Zivilgesellschaft im Landkreis Dachau:Kleine Anfrage, großer Widerspruch

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Anfang Februar haben der Runde Tisch gegen Rassismus und das Demokratiebündnis Dachauer Land auf dem Ernst-Reuter-Platz in Dachau zu einer Demonstration unter dem Motto „Demokratie braucht Vielfalt“ aufgerufen. (Foto: Toni Heigl)

Die Union verlangt Auskunft über die Förderung von Nichtregierungsorganisationen. Indirekt betroffen davon sind auch Akteure im Landkreis Dachau. Sie bewerten den Vorstoß von CSU und CDU als schädlich für die Demokratiearbeit.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Ob die Empörung über eine kleine Anfrage der Union im Bundestag berechtigt oder völlig überzogen ist, darüber gehen die Meinungen noch mehr als eine Woche nach der Veröffentlichung weit auseinander – auch im Landkreis Dachau. Menschen wie Bernhard Seidenath, als CSU-Landtagsabgeordneter Mitglied der Union, verstehen die ganze Aufregung nicht. Die Frage, wofür da Geld ausgegeben wird, müsse doch erlaubt sein, findet er. Menschen wie Peter Heller indes sehen in der Anfrage ganz klar einen „Einschüchterungsversuch“. Als Vorsitzender der Dachauer Ortsgruppe vom Bund Naturschutz und Sprecher vom Runden Tisch gegen Rassismus wäre Heller – zumindest indirekt – selbst betroffen, sollte die Anfrage am Ende das Streichen von etwaigen Geldern zur Folge haben. Doch nicht nur mit Blick auf sein persönliches Engagement kritisiert er das Vorgehen der Union: In Zeiten, in denen die Demokratie zunehmend unter Druck gerate, sei solch ein Fragenkatalog ganz grundsätzlich ein „fatales Zeichen“, so Heller. Ähnlich hatten sich auch bereits die Dachauer Kreisvorsitzenden der Grünen sowie der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Schrodi in Pressemitteilungen geäußert.

Fakt ist: Konsequenzen hatte die Anfrage der Union ungeachtet der darüber entbrannten Diskussion bislang keine, die Antworten stehen noch aus.  Dass die „politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen“ mit dem Fragenkatalog aber zumindest mal infrage gestellt wurde, besorgt Hubertus Schulz vom Demokratiebündnis im Dachauer Land schon jetzt. Solch ein Vorstoß sei „schädlich“ für jedwede Demokratiearbeit, glaubt er.  Das Dachauer Demokratiebündnis habe in der Vergangenheit bewusst Versuche unternommen, die Zivilgesellschaft in ihrer Breite zu mobilisieren. Dafür sei man im Vorfeld der jüngsten Demo Anfang Februar auch auf Soldatenvereine zugegangen. Personengruppen also, die – zumindest augenscheinlich – unverdächtig sind, „grüne und linke Spinner“ zu sein, wie Friedrich Merz seine politischen Gegner erst kürzlich nannte. Letztlich habe dann unter anderem Albert Winkler von der Soldaten- und Reservistenkameradschaft Schwabhausen eine Rede gehalten.

Hubertus Schulz ist Organisator vieler Demonstrationen im Landkreis Dachau. (Foto: Toni Heigl)

Schulz fürchtet, durch die von der Union gestellte Anfrage könnten sich solche Akteure aus Verunsicherung aus dem Bündnis wieder zurückziehen – ganz unabhängig davon, ob man nun direkt von der Anfrage betroffen ist oder nicht. Er selbst will nicht leise werden: Das Demokratiebündnis gebe keine „parteipolitischen Empfehlungen“ aus. Das bedeute aber nicht, dass man, wenn man es für geboten halte, keine Kritik am Handeln einzelner Parteien übe. Wenn die Union also, wie Ende Januar mit den Stimmen der AfD einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik ins Parlament einbringe, dann äußere man sich dazu – „und das muss auch erlaubt sein“, so Schulz.

Landrat Stefan Löwl (CSU) wurde vor gut einem Monat zum Vorsitzenden des Bündnisses der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Dachau (vormals Begleitausschuss) bestimmt. Das Bündnis erhält Fördergelder durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“, das in der Anfrage namentlich genannt wird. Macht er sich nun Sorgen, dass eine Anfrage seiner eigenen Leute Folgen für die Partnerschaft für Demokratie haben könnte? Nein, sagt Löwl, man nehme es mit der parteipolitischen Neutralität schließlich sehr genau.

Hinterfragt zu werden in seinem Tun, das muss man laut Landrat Stefan Löwl aushalten

Dass es Unmut über die Anfrage der Union gibt, kann Löwl trotzdem verstehen, zumal mit Blick auf den, wie er es nennt, „emotional aufgeladenen Bundestagswahlkampf“. Auch über den zeitlichen Zusammenhang zwischen den Protesten gegen die Union und die Veröffentlichung der Anfrage, ebenso wie über deren Inhalt und Umfang könne man Löwl zufolge sicherlich trefflich streiten. Die Frage aber, ob man die 551 Fragen so überhaupt hätte stellen dürfen, versteht er nicht. Sie befremdet ihn sogar. Immerhin gehe es um Transparenz bei der Verwendung öffentlicher Gelder, da müsse man aushalten, dass man „hinterfragt wird in seinem Tun“. Sein Parteikollege Seidenath ist sich sicher: Eine „Wertung“ der einzelnen Akteure sei mit den Fragen nicht verbunden.

Landrat Stefan Löwl, selbst CSU-Mitglied, hält die kleine Anfrage für legitim. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Auch darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass es in dem Schriftstück der Union heißt, es gäbe „manche Stimmen“, die in den Nichtregierungsorganisationen (NGOs) „eine Schattenstruktur“ sähen, „die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt“. Unvoreingenommen klingt anders.

Die Partnerschaft für Demokratie im Landkreis erhält laut Manuel Liebig, beim Kreisjugendring zuständig für das Projekt, bis 2032 jährlich insgesamt 140 000 Euro vom Bund. Schon in der Vergangenheit seien so „Projekte von zivilgesellschaftlichen Initiativen, Vereinen, Sozialverbänden und anderen gemeinnützigen Institutionen gefördert und umgesetzt“ worden, sagt Liebig. Dass nun durch „die zukünftige Regierungspartei“, sprich die Union, mit der Anfrage die Zivilgesellschaft „unter Generalverdacht“ gestellt werde, halte er „für brandgefährlich“.

Manuel Liebig vom KJR plädiert für mehr, nicht weniger Demokratieförderung

„Eine lebendige Demokratie lebt vom Widerspruch und der Debatte. Auch Kritik oder das Nicht-einverstanden-Sein mit politischen Entscheidungen muss Teil davon sein“, so sieht Liebig das. Gerade in einer Zeit, „in der unsere Demokratie von innen und außen massiv unter Druck steht“, brauche es die Finanzierung der Demokratieförderung, „und zwar genau dort, wo die Projekte letztlich umgesetzt werden, die demokratische Mitgestaltung anfängt und am meisten Wirkung zeigt: hier vor Ort, in den Kommunen und Landkreisen“, sagt Liebig.

Ähnlich sehen das Peter Heller und Roderich Zauscher. Beide engagieren sich beim Bund Naturschutz in Bayern (BN), der bayerischen Landesorganisation vom in der Anfrage erwähnten Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND). Laut dem Dachauer Ortsvorsitzenden Heller agiert der BN „nur sachbezogen“. Jedwede Kritik politischer Entscheidungen sei daher „keine Parteipolitik, sondern Sachpolitik“. Das betont auch der Kreisvorsitzende Zauscher: Vernünftige Naturschutzarbeit funktioniere eben nur in einer freien und offenen Gesellschaft. Werde diese bedroht, „sehe ich es fast als Pflicht, auf die Straße zu gehen“. Und noch etwas macht Zauscher deutlich: Der BN erhält vom Bund nur Geld für Landschaftspflegemaßnahmen – alles zweckgebunden, alles behördlich kontrolliert.

„Oma ist kein biologischer Zustand, sondern eine Einstellung.“

Das gilt laut Heller auch für den Runden Tisch gegen Rassismus, für den er sich ebenfalls engagiert. Projektbezogen erhalte dieser seit Jahren über das Bündnis der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Dachau Gelder, etwa indem Vortragsreihen bezuschusst werden. Denn, auch das betont laut Heller an dieser Stelle: Wenn es darum geht, die Demokratie zu stärken, dann ist es allein mit Demos nicht getan. Ziviles Engagement ist vielfältig.

Das weiß auch Susanne Schrüfer. Die 62-Jährige trifft man dort, wo Menschen für die Demokratie, eine offene Gesellschaft und universelle Menschenrechte auf die Straße gehen. Ihr Erkennungszeichen ist ein weißer Regenschirm, Schrüfer ist eine der „Omas gegen Rechts“. Sie lebt in Karlsfeld, weil es im Landkreis Dachau aber bislang keine Ortsgruppe gibt, hat sie sich vor gut einem Jahr der Gruppe in München angeschlossen. „Oma ist kein biologischer Zustand, sondern eine Einstellung“, sagt sie heute, wenn man sie fragt, warum sie sich der Gruppe angeschlossen hat, obwohl sie selbst gar keine Enkel hat.

Die Karlsfelderin Susanne Schrüfer ist Oma gegen Rechts. Sie sagt, Anfrage hin oder: „Wir machen einfach so weiter wie bisher.“ (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Münchner Aktionsgruppe, der Schrüfer angehört, das muss man wissen, hat nicht direkt etwas mit dem Verein „Omas gegen Rechts“ Deutschland zu tun, der in der Unionsanfrage mehrmals namentlich genannt wird. Streng genommen gehen die Fragen Schrüfer und die anderen rund 200 Münchner „Omas gegen Rechts“ also nichts an. Trotzdem ärgert sich die Karlsfelderin darüber, dass sich die Union offenbar gar nicht mit den NGOs beschäftigt hat, denen sie unterstellen, politisch nicht neutral zu sein. Hätten Friedrich Merz (CDU) und Alexander Dobrindt (CSU) sich nämlich vorab etwa über die „Omas gegen Rechts“ informiert, so Schrüfer, dann wüssten sie, dass diese nicht staatlich gefördert werden. „Es gibt keinen Geldhahn, der uns zugedreht werden kann“, betont sie.

Bei aller Kritik kann Schrüfer der Anfrage und der um sie entstandenen Diskussion aber etwas Positives abgewinnen. „Wir kriegen gerade wahnsinnig viel Zuspruch“, sagt sie. Die Anträge derer, die sich nun den „Omas gegen Rechts“ anschließen wollten, würde sich häufen. Ansonsten wird sich aber für Schrüfer und ihre Mitstreiterinnen nichts ändern: „Wir machen so weiter wie bisher“ – nicht aus Trotz, sondern aus Überzeugung. Mit ihrem weißen Regenschirm wird sich Schrüfer deshalb auch am Samstag, 29. März, in die Lichterkette für Toleranz, Frieden und Demokratie in Hebertshausen einreihen. Dazu hat das Demokratiebündnis rund um Hubertus Schulz aufgerufen. Vermutlich wird man auch viele andere Akteure der Dachauer Zivilgesellschaft dort antreffen.

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