Kultur in Dachau:Präsenz und Vergänglichkeit

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Margot Krottenthaler verarbeitet ein Stück Familiengeschichte

Ein Mann mit Metzgerschürze, ein hagerer Bursche mit Fliege, vielleicht der Oberkellner, dazwischen Frauen in Kittelschürzen und Strickjacken, ein Paar im "Sonntagsstaat". Die Dachauer Künstlerin Margot Krottenthaler hat die rund 100 Jahre alte Aufnahme in ihrer "Familienkiste" entdeckt. "Ich fand dieses Foto wahnsinnig spannend", sagt sie. Wer zum Beispiel ist dieser finster dreinblickende Mann in der dritten Reihe, wer die geheimnisvolle Dame mit der räudigen Pelzstola? Immerhin die junge Frau, die hinter der Wirtin so die Hand in die Hüfte stemmt, ist der Künstlerin bekannt: Es ist ihre Großmutter, Jahrgang 1898, auf dem Bild dürfte sie Mitte 20 sein. Dieses Foto ist der Ausgangspunkt für Margot Krottenthalers Druckgrafik "Planet Past" in der Schlossausstellung.

Ausschnitt aus Margot Krottenthalers Druckgrafik "Planet Past". Repro: KVD (Foto: N/A)

"Planet Past ist ein Planet, den ich nicht mehr betreten kann", sagt Margot Krottenthaler. Aber auch Erinnerung hat etwas Gegenwärtiges. Die künstlerische Annäherung an diesen fernen Planeten ist ein langwieriger und gar nicht so einfacher Prozess. Ein Foto lässt sich nicht eins zu eins als Linolschnitt reproduzieren. Die Gesichter mussten vereinfacht werden, aber sie durften nicht zur Karikatur verflachen. Und ein Linolschnitt verzeiht nichts: Einmal zu weit geschnitten und alles ist verdorben. Für die Füße der sitzenden Figuren musste sich Krottenthaler erst eine stimmige Dramaturgie überlegen, denn auf dem Foto sieht man im Fußraum nur diffuses Schwarz.

Repro: KVD (Foto: N/A)

Wie bei allen Druckgrafiken sind die Wahl der Farbe und des Papiers entscheidende Parameter dafür, wie das Bild am Ende wirkt. Lange hat Margot Krottenthaler alles mögliche ausprobiert, von Schwarz bis Neonbunt, von dickem Bütten- bis zu dünnem Japanpapier. Das Blatt für die Ausstellung hat sie schlussendlich auf Aquarellpapier gedruckt mit bewusst in Kauf genommenen Störungen in der Bildstruktur, etwa durch ein mitgedrucktes Haar oder Linolsplitter. Diese Flecken und Unschärfen erinnern an alter Fotografien, in denen die Chemie sich langsam zersetzt: die Vergänglichkeit als ästhetisches Momentum. Das Format von 1,50 auf 0,90 Meter war allerdings zu groß für eine Presse, Margot Krottenthaler musste ganz vorsichtig über das Papier trippeln, um einen einigermaßen konsistenten Druck auf der Linolplatte herzustellen. "Eigentlich sind wir Künstler die Aliens", sagt sie und lacht. "Bei den abseitigen Dingen, mit denen wir uns beschäftigen!"

In der Reihe "Polka Aliens" werden Künstler und ihre Werke aus der KVD-Sommerausstellung "Alien Polka" vorgestellt. Die Ausstellung im Dachauer Schloss ist bis 5. September zu sehen. Die Porträtvignetten basieren auf Druckgrafiken des Dachauer Künstlers und KVD-Vorsitzenden Johannes Karl.

© SZ vom 21.08.2021 / Gsl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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