaal mit Porzellanpräsentationen im modernen Design befindet sich im Schloss Erkersreuth, für dessen Erhalt und zeitgemäße Nutzung sich der Sulzemooser Verein Kulturerbe Bayern tatkräftig einsetzt. (Foto: Alexander Stöhr (Stöhrfaktor)/oh)

Welche Ziele hat Kulturerbe Bayern?

Wir haben den Wunsch, Spuren zu hinterlassen. Kulturerbe Bayern betreibt nicht nur Denkmalpflege im klassischen Sinn; wir bewahren identitätsstiftende Gebäude und Orte und führen sie einer zeitgemäßen Nutzung zu und zwar für alle und für immer. Wir wollen keine Konkurrenz zu Museen sein, sondern gemeinschaftlich mit lokalen Initiativen schöne alte Gebäude oder Gärten mit neuem Leben füllen. Unser Vorbild ist der große englische National Trust, der es geschafft hat, Millionen Menschen für das Kulturerbe ihres Landes zu begeistern und aktiv an dessen Bewahrung mitzuwirken. Das können wir durch ideelles, praktisches und finanzielles bürgerschaftliches Engagement erreichen.

Wie oft werden Sie angefragt, und nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Projekte aus?

Wir haben monatlich mehrere Anfragen. Jede wird nach einem strengen Kriterienkatalog geprüft.

Was beinhaltet der?

Unsere Projekte sollen ausgewogen, regional über ganz Bayern verteilt realisiert werden. Sie müssen über bedeutende historische Merkmale verfügen oder für die Region und darüber hinaus identitätsstiftend sein. Nehmen sie zum Beispiel das Wirtshaussterben, das durch die Corona-Pandemie noch befördert wird. Es heißt nicht umsonst: Stirbt das Gasthaus, stirbt der Ort. Da stellen wir uns aktuell die Frage: Gibt es Objekte, die wir unterstützen oder sogar übernehmen könnten?

Welche weiteren Kriterien spielen eine Rolle?

Wir prüfen das Nutzungskonzept, ob und wie es zu realisieren ist, wie es um Brandschutz und Fluchtwege bestellt ist. Ein erfahrenes Team arbeitet die harten Fakten ab. Dazu gehören auch die Chancen für eine spätere Vermarktung, die Einnahme-Ausgaben-Rechnung und welche finanziellen Zuschussmöglichkeiten es gibt. Danach erfolgen eine oder mehrere Vor-Ort-Termine mit den lokalen Initiativen oder Vereinen. Ein Partner vor Ort ist auch ein wichtiger Aspekt bei der Auswahl eines Projekts. Auch wenn wir am liebsten jedes Objekt retten möchten, müssen wir natürlich verantwortungsbewusst mit unseren Mitteln umgehen.

Bernhard Averbeck-Kellner ist Hauptgeschäftsführer der Stiftung Kulturerbe Bayern, die sich den National Trust in Großbritannien zum Vorbild gemacht hat. Der Sitz der Stiftung befindet sich in der Gemeinde Sulzemoos. (Foto: Privat)

Welches Objekt haben sie als erstes gerettet?

Unser erstes ist ein spätmittelalterliches Haus in der Judengasse 10 in Rothenburg ob der Tauber, das über viele Jahre leer stand und zu verfallen drohte. Im Keller des Hauses, das zu Beginn des 15. Jahrhunderts errichtet worden ist, befindet sich noch eine Mikwe, ein jüdisches Ritualbad. Im Obergeschoss beherbergt es eine nahezu vollständig erhaltene Bohlenstube. Das Haus ist ein herausragendes Zeugnis jüdischen Alltagslebens in Bayern. Im vergangenen Jahr wurde es als ein Denkmal von nationaler Bedeutung anerkannt. Kulturerbe Bayern hat es für 75 000 Euro, die komplett über Spenden finanziert worden sind, vom Verein Alt-Rothenburg gekauft. Der Verein ist unser Partner vor Ort. Jetzt stecken wir mitten in der Sanierung, um es wieder zu einem lebendigen Ort inmitten der Rothenburger Altstadt zu gestalten. Die neue Judengasse 10 wird sowohl ein kultureller Treffpunkt werden und zugleich Platz zum Wohnen bieten.

Welche weiteren Projekte gibt es noch?

Das Künstlerhaus Lothar Schätzl in Dillingen und Schloss Erkersreuth in Selb.

Was ist das Besondere am Künstlerhaus Lothar Schätzl?

Das 1889 im Stil des Historismus errichtete Gebäude war Wohnhaus und Arbeitsort des Dillinger Künstlers Lothar Schätzl und seiner Familie. Sein Sohn und Erbe hatte testamentarisch die Einrichtung einer Lothar-Schätzl-Stiftung verfügt. Deren Aufgabe ist es, den künstlerischen Nachlass des Vaters zu erhalten und den Wohnsitz der Familie in ein "Künstlerhaus" umzugestalten. Nachdem wir die Treuhänderschaft über die nicht selbständige Stiftung übernommen haben, können diese Pläne nun umgesetzt werden.

Und was hat es mit Schloss Erkersreuth auf sich?

Das ist das jüngste Objekt, das wir in Obhut genommen haben. Hier hat über lange Jahre der bekannte Porzellanfabrikant Philip Rosenthal gewohnt und das barocke Schloss zum Kultur-Hotspot gemacht, in dem sich Politiker, bedeutende Persönlichkeiten, aber vor allem Künstler von Weltrang die Klinke in die Hand gaben. Diese Kunstschaffenden haben etliche Räume nach ihren Vorstellungen gestaltet und so ein einzigartiges Gesamtkunstwerk mit Ausstrahlung weit über die Region hinaus geschaffen. Das Schloss hat Philip Rosenthal nie gehört, sondern dem Unternehmen, das es verkaufen wollte. Wir konnten es glücklicherweise erwerben und wollen daraus wieder einen inspirierenden Ort der Begegnung machen, einen Barockbau, durchdrungen vom Geist der Toleranz.

© SZ vom 19.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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