Süddeutsche Zeitung

Kultur in Dachau:Das ABC der Druckkunst

Die KVD-Druckwerkstatt stellt ihre nunmehr zweite Mappe mit 24 Blättern vor. Sie illustriert anschaulich, was mit den alten Maschinen und Lettern technisch und künstlerisch alles möglich ist

Von Gregor Schiegl, Dachau

Kürzlich wurde der KVD-Druckwerkstatt ein weiterer alter Setzkasten angeboten, lauter alte Schriftlettern samt dazugehörigen Quadraten, Gevierten und Spatien für Wort- und Zeichenabstände. Ein echter Schatz. Und auch noch günstig abzugeben. Bruno Schachtner, der die Druckwerkstatt in den Kellerräumen der Brunngartenstraße leitet, zögerte mit dem Ankauf. Ihn treiben derzeit ganz grundsätzliche Fragen um. Wie geht es weiter mit der KVD-Druckwerkstatt? Wird sie Teil eines Industrie- und Arbeitermuseums in der ehemaligen Papierfabrik? Und wenn ja, wann? All dies gilt es zu bedenken, ehe man zugreift.

Bevor Corona alles lahmlegte, stand die Werkstatt jeden zweiten Dienstag im Monat allen offen: Experten und Künstlern ebenso wie Laien. Auch Kinder und Jugendliche kommen seit Jahren, manchmal werkelten hier ganze Schulklassen. Die alte Technik zu bewahren und das Wissens über die unterschiedlichen Druckverfahren an den teils mehr als 100 Jahre alten Druckmaschinen weiterzugeben, gewissermaßen "von Gutenberg bis Macintosh", ist ein Herzensanliegen der ehrenamtlich tätigen Werkstattbetreiber.

Aber neben dem Handwerklichen hatten in der Druckwerkstatt der Künstlervereinigung Dachau (KVD) auch immer das Gestalten und kreative Arbeiten einen Platz. Eine Gruppe versierter Drucker, Grafikkünstlern und enthusiastischer Laien hat dort im vergangenen halben Jahr eine Mappe gefertigt, die den durchaus programmatischen Titel trägt: "Buchstaben-Bilder - und vieles was ein Setzkasten so hergibt". Die Mappe enthält 24 Druck-Originale, signiert und nummeriert, in einer Auflage von 30 Exemplaren - gedruckt auf den musealen Maschinen der Druckwerkstatt. Dabei kamen auch Blei- und Holzschriften zum Einsatz, die aus einem nicht minder historischen Bestand stammen. Zu sehen ist die ganze Bandbreite der Druckkunst mit all ihren Techniken vom Buchdruck (Hochdruck) über den Tiefdruck (Radierung) und Steindruck (Lithographie) bis hin zum Siebdruck (Serigraphie). Man könnte auch sagen: Die Mappe ist eine Art Leistungsschau dessen, was man mit diesem Werkstattinventar so alles anstellen kann. Es ist erstaunlich viel.

Fast jeder der 26 Buchstaben kommt auf den Blättern zu Ehren, darunter auch der quirlige Exot Q und das vornehme Y. Letzteres hat im Freistaat längst eine staatstragende Rolle inne. Während der Regentschaft des Wittelsbachers Otto II. als König von Griechenland legte das Y einen beispiellosen Siegeszug in Bayern hin, das zuvor ganz prosaisch bloß Baiern hieß.

Martin Blütgen kombiniert ein großes Ypsilon mit einem schwarz umrandeten Quadrat, das auch eine vereinfachte Raute sein könnte. Jeder Druck in dieser Mappe hat einen Begleittext, der mal erläutert, mal glossiert oder auch nur assoziative Spielereien einstreut. Blütgen macht es kurz: "Ohne Griechenland - kein Y in Bayern."

Der Künstler Klaus Eberlein, kein Neuling in Sachen Druckgrafik, hat sich für das E entschieden, "wahrscheinlich weil es bestens zu mir steht". Das E ist groß und in seiner raumgreifenden Fülle sehr selbstbewusst; bei Eberlein wirkt dieses eminente E dennoch federleicht in seiner lichten, gefiederten Struktur.

Namensspiele treibt die Dachauerin Iris Brülbeck, die sich der "Iristechnik" bedient: Verschiedene Druckfarben verlaufen dabei regenbogenartig "nass-in-nass": "Ich gestalte den Irisdruck in den Farben der Schwertlilie", beschreibt sie ihren Ansatz. Blumig ist ihr Motiv allerdings nicht: ein farbig changierendes Rechteck mit weißen Punkten, die offenkundig dem Korpus des Buchstaben I entflohen sind und auf Büttenpapier frech ihre eigene Ich AG aufgemacht haben.

In Andreas Kreutzkams Arbeit vereinigen sich drei rotbraune Äste zum Buchstaben A und verwischen kunstvoll die Grenze zwischen Bild und Zeichen.

Schon jenseits des Z bewegt sich Bruno Schachtner: Er kombiniert das Sonderzeichen "&" zweifarbig hoch und quer. Im Englischen heißt das "Et" übrigens "ampersand", was auch ganz gut zu einen Flussspaziergang in Dachau passen würde. Die Haimhausener Künstlerin Katrin Schürmann spinnt aus einem K, in das lauter Menschlein purzeln eine moderne Allegorie: "Bewusst oder unbewusst stürzen die Menschen in eine Art Trichter, fallen durch die Verengung - und kommen, hoffentlich geläutert, wieder zum Vorschein", erläutert sie. Radierungen des Künstlers und Druckwerkstattmitglieds Alfred Ullrich vom filigranen A bis zum finalen O setzen der Mappe eine bildnerisch-konzeptionelle Klammer.

2016 hat die Druckwerkstatt schon einmal eine Mappe herausgegeben. Das Thema: "Schmuck, muss das dann schmuck sein". Sie ist inzwischen vergriffen. Auch von der neuen Mappe gibt es nur noch wenige Exemplare. Zwei Drittel der Mappen wurden an die beteiligten Künstler zum Vorzugspreis abgegeben. Ansichtsexemplare gibt es in der KVD-Galerie und der Galerie Lochner. Kaufen kann man sie für 360 Euro.

"Wir fünf Ehrenamtlichen bekommen davon nichts", betont Schachtner. Der Erlös fließe in den Erhalt der Druckwerkstatt - allerdings nicht in die Anschaffung des neuen Setzkastens. "Wir haben hier ja gar keinen Platz mehr", sagt er. Die Kellerräume in der Brunngartenstraße sind schon bis in die letzte Ecke vollgestellt.

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SZ vom 04.01.2022
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