Süddeutsche Zeitung

Kultur in Dachau:"Es ist einfach ein Wahnsinn"

Kulturveranstalter aus dem Landkreis reagieren mit Unverständnis und Frust auf die neuen Corona-Auflagen. Viele kämpfen mit ausgefeilten Hygienekonzepten ums Überleben. Ein Lockdown würde ihre Zukunft gefährden

Von Gregor Schiegl und Benjamin Emonts, Dachau

Frank Striegler schwankt zwischen Euphorie und purer Verzweiflung. "Es ist einfach ein Wahnsinn", seufzt er. Der erste Veranstaltungsblock der Dachauer Theatertage war ein toller Erfolg. "Die Leute haben sich bedankt, dass endlich wieder was los ist, auch die Künstler waren froh, dass sie endlich wieder auftreten dürfen", erzählt der Theatertage-Impresario, "da gab es bewegende Momente". Trotzdem träume er jede Nacht "von all den Schwierigkeiten". Dass er in Zukunft besser schlafen wird, ist unwahrscheinlich. Für Kulturveranstalter im Landkreis könnte jetzt alles noch viel schwieriger werden.

Die Corona-Infektionszahlen klettern im Landkreis von Tag zu Tag auf neue Höchststände. Für den Fall, dass der Sieben-Tage-Inzidenzwert von 100 überschritten wird, wie dies in München schon geschehen ist, sehen die neuesten Bestimmungen der Bayerischen Staatsregierung vor, dass auf Veranstaltungen maximal noch 50 Teilnehmer zugelassen sind. Im Kulturbetrieb, der für das Infektionsgeschehen nach allem, was man weiß, so gut wie keine Rolle spielt, stößt das allenthalben auf Unverständnis und Frust.

"Wir haben ein Konzept, von dem wir dachten, es sei sehr gut", sagt Frank Striegler. Für jede Veranstaltung werden bei den Theatertagen drei Zettel ausgefüllt, auf denen genau erfasst wird, wer wann wo saß. Die Abstände sind oft deutlich größer als vorgeschrieben. Der Stockmann-Saal im Dachauer Thoma-Haus fasst rund 400 Besucher. Selbst bei der größten Theatertage-Veranstaltung wurde nicht einmal ein Viertel der Plätze besetzt. Aber Vorführungen mit 60, 70, 80 oder auch mal 90 Leuten gibt es trotzdem. Wenn Dachau demnächst zum dunkelroten Risikogebiet gehören sollte - was soll das Theatertage-Team dann machen? Jeden dritten Kartenbesitzer, der sich vorab brav registriert hat, nach Hause schicken? Striegler hat darauf noch keine Antwort. Er ist genervt vom "Aktionismus" der Staatsregierung und den ständig neuen Auflagen. "Die haben keine Ahnung", sagt er.

Auch im Dachauer Kulturamt hat man alle Hände voll zu tun, Veranstaltungen den sich immer wieder kurzfristig ändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Die im November und Dezember geplanten Schlosskonzerte mit jeweils 300 Besuchern werden vorsichtshalber schon mal aufgesplittet auf zwei Termine mit jeweils 150 Besuchern. "Im Laufe dieser Woche bekommen alle Abonnenten ein neues Ticket", kündigt Amtsleiter Tobias Schneider an. Sollten im März noch weniger Zuschauer erlaubt sein, müsse man die Konzerte leider absagen. "Man kann ein Orchester nicht sechsmal hintereinander für 50 Leute spielen lassen", sagt Schneider. Dass es keine Planungssicherheit gibt, empfindet auch er als zermürbend. "Es macht einen ziemlich wahnsinnig und auch nervös."

Bei den Theaterbühnen im Landkreis hat das Virus auch einiges durcheinandergebracht. Beim Theater im Stadtwald stand im März die Premiere des Stücks "Der verreckte Hof" auf dem Programm. Ein einziges Mal haben die Laien der ASV-Bühne das Stück spielen dürfen, dann kam der Lockdown. Die Tantiemen für die Auftritte waren bereits an den Theaterverlag gezahlt, berichtet der Kassier der Abteilung, Ernst Konwitschny. Am Freitag gibt es die zweite Vorstellung - endlich. "Die Leute wollten unbedingt wieder spielen." Das Stück hat nur fünf Rollen, die Darsteller lassen sich freiwillig regelmäßig auf Corona testen. Die Zuschauerzahl wird sicherheitshalber auf 35 begrenzt. Einem großen Teil des Stammpublikums scheint ein Theaterbesuch, trotz aller Hygienemaßnahmen, derzeit dennoch zu heikel. Einige hätten sogar Kritik geübt, dass jetzt Aufführungen stattfinden, berichtet Konwitschny.

Im Hoftheater Bergkirchen hingegen werden die offene Kommunikation und das strenge Hygienekonzept von den Zuschauern goutiert, sagt Pressesprecherin Janet Bens. Das Ensemble aus Profis ist bereits seit Wochen auf die strengen Beschränkungen eingestellt. Um den erforderlichen Abstand zu wahren, werden vorrangig Stücke mit kleinerer Besetzung vor maximal 35 statt ursprünglich 85 Zuschauern aufgeführt. Samstags und sonntags bietet das Theater Doppelvorstellungen um 17 und 20 Uhr an. Die Inszenierungen werden ohne Pause gespielt, damit zwischen den Vorstellungen durchgelüftet werden kann. Das Publikum darf das Theater erst 30 Minuten vor Beginn betreten; eine Art Einbahnstraßensystem sorgt dafür, dass sich die Gäste auf den Gängen nicht begegnen. Während der Vorstellung herrscht Maskenpflicht. Trotz der strengen Auflagen sei die Nachfrage nach Tickets groß, sagt Bens. "Die Leute brauchen die Kultur." Wirtschaftlich setze die Pandemie dem Theater dennoch zu. Doppelte Vorstellungen bedeuteten auch doppelte Gagen für Schauspieler bei geringerer Zuschauerzahl. Ein neuer Lockdown würde die Zukunft des Theaters in Gefahr bringen, befürchtet Bens.

Große Sorgen plagen auch Heinrich Kellerer, den Betreiber der Kleinkunstbühne im Gasthof zur Post in Schwabhausen. "Es ist ein einziges Verschieben", sagt er. "Das macht alles keinen Sinn und keinen Spaß mehr." Ob der Kabarettist Christian Springer wie geplant am kommenden Montag und Dienstag bei ihm auftreten kann, sei ungewiss. "Besonders das ältere Publikum hätte kein Verständnis dafür, wenn wir unsere Veranstaltungen auf Biegen und Brechen durchziehen würden", sagt Kellerer. Sollte der Inzidenzwert auf 100 klettern, müsste er seine Wirtschaft zudem um 21 Uhr schließen, was die Veranstaltung schon aus Zeitgründen sinnlos machen würde. Von den einst 320 Plätzen in seinem Saal ist weniger als ein Drittel übrig. Seine 130 Abonnenten teilt Kellerer, Stand jetzt, auf zwei Veranstaltungen auf, um die Abstände einzuhalten. Wirtschaftlich sieht Kellerer seine Kleinkunstbühne in großen Nöten. Von den Abonnenten könnten im kommenden Jahr viele abspringen. Doch es seien die Abonnements, die seine Kleinkunstbühne am Leben hielten.

Auch die Galerien im Landkreis hat die Krise schwer getroffen. In der Kleinen Altstadtgalerie in Dachau fand die letzte Ausstellung im Februar statt. Die viel beachteten Vernissagen, die für den Erfolg einer Ausstellung so wichtig sind, können in den beengten Räumlichkeiten nicht mehr stattfinden. "Wir müssen uns den Dingen beugen", sagt Frank Donath, der Leiter der Galerie. Vom 6. bis 12. Dezember sollen nun unter strengen Hygieneregeln die Marionetten des Dachauer Klapptheaters ausgestellt werden. "Wir hoffen, dass die Leute nicht alle am ersten Abend anstürmen", sagt Donath. Andernfalls könnte es zu langen Wartezeiten kommen.

Der Kulturverein Erdweg hat bereits vor Monaten alle größeren Veranstaltungen abgesagt. Auf der Homepage des Vereins tickt ein Countdown. Bis zum Beginn der Veranstaltungssaison 2021 sind es demnach noch "66 Tage, 10 Stunden, 33 Minuten und 40 Sekunden", heißt es am Montagnachmittag. Die große Frage ist allerdings, ob die Pandemie diesen Zeitplan zulässt.

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SZ vom 27.10.2020
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