Kultur in Dachau:Lehrjahre in den schwarzen Künsten

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Die altmodische Kleidung gehört zut Walz: die Junggesellin Anna in Willi Becks Manufaktur. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Buchbindergesellin Anna aus Dresden ist auf der Walz, so wie es vor hundert Jahren noch Sitte war. Derzeit macht sie Station in der Dachauer Manufaktur von Willi Beck, um das alte Handwerk zu üben

Von Andreas Förster, Dachau

Ein Handwerker auf der Walz ist eine Seltenheit geworden in der heutigen Zeit. Noch seltener sieht man Handwerkerinnen bei der Gesellenwanderung, die bis vor hundert Jahren sogar Voraussetzung für die Zulassung zur Meisterprüfung war. Damit das Wissen um die Walz nicht ganz in Vergessenheit gerät, hat fast jede Zunft noch Vereine, die diese Tradition pflegen und weitergeben.

Dennoch mutet es ein wenig seltsam an, die 26-jährige Anna in ihrem altmodischen Buchbinder-Outfit zu sehen: schwarzer Hut mit halbrunder Krempe, Schal, robuste Weste mit einer Doppelreihe von Perlmuttknöpfen, extrem weit geschnittene dunkle Hose mit Seitentaschen für den Zollstock und anderes Werkzeug. Ein Ensemble wie aus einem Historienfilm. Anna trägt es mit Stolz, den Hut keck nach hinten geschoben, darunter quellen ihre braunen Locken hervor. Ihren Nachnamen hat sie während der Wanderschaft abgelegt. Sie nennt sich, wie es bei den Gesellen auf Wanderschaft üblich ist, "fremde, freireisende Buchbinderin". Auf der Walz darf sie sich ihrer Heimstadt Dresden nicht mehr als 50 Kilometer nähern. Sie hat die "Bannmeile" auf einer Landkarte eingekreist, sicher ist sicher.

Seit sie unterwegs ist, also mehr als dreieinhalb Jahre, reist sie kreuz und quer durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Nirgends bleibt sie länger als ein paar Monate. Auch in Dachau wird sie nur zwei Wochen sein, eingeladen vom Verein für Schwarze Kunst. Der 2013 in Dresden gegründete Verein hat zum Ziel, das handwerkliche Können des Schriftgießens, des Handsatzes und des Buchdrucks zu bewahren, zu fördern und weiterzugeben.

Willi Beck ist Gründungsmitglied und zweiter Vorstand des Vereins. Seit 2003 betreibt er im Keller seines Hauses in Dachau-Süd eine Manufaktur für Bleisatz und Buchdruck. Mit einer historischen Handabzugspresse und Lettern aus Blei, fast wie bei Johannes Gutenberg. Für Anna ein idealer Übungsort. Hinzu kommt, dass der Verein das Werkstattpraktikum bezahlt. Es wird wie die Wanderjahre Walz genannt. "Für unser Walz-Stipendium muss man sich bewerben, die Vereinsmitglieder wählen sechs Studierende aus, die jeweils 1000 Euro erhalten", erklärt Beck. Dafür müssen sie vier Stationen in acht Wochen durchlaufen.

Anna verbringt ihre ersten 14 Tage in Dachau, danach geht es weiter nach Heidelberg und Stralsund. Neben Dachau beteiligen sich an der Walz 17 weitere Werkstätten in Deutschland und der Schweiz. Beck und seine Kollegen stellen ihre Arbeitszeit umsonst zur Verfügung.

Gemeinsam arbeiten Anna und der gelernte Schriftsetzer an einer Druckausgabe des "Buchbinder Wanninger" von Karl Valentin - wie passend. Anna ist verantwortlich für den Entwurf, den Handsatz, den Buchdruck und die Buchbindearbeit. "Es ist eine Freude, jungen Menschen zuzusehen, die nicht nur theoretisch wissen, wie es geht, sondern auch zupacken können", freut sich der 67-Jährige, und auch Anna macht die Arbeit an der Druckerpresse sichtlich Spaß. Sie wird am Abend, nach Stunden anstrengender Arbeit, zurück nach München fahren, wo sie über einen Freund eine kostenlose Übernachtungsmöglichkeit gefunden hat.

Nicht immer reist sie allein, manchmal auch zu zweit, nicht immer zu Fuß, sondern auch per Anhalter. Sie hat damit nur gute Erfahrungen gemacht, sogar in Japan. Dort wurde sie wie eine Außerirdische beäugt, vor allem auf dem Land. "Aber die Japaner sind von sich aus so höflich, dass sie einen immer ans Ziel bringen wollen, auch wenn sie dafür 100 Kilometer Umweg in Kauf nehmen müssen."

Die Wanderjahre bezeichnet die Dresdnerin als Bildungsreise, bei der man viel fürs Leben lernen könne. Ihre Erfahrungen hat sie bereits an eine jüngere Gesellin weitergegeben. Der Tradition nach bürgt die "Altgesellin" für die "Junggesellin", und begleitet sie die ersten zwei Monate auf deren Walz. Die freien Reisenden müssen unter 30 und gut beleumundet sein, kinderlos und unverheiratet. Was wiederum die heute gebräuchliche Bedeutung des Wortes Junggeselle erklärt. Auch die Farbe der Kluft ist vorgegeben und richtet sich nach der Art des Handwerks: "Alle, die mit Holz arbeiten, tragen Schwarz", erklärt Anna. Die Freiheit sei ihr das Wichtigste an der Walz, betont sie und schwärmt von den Sommernächten im Freien. Schlafsack, Wechselwäsche und Werkzeug trägt sie in einem gewickelten Leintuch, genannt Charlottenburger, auf dem Rücken. Handys sind verpönt. In drei Monaten wird Annas Walz enden. Am meisten freut sie sich darauf, endlich wieder andere Klamotten tragen zu können.

© SZ vom 08.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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