Kostümball im Dachauer Schloss:Gut bürgerlich

Stadt und Landkreis feiern auf der Redoute im Schloss ihre Lust am Kostümieren und ihren Spaß am gemeinsamen Tanz, besonders der Française

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Wer Reifrock trägt, ist am Samstagabend auf der siebten Dachauer Redoute im Renaissance-Festsaal des Schlosses klar im Vorteil. Er zeigt sich auf der gefühlt zentimetergenau für die 240 Gäste berechneten Tanzfläche. Hier können die Damen in den ausladenden, oft reich mit allerlei kokettem Putz verzierten Kleidungsstücken den ihnen gebührenden Platz locker einnehmen. Der Nachteil: Durch die Türen der bekanntlich beengten Toilette im Schlossvestibül zu gelangen, artet in Maßarbeit aus. So drehen sich die mit viel Gekicher garnierten Gespräche vor der einst vornehm "Erfrischungsraum" genannten Örtlichkeit auch um die gar nicht anrüchige Frage, wie die Reifrock-Trägerinnen wohl in der Glanzzeit dieser nicht gerade alltagstauglichen Robe das Problem gemeistert haben könnten.

Neben diesem Symbol der Lust an der Verkleidung kommen bei dem gesellschaftlichen Höhepunkt für Stadt und Landkreis Dachau buchstäblich atemberaubende Korsagen, schlichte Dirndl, die erneuerte Dachauer Tracht, hautenge, auf den nicht immer schlanken Leib geschneiderte Spitze, wallende sogenannte "Reformkleidung", die sich zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Befreiung von Korsett und Reifrock auf die Fahnen geschrieben hatte, oder aufregende Kreationen mit edlem Pelzbesatz zu Ehren. Waffenscheinpflichtige Haarnadeln, witzige Fascinators und Ascot-taugliche Hüte komplettieren diese unkonventionelle Mischung von Farben und Stil(-blüten), die von Anfang an ein Markenzeichen der Dachauer Redoute war. Die Lust zum Außergewöhnlichen führt die Tradition dieses "mit Spielen und anderen Vergnügungen verbundenen Maskenballs" aufs Schönste fort.

Kreisheimatpflegerin Birgitta Unger-Richter, die mit dem Dachauer Kulturreferenten Claus Weber den Ball organisiert hat, hat diese treffende Beschreibung in einem Konversationslexikon aus dem Jahr 1818 entdeckt. In München bürgerte sich die französische Bezeichnung "redoute" für Maskenbälle vermutlich nach der Rückkehr von Kurfürst Max Emanuel aus dem französischen Exil (1715) ein. Gut möglich, dass der hochherrschaftliche Geist noch immer durch den Festsaal schwebt, denn der Blaue Kurfürst liebte die damals noch vierflügelige Schlossanlage und ließ seine Sommerresidenz durch Josef Effner im barocken Stil umgestalten.

Die Herren heute bevorzugen Frack und Zylinder in klassischem Schwarz, Gehröcke in allen Grau-Variationen, wärmende Westen, mit Gold und Silber überreich geschmückte Dachauer Tracht oder folgen dem Vorbild der vom Dachauer Künstler Heinz Eder gestalteten und handsignierten Eintrittskarte und tragen Bohème-Look. Diese künstlerisch-wilde Kleidung kommt für Bezirkstagspräsident Josef Mederer, Landrat Stefan Löwl (beide CSU) und Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) natürlich nicht in Frage. Sie haben sich für die Amtstrachten ihrer Vorgänger entschieden und lösen mit ihrem augenzwinkernd-martialischen Auftritt das erste Blitzlichtgewitter der vielen Berufs- und Hobbyfotografen im Saal aus.

Es ist aber auch ein herrliches Bild, das sich da an den Tischen und auf dem Tanzparkett bietet. Ob es anno 1905 bei der legendären Turnerredoute auch so war, hat der Amperbote seinerzeit nicht berichtet. Wohl aber, dass sich eine ehrwürdige Bauernfamilie um Mitternacht am Reck präsentierte, so erzählt es Oberbürgermeister Hartmann in seiner Eröffnungsansprache zum Fest.

Turn- und Fitnessgeräte sind jedoch 2017 völlig überflüssig. Das Publikum gerät auch so schnell ins Schwitzen, pardon transpiriert vor sich hin. Denn Tanzmeister Erich Müller hat den imaginären Dirigentenstab fest in der Hand. Er geleitet die Tänzerinnen und Tänzer durch die Tücken der Festpolonaise zum Auftakt, durch die insgesamt zwölf Tanztouren und durch die für Laien labyrinthische Schrittfolge der Münchner Française, dem Höhepunkt der Redoute. Karl Edelmann und sein Salonorchester sind in Hochform. Sie reihen Walzer, Polka, Galopp, Zwiefachen, Boarischen, Rheinländer, Schottischen wie Perlen an einer Schnur auf. Die Musik reißt mit, geht ins Blut. Und wenn's mal nicht so klappt, wie der Tanzmeister es gerne hätte, ist eine Pause angesagt. Die lohnt sich schon alleine wegen der vorzüglichen Bewirtung im Saal und an der Bar.

Hochwillkommen, weil nun andere "arbeiten", sind die Auftritte von Sopranistin Anna-Maria Bogner und Tenor Bernhard Schneider. Die zwei werden mit Operettenklassikern ganz schnell zum Dream-Team der Redoute, animieren und verführen zum Mitsummen, Mitsingen und zu so manchem romantisch angehauchten Händedruck.

"Aber schon ruft's zum nächsten Tanz, zur Française. Und da stürzt es wieder aus allen Ecken mit jener Hast, die fürchtet zu spät zu kommen". Das hat der Schriftsteller Josef Ruederer vor gut 110 Jahren in seiner Erzählung "Der Fasching" geschrieben. Birgitta Unger-Richter hat die treffende Beschreibung wiederentdeckt: "Mit Not und Mühe stellen Tanzordner die einzelnen Schlachtreihen auf. Tönen aber die ersten Klänge, dann löst sich's in Vorder- und Zurücktreten, in Komplimente und Kußhände, in Balancieren und Drehen. Immer lauter tönt der Jubel, immer kecker fliegen die Röcke." Und die Reifrockdamen schweben 2017 engelsgleich in Richtung Schlossdecke, möchte man hinzufügen. Auch ein schöner Abend "in einer gelösten, im besten Sinne gut bürgerlichen Atmosphäre ohne jeden Ausreißer", wie die Kreisheimatpflegerin sagt, geht irgendwann zu Ende. Im Dachauer Schloss offiziell mit dem Donauwalzer. Und statt Stöckelschuhen sind wieder Winterstiefel angesagt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: