KZ-Gedenkstätte Dachau:Konzertandacht zur Internationalen Woche gegen Rassismus

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Amy Warning und ihr Vater Wally bei einem Konzert im Jahr 2019. Am Sonntag spielen sie gemeinsam in der Dachauer Friedenskirche. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit einer Veranstaltung voller Musik wird am Sonntag schwarzen KZ-Häftlingen gedacht, aber auch über den Dachauer Kolonialisten Walter von Ruckteschell gesprochen. Zudem geht es um „afrodeutsches Empowerment“  in der Gegenwart.

In der Dachauer Friedenskirche wird anlässlich der Internationalen Woche gegen Rassismus an diesem Sonntag, 16. März, der beiden schwarzen KZ-Häftlingen Jean Vosté und Heinz Kerz gedacht sowie an den Dachauer Kolonialisten Walter von Ruckteschell erinnert.

Unter dem Motto „Oh Freedom! – The World needs Love“ gestalten bekannte afrodeutsche Musikerinnen und Musiker sowie Gedenkstättenpfarrer Björn Mensing und dessen Tochter, die Münchner Sozialpädagogin Anika Mensing, an diesem Tag eine Konzertandacht. Die Versöhnungskirche, wo die Veranstaltung ursprünglich hätte stattfinden sollen, kooperiert laut einer Pressemitteilung für die Veranstaltung mit der Evangelisch-Lutherischen Friedenskirche Dachau.

Mit dabei sind die das Münchner Vater-Tochter-Duo Wally und Ami Warning, die Münchner Sängerin und Bildungsreferentin Kokonelle sowie der Dachauer Gospelsänger Simon Sugaray Son. Letztgenannter ist auch Mitglied im Verein Runder Tisch gegen Rassismus und wird als solcher berichten, welche Formen von Rassismus ihm in seinem Alltag in Dachau begegnen. Zudem singt der Chor Feo Antso der Madagassischen Christlichen Glaubensgemeinschaft in München (FMM), die ihre überkonfessionellen Gottesdienste regelmäßig in der Friedenskirche feiert.

Gedacht wird bei dieser Konzertandacht zum einen an Jean Vosté. Er kam 1924 im damals belgisch besetzten Kongo als Sohn einer Kongolesin und eines Kolonialbeamten zur Welt und wuchs in Belgien auf. 1941 ging er mit 17 Jahren in den Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Im Mai 1942 wurde er verhaftet und schließlich vom 25. Juli 1944 bis zur Befreiung am 29. April 1945 als politischer „Schutzhäftling“ im KZ Dachau interniert. Er starb 1993 in Belgien.

Gedacht wird aber auch Heinz Kerz, der vor allem aus rassistischen Gründen verfolgt wurde. Er wurde 1920 in Nieder-Olm im damals französisch besetzten Rheinland als Sohn einer deutschen Mutter und eines Soldaten aus einer französischen Kolonie in Afrika (sein genaues Herkunftsland ist nicht bekannt) geboren - für die völkisch-rassistische Propaganda ein Kind der sogenannten „Schwarzen Schmach am Rhein“. Ab 1933 war er schwerwiegenden Diskriminierungen ausgesetzt: Der erfolgreiche Fußballer durfte nicht mehr in seiner Mannschaft mitspielen. Eine Berufsausbildung wurde ihm verwehrt. 1937 wurde Heinrich Kerz im Rahmen einer von Hitler befohlenen Geheimaktion zwangssterilisiert wie mehr als 400 weitere schwarze Menschen in Deutschland. Am 14. Mai 1943 wurde Kerz von der Gestapo verhaftet und wenige Tage später ins KZ Dachau verschleppt. Dort musste er harte Zwangsarbeit leisten und wurde am Ende noch auf den Todesmarsch in Richtung Bad Tölz getrieben, sodass er sich bleibende körperliche Schäden zuzog. Er kehrte in seine Heimat zurück, heiratete, engagiert sich in seinem alten Fußballverein und wurde leitender Bademeister im örtlichen Schwimmbad. Politisch engagierte er sich in der SPD. Sein früher Tod 1980 wird auf die Haftschäden in Dachau zurückgeführt.

Nicht nur um Vosté und Kerz soll es am Sonntag aber gehen. Es wird laut Mensing auch um Walter von Ruckteschell gehen, der ab 1920 in Dachau lebte. Im Ersten Weltkrieg hatte sich der Künstler in der Kolonie Deutsch-Ostafrika (heute Tansania, Burundi und Ruanda) freiwillig als Offizier der „Schutztruppe“ gemeldet und wurde Adjutant von deren Kommandeur Paul von Lettow-Vorbeck, für den er einheimische Soldaten, „Askari“, unter ihnen auch Kinder, für einen brutalen Feldzug rekrutierte, der etwa 700 000 Menschen das Leben kostete. Neue Studien ergeben, dass der Bildhauer, Illustrator und Schriftsteller in seiner Zeit in Dachau als Kolonial-Revisionist und Rassist agierte, ab 1933 tief mit dem NS-Regime verstrickt war.

Für die Veranstaltung gibt es auch einen Livestream

Das NSDAP-Mitglied wirkte als Propagandist für Hitlers Kriegsziele, zu denen auch die Wiedererlangung von Kolonien gehörte. Als Offizier der Wehrmacht starb er im Juli 1941 beim Untergang des Schiffes, das ihn zum Afrikakorps unter Erwin Rommel in Libyen bringen sollte. Derzeit recherchiert eine vom Dachauer Stadtrat eingesetzte Arbeitsgruppe zu historisch belasteten Straßennamen, darunter befindet sich auch der „Von-Ruckteschell-Weg“. Neben dem Blick in die Geschichte, das betont Mensing, soll es bei der Konzertandacht aber auch ganz bewusst um „afrodeutsches Empowerment“ gehen.

Die Konzertandacht war zunächst für die Versöhnungskirche angekündigt, findet aber laut den Veranstaltern wegen „des starken Publikumsinteresses“ nun ab 15 Uhr in der größeren Friedenskirche statt. Der Eintritt ist frei, Spenden für afrodeutsche Projekte werden erbeten. Man kann der Konzertandacht auch über nachstehenden Livestream beiwohnen: www.friedenskirche-dachau.de/16-maerz-konzert-andacht

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SZ PlusVon Helmut Zeller

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