1. Künstlersymposium Altomünster:Wenn der Bürgermeister zur Kettensäge greift

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Clemens Heinl im Pfarrgarten, neben sich ein märchenhaft geschmückter Kopf aus Styrodur. Normalerweise bearbeitet der Bildhauer Holz. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Mit großem Interesse, aber auch mit Tatkraft begleiten die Bewohner der Marktgemeinde das erste Künstlersymposium in Altomünster. Als Holzbildhauer Clemens Heinl sich an der Schulter verletzt, assistiert Rathauschef Michael Reiter persönlich.

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

Es weht ein frischer Wind durch Altomünster. Das ließ sich in der vergangenen Woche an vielen Ecken der Marktgemeinde beobachten. Malerin Ingrid Floss, die Bildhauer Friedemann Grieshaber und Clemens Heinl sowie Maler Bernd Schwarting haben den Ort beim ersten Künstlersymposium Altomünster gründlich wachgerüttelt. Susanne Allers, Vorstandsmitglied des Museumsvereins Altomünster und offizielle "Symposiumsbeauftragte des Marktes" hat das Ereignis initiiert und organisiert. Thema dieses Künstlertreffens war: Wirklichkeit.

Wie sich Floss, Grieshaber, Heinl und Schwarting damit und mit dem Leben in Altomünster auseinandergesetzt haben, zeigten sie am Freitag bei vielen Werkstattgesprächen. Wobei der Begriff Werkstatt nicht ganz wörtlich zu nehmen ist. Die Künstlerin und die Künstler hatten sich im für gewöhnlich unzugänglichen alten Pfarrgarten eingerichtet, außerdem im Sparkassengewölbe, in der Schreinerei Mair sowie im und vor dem alten Schulhaus. Pünktlich um 15 Uhr fanden sich die ersten Neugierigen ein, um ihnen über die Schulter zu schauen und sich ihre Arbeiten erklären zu lassen.

Clemens Heinl hat sich im Pfarrgarten eingerichtet, einem traumverlorenen Ort, in dem die Zeit stillzustehen scheint. Heinl arbeitet an einem Kopf mit märchenhaftem Schmuck. Sein Material: Styrodur, ein Kunstharz. Seine Werkzeuge: klein und handlich. Das ist seiner Schulterverletzung geschuldet, denn eigentlich bevorzugt er Baumstämme und Kettensäge. Während des Symposiums sollte eine seiner überlebensgroßen Skulpturen entstehen - doch der Männerkopf mit seinem eindringlichen Augenpaar lässt schnell vergessen, dass der Ortsheilige Sankt Alto noch auf seine Skulpturwerdung wartet. Immerhin konnte Heinl mit Bürgermeister Michael Reiter einen Bildhauer-Azubi gewinnen, der zum Vergnügen der Altomünsterer mittags auf dem Marktplatz unter Heinls fachkundiger Anleitung mit der Kettensäge zugange war. Reiter ist nämlich nicht nur Bürgermeister, sondern auch gelernter Zimmerer.

Er mischt seine Farben nach mittelalterlichen Klosterrezepten

Maler Bernd Schwarting, der in Altomünster bereits eine Einzelausstellung hatte, erzählt im Sparkassengewölbe von der Wirkung geistlichen Lebens bis in seine Arbeit hinein. Waren Klöster doch lange Zeit Orte der Bildung und Kunst. So stelle er seine Farben nach mittelalterlichen Klosterrezepten her, sagt er: "Das sind Antipoden zu industriellen Farben." So wie "Rausgehen in die Natur" für den in Berlin lebenden Schwarting möglicherweise ein Kontrapunkt zum Alltag im Großstadt-Moloch ist.

Schnell entspinnt sich eine Diskussion, wie Corona, Krieg und Klimakrise in seine Arbeit einfließen. "Mittelbar. Unmittelbar nicht", sagt er: "Kunst zieht einen in ihren Bann, sie fordert einen Tag und Nacht." Die aktuell notwendigen Entscheidungen müssten Politiker treffen. Dennoch sei gerade der Angriffskrieg gegen die Ukraine für ihn immer präsent durch die Begegnung und Unterstützung mit und von ukrainischen Künstlern oder Geflüchteten. Und was nimmt er von der Symposiumswoche mit? "Wir sind alle ein bisschen angekommen. Man erlebt sich neu. Wir würden das wiederholen wollen", sagt Schwarting.

Werkstattbesuch bei Ingrid Floss im alten Schulhaus. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Friedemann Grieshaber erklärt in der Schreinerei, wie er mit seinen Gussformen Plastiken aus Beton herstellt. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Der Berliner Maler Bernd Schwarting im Sparkassengewölbe. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Holzbildhauer Clemens Heinl bringt Altomünsters Bürgermeister Michael Reiter ganz schön ins Schwitzen. Die Arbeit an der Kettensäge ist anstrengend. (Foto: Susanne Allers, oh)

Ähnlich ergeht es wohl Bildhauer Friedemann Grieshaber. Er erklärt geduldig, warum er seine Skulpturen in Beton gießt, welche Herausforderung allein die Herstellung der Formen sei und wie er immer wieder aufs Neue versuche, diesen modernen Baustoff zu ergründen. Schade, dass man am Freitag nur die Formen sieht - und als Laie ziemlich viel Vorstellungskraft benötigt, um zu erahnen, was daraus entstehen wird. Zudem ist Beton schon aus Umweltgründen nicht mehr erste Wahl. Doch Grieshaber sieht das anders: Beton in der Kunst sei nachhaltig, weil er - so wie Gemälde und Skulpturen - eine lange Zeitspanne überdauere, sagt Grieshaber. Und wie hat er das erste Künstlersymposium erlebt? "Es hat seine eigene Dynamik entwickelt, das werden gute Erinnerungen", und fügt hinzu: "Altomünster ist lebenswert, auch wenn es sicher auch seine Abgründe hat."

"Hier ist es ein bisschen verrückt, aber auf eine gute Weise"

Nur zu gerne wüsste man, welche Schattenseiten er entdeckt hat, doch das ist nicht das Thema. So geht es weiter zur Münchner Malerin Ingrid Floss. Sie schwärmt vom "tiefen Dunkelblau einer Nacht" und noch mehr vom Glockenspiel der Altomünsterer Pfarrkirchen Sankt Alto und Sankt Birgitta. Das setze sie "nicht gegenständlich um, sondern mit Farben und Gefühlen". Sie spricht vom "Vor- und Zurückschwingen der Farben", und man hört beim Betrachten ihrer noch nicht fertigen Arbeiten innerlich das vertraute Glockengeläut. Es ist unglaublich spannend, dieser Transformation von Musik in Farbe zu folgen. Denn ihre Umsetzung von Tönen auf Leinwand schenkt ihren Besucherinnen und Besuchern ganz neue Sichtweisen. Wie hat sie Altomünster erlebt? "Hier ist es ein bisschen verrückt, aber auf eine gute Weise", sagt Floss. Es sei schon ein besonderer Ort, aufgeladen mit "Hirnschalen von Heiligen" (für Nichteingeweihte: eine der wichtigsten Reliquien des inzwischen aufgelösten Klosters ist die Hirnschale des Heiligen Alto).

So viel Kunst und so viel Begegnung gab es in der Tat viel zu lange nicht mehr in der Marktgemeinde. Das hat zu echten Entzugserscheinungen geführt, wie die vielen Besucher zeigten, die plaudernd und diskutierend eine Woche lang durch den Ort schlenderten. Das hat auch der krönende Abschluss des ersten Künstlersymposiums Altomünster am Sonntag im Klostermuseum eindrücklich vor Augen geführt. Bei dieser Finissage, die zugleich eine Vernissage der jüngsten Ausstellung des Museumsvereins mit Werken des Symposium-Quartetts war, ging es zwischen Gemälden und Skulpturen im besten Sinne hoch her.

Es war eine Woche für Begegnungen der besonderen Art, ungewöhnliche Einblicke und positive Ausblicke. So sagte Bezirkstagspräsident Josef Mederer: "Kunst ist ein Lebensmittel", deshalb müsse "nach zwei Jahren, in denen die Kunst stillstand, das Pflänzchen gegossen und gepflegt werden". Die stellvertretende Landrätin Marianne Klaffki sagte, sie sei "neugierig auf die Fortsetzung". Landtagsabgeordneter Bernhard Seidenath sah "das Besondere darin, dass sich die Künstler über die Schulter haben schauen lassen". Altomünsters zweiter Bürgermeister Hubert Güntner ließ durchblicken, dass er auf ein weiteres Künstlersymposium hofft.

Doch zunächst wird das Künstlerquartett seine Arbeiten fertigstellen und sie voraussichtlich im November 2023 im Klostermuseum zeigen. Bis dahin bleibt zu hoffen, dass der frische Wind in Altomünster nicht zum lauen Lüftchen abflaut.

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