Süddeutsche Zeitung

Krass, aber richtig gut:Spaghetti Infernale

Das Trio "Hang 'em higher" verblüfft das Publikum beim Jazz e.V. mit seinem irrwitzigen Western Rock Ambient Jazz Punk

Von Gregor Schiegl, Dachau

"Hang 'em higher", lautet der Titel eines beinharten Spaghetti-Westerns von 1968 mit Clint Eastwood, und genauso heißt auch das Trio, das am Freitag beim jazz. e.V. aufgetreten ist: "Hang 'em higher". Was Alfred Vogel, Lucien Dubuis und der Bond, bürgerlicher Name Radek Bednarz, am Freitag auf die Bühne der Dachauer Kulturschranne wuchten, klingt nicht mehr nach dem guten alten Jazz, der seine Wurzeln in Storyville hat, in den Bordellen von New Orleans. Der Sound dieser drei Gringos muss irgendwo in Kentucky aus dem Schrank gefallen sein, wo billiger Bourbon fließt und jede Menge Banditenblut. Und wie der Spaghetti-Western auch ist diese Musik aus polnisch-schweizerisch-österreichischer Coproduktion krasses Zeug, aber gut, richtig gut.

Bond lässt seinen Slide Bass finster klagen, mit wenigen gebogenen Tönen erzeugt er die Stimmung einer kargen, staubigen Wüstenlandschaft, Kino für die Ohren. "Paris, Texas", nur sehr viel dreckiger und düsterer. Wenn Bond nicht gerade über die Bass-Seiten schlittert, dreht er an Knöpfen, die es rauschen und hallen lassen. Ein dezentes Elektronik-Gefrickel, das im Jazz schon lange nichts Aufsehenerregendes mehr ist, aber der Soundtextur noch ein paar schöne Akzente verleiht. Schlagzeuger und Bandleader Alfred Vogel schaltet immer wieder um zwischen synkopischen Jazz-Beats und geradlinig hämmerndem Rock-Schlagzeug. Diese ständigen Wechsel, diese Transformationen und elegant vollzogenen Übergänge, diese permanenten Grenzüberschreitungen machen viel von dem Reiz dieses Trios aus.

Eine besondere Rolle kommt dabei dem dritten im Bunde zu, Lucien Dubuis, der seiner dicken Bassklarinette mit einer Vielzahl spieltechnischer Kunststücke die erstaunlichsten Töne entlockt. Er lässt es blubbern und scheppern, er lässt es röhren und kreischen, manchmal klingt seine Klarinette wie ein Tenorsaxofon, dann wieder wie ein Didgeridoo, oder, durch stoßartiges Überblasen, wie ein Xylophon. Aber all das sind nicht nur Effekte um des Effekts willen, sondern sind Teil einer stimmigen, man muss fast schon sagen konzertanten Spielweise, in der Dubuis das zentrale Ein-Mann-Orchester gibt, mal wild, dann fast lyrischschmeichelnd. Wenn man es am wenigsten erwartet, kommt es zu eruptiven, hochvirtuosen Free-Jazz-Attacken, bei denen sich die drei an ihren Instrumenten austoben, vor allem Dubuis, um dann das expressive Durcheinander in größtmöglicher Schlichtheit zu bündeln in einer einstimmig gebrummelten, aber ungeheuer körperlichen, raumfüllenden Line.

Man kann das Jazz nennen oder auch nicht; die Band ordnet ihren Stil selbst als "Western Rock Ambient Jazz Punk mit Live-Elektronik" ein und dreht damit den stets um Verortung im stilistischen Koordinatensystem bemühtem Kritikern eine lange Nase. Nicht nur der Sound, auch die Titel greifen Motive des Spaghetti-Westerns auf, wobei die Betonung hier eher auf "Spagehtti liegt". Es gibt so wunderbare Nummern wie "Hashish Bolognese" oder "Bella Mortadella".

"Hang 'em High" ist ein Spaßprojekt dreier hervorragender Musiker, die zeigen, dass anspruchsvoller Jazz und guter Klamauk bestens harmonieren. Schon zur Begrüßung stellt Bassist Bond sich als "eher seriösen" Musiker vor, um sich abzugrenzen vom "etwas weniger seriösen" Alfred Vogel und den "total albernen" Lucien Dubuis. Wirklich gute Comedians sind sie trotzdem nicht. Wenn Bond wieder mal die Saiten nachstimmen muss und das passiert etwa im Viertelstunden-Takt, reden die Musiker krauses Zeug, um die Zeit zu überbrücken, unter anderem wird Dubuis' kochende Oma das Thema kurzerhand als Erfinderin der "Hashish Bolognese" ausgegeben. Dann entsteht eine Pause, in der Alfred Vogel ratlos ins Publikum schaut. Dieser Smalltalk, sagt er, habe bei ihrer Tournee in China gereicht, um die Pausen zu füllen, weil erst noch ein Übersetzer alles auf Chinesisch erklären musste. Zu gerne hätte man erfahren, wie dieses Trio Infernale bei den Jazz-Fans in China angekommen ist. In Dachau nötigt ihnen das Publikum einige Zugaben ab. Dann tun die Musiker das, was man nach der Arbeit im Wilden Westen so tut: Sie gehen an die Bar und ordern einen Drink.

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Quelle:
SZ vom 19.03.2018
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