Süddeutsche Zeitung

Kultur in Dachau:Richard Wurm stellt im Wasserturm aus

Der Dachauer Maler Richard Wurm gestaltet mit dem Hochdruckwasserstrahler großformatige Bilder von expressiver Wucht. Die erste Ausstellung nach dem Lockdown im Wasserturm zeigt nun ausgewählte Arbeiten - also die, die er noch übrig hat

Von Gregor Schiegl, Dachau

Lange hat man keine Kunstausstellung mehr gesehen, aber der Wow-Effekt der ersten Ausstellung im Dachauer Wasserturm nach mehr als einjähriger Corona-Zwangspause ist nicht allein auf die bedenklich lange Entwöhnung vom Kunstbetrieb zurückzuführen. Richards Wurms Gemälde haben das, was Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz "Wumms" nennen würde, wäre er Kunstkritiker. Was man auf den Gemälden im Dachauer Wasserturm sieht, ist ein opulentes abstraktes Farbspektakel, alles ist Struktur, meist rau und schrundig, aber durchaus ästhetisch und immer von hoher expressiver Wucht. Was natürlich auch an den Dimensionen seiner Gemälde liegt. 80 mal 120 Zentimeter oder auch mal 120 mal 160 Zentimeter, das macht Eindruck.

Man braucht schon große Wände für solche Arbeiten. Wie in der BMW-Welt. Oder auch in der Verlagsleitung der Süddeutschen Zeitung im Hochhaus an der Hultschiner Straße. Richard Wurms Kunst ist sehr gefragt, auch in den USA, wo er mit einer New Yorker Galerie zusammenarbeitet. Ein Käufer, erzählt er, habe beim Hausbau den Architekten beauftragt, schon bei der Planung das Wurm-Gemälde angemessen zu berücksichtigen. "Das ist schon krass", sagt Wurm, dem der Hype um sein Werk selbst nicht ganz geheuer zu sein scheint. Die meisten Künstler schlagen sich mehr schlecht als recht durchs Leben, "und dann kommt da so ein Quereinsteiger von der Seite rein". Einer, der es gar nicht nötig hätte, Bilder zu verkaufen, weil er Inhaber eines Dachauer Rohrleitungsbetriebs ist, der genug abwirft. Jedenfalls genug für eine Familie mit vier Kindern und Zwergschafen samt Leithammel Bocki, den Wurm manchmal an der Leine Gassi führt. Den Remmidemmi mit Ausstellung und Vernissagen macht er eher zum Spaß, "nicht um etwas zu verkaufen".

Als er seine ersten, früher noch ganz kleinformatigen Arbeiten auf Facebook postete, kamen gleich die ersten Kaufanfragen, 70 Euro war das erste Kaufgebot. Wurm war über die große Resonanz anfangs selbst ein bisschen überrascht. Es ist ja nicht so, dass es keine anderen Künstler gäbe, die tolle Arbeiten zu verkaufen haben und er ist nicht mal ein akademisch ausgebildeter Maler. Doch die Kunstbegeisterung begleitet den 50-Jährigen schon seit seiner Schulzeit. Als Jugendlicher zeichnete und malte er. Mit 18 belegte er einen Kurs bei Professor Dieter Rehm, der heute Präsident der Akademie der Bildenden Künste München ist. Auch während seines Studiums an der Technischen Universität München und seiner Karriere als Bauingenieur verlor er die Kunst nie ganz aus den Augen. Und er hat eine Nische gefunden: Das, was Richard Wurm macht, ist etwas, was es in dieser Art sonst kaum gibt. Nicht der Pinsel ist sein wichtigstes Arbeitsutensil, sondern ein Hochdruckwasserstrahler, mit den er seine vielschichtigen Gemälde bearbeitet, bis sie abstrakte Landschaften und Szenerien von betörender Farbigkeit freigeben.

Richard Wurms Gemälde bestehen aus zehn, elf, manchmal sogar zwölf Schichten. Zuerst kommt eine zumeist strahlkräftige Acrylfarbe, dann eine Deckschicht, dann Dispersionsfarbe. Je nachdem, welche Schicht der Wasserstrahl mit sich fortreißt, zeigt sich unter dieser Verletzung eine andere Farbe. Diese Bearbeitung bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die Oberflächenstruktur. Oft hat sie die Anmutung des Verfalls, abblätternder Putz, durchscheinende Farben wie von verblassten Graffiti, manchmal sogar Fetzen, die an abgerissene Plakate einer Litfaßsäule erinnern. "Mir geht es auch um eine Visualisierung der Vergänglichkeit", sagt Wurm. Früher hat Wurm seine Bilder mit der Schleifmaschine bearbeitet, aber der freigesetzte Staub war ihm auf Dauer gesundheitlich doch zu heikel.

Die Zerstörung ist Teil des kreativen Konzepts. Am deutlichsten sieht man das bei den Bildern "Muhammad Ali" und "Rainer Werner Fassbinder" gleich am Eingang der Ausstellung. Besser gesagt, man sieht, dass man nichts sieht. Denn wo ist er denn jetzt, der Muhammad Ali, in diesem filigranen Farbgewirr? Und ganz ehrlich, den Rainer Werner Fassbinder sieht man auch nicht, man kann ihn nicht mal schemenhaft erahnen, so sehr man sich auch abmüht. Wurm hat von dem Bild alles Figürliche gnadenlos weggekärchert. "Da bin ich eh noch nicht so gut", sagt er und lacht. Gerade hat er einen Aktkurs bei Michael Coldewey belegt. Erfolg hin oder her, ein Künstler will sich ja auch weiterentwickeln. Ohnehin ist die Bildidee nur Ausgangspunkt seines künstlerischen Prozess. Die Resultate überraschen ihn selbst immer wieder. "Sonst wär's ja langweilig."

Nicht immer wirken die Oberflächen rau, morbid und schorfig, manchmal verwandeln sich die ausblühenden Farbreste mit ihren feinen, gelösten Rändern vor dem Auge des Betrachters in ein Meer winziger Blütenkelche, bei einem Bild liegen die Assoziationen zu Monets "Seerosenteich" nicht fern, das macht vielleicht auch den besonderen Zauber dieser Werke aus: dass zwischen dem Verfallenden auch die Verletzlichkeit des Lebendigen aufscheint. Oft kommt es schlicht darauf an, zu welcher Tageszeit man Wurms Werke betrachtet. "Das Licht macht viel aus", sagt Wurm, und seitdem er Blattgold in seinen Bildern verwendet ist das Wechselspiel von Licht und Farbe noch etwas glanzvoller geworden. Landrat Stefan Löwl, hat übrigens auch einen Wurm gekauft. Man muss zugeben: Die Bilder machen ganz schön was her, auch und vor allem im Dachauer Wasserturm. Dort hat bereits Richard Wurms Opa als Wasserschieber gearbeitet - die Wurms sind ja quasi eine Dachauer Wasserrohrdynastie, was in Richard Wurms Kunst nun eine schöne Fortsetzung findet.

Wenn die Zählung stimmt, umfasst Wurms Oeuvre inzwischen sage und schreibe 717 Bilder. Der Ausstellungstitel "Selected Works" ist in diesem Zusammenhang allerdings etwas irreführend, denn auszuwählen gab es für den Künstler nicht mehr viel. Die rund zwei Dutzend Arbeiten, die im Wasserturm zu sehen sind, sind die letzten Arbeiten, die man Richard Wurm noch nicht aus den Händen gerissen hat.

Richard Wurm: Malerei. Ausstellung im Dachauer Wasserturm bis 20. Juni. Erlaubt sind maximal sechs Personen pro Etage, es gilt Maskenpflicht. Öffnungszeiten: Mittwoch, Donnerstag, Freitag 18 bis 20 Uhr, Samstag, Sonntag 15 bis 17 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 10.06.2021
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