Süddeutsche Zeitung

Konzert:Trip ohne LSD

Die Zuhörer im Wirtshaus am Erdweg machen in Christian Bennings Multipercussion-Show geradezu bewusstseinsverändernde Erfahrungen. Von Bach bis Ragtime interpretiert er mit seiner Band vieles auf nie gehörte Weise

Von Dorothea Friedrich, Erdweg

Christian Benning passt in kein musikalisches Schema. Das zeigte der 22-jährige Multipercussionist aus Dachau am Samstagabend einmal mehr mit einer genialen Show im Wirtshaus am Erdweg. Das hat der rührige Kulturverein Erdweg von einer Ruine in ein Schmuckstück verwandelt und ist dafür vor zwei Jahren mit dem Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet worden. "Wir wollten möglichst alle Tassilo-Preisträger zu uns einladen", sagt die Vorsitzende Gesa Blaas. Zu denen gehört Benning seit 2014. Benning ist den Sticks verfallen, seit er mit drei Jahren den ersten Schlagzeugunterricht bekam. Mit 13 wurde er Jungstudent an der Hochschule für Musik und Theater in München und studiert seit dem Abitur dort weiter. Nun ist der zweimalige Sieger des Bundeswettbewerbs Jugend musiziert gerade von einem Auslandssemester in den USA zurückgekehrt.

In Erdweg hatte er nicht nur eine gefühlte Lastwagenladung Instrumentarium im Gepäck, sondern geradezu magische Hör- und Seherlebnisse. Wie beispielsweise einen "Bad Touch": Es wird stockfinster im Saal. Aus dem Off quasselt eine Frau auf Englisch ziemlich unverständliches Zeug. Zwei blaue Hände wirbeln in aberwitzigem Tempo einen grell-orange ausgeleuchteten Stick - die Augen saugen sich fest, im Kopf dreht sich alles. - Das Stück stammt vom amerikanischen Komponisten Casey Cangelosi, der ein Interview aus den 1950er Jahren mit einer Frau unter LSD-Einfluss in Percussion umgesetzt hat. Benning schickt damit sein Publikum auf einen Trip ohne illegale Drogen.

Was für ein Kontrast zu den heiter-einschmeichelnden Marimba, Xylo- und Vibrafon-Stücken, wie etwa der Ragtime mit dem hübschen deutschen Titel "Lass mich dein Badewasser schlürfen". Für Benning und seine Kollegen Felix Kolb und Patrick Stapleton sind das Fingerübungen, so souverän, fein abgestimmt und entspannt jonglieren sie mit ihren Schlägeln. Das sei eigentlich ein Stück für sechs Marimbas, sagt Benning. Hätte man die aber aufgebaut, hätte das Publikum keinen Platz mehr gehabt. Aber auch so bringt dieses Trio die Holzkonstruktion im Wirtshaus-Dachgeschoss zum Wackeln. Da zuckelt Dante Agostinis "Le Train - der Zug", erst mal so gemütlich vor sich hin, wie seinerzeit das Bockerl zwischen Altomünster und Dachau, erklimmt schnaufend die Berge, nimmt rasante Fahrt auf und erreicht endlich seinen Zielbahnhof. Das ist Illusionstheater auf höchstem Niveau.

Wird aber locker von einer Performance auf einem Instrument Marke Eigenbau übertroffen. Es entpuppt sich als Tisch mit einer Bespannung, die bei näherem Hinschauen an noch nicht entzifferte prähistorische Schriftzeichen erinnert. "Musiques de Table - Tafelmusiken" der sehr speziellen Art steht auf dem Programm. Die hat der Belgier Thierry De May "erfunden". In einer fabelhaft aufeinander abgestimmten Choreografie wischen und kratzen die drei Percussion-Artisten über den Tisch - und es entsteht ein auf seine Art betörendes Klanggemälde von fast unwiderstehlicher Sogkraft. Das sei, erzählt Benning, auch für ihn und seine Formation Percussion No. 1 "eine völlig neue Grammatik, die wir erst mal verstehen lernen mussten". Benning wirbelt sein Publikum durch Raum und Zeit. Ein D-Dur-Präludium von Johann Sebastian Bach malt pure Freude in die Gesichter, weil es in dieser Bearbeitung für Marimba, Vibrafon und Cajón einfach traumhaft schön gespielt ist. "Rebonds B" von Iannis Xenakis, dem so lange verkannten Meister sehr zeitgenössischer Musik, ist mathematische Präzision in Vollendung - und erinnert mal an einen klopfenden Specht, mal an einen Sturm, der gerade mit bösartiger Wucht zuschlägt. Zeit zum Luftholen gibt es nicht.

Mit affenartiger Geschwindigkeit und geradezu zackig geht es beim "Trio per uno" von Nebojša Jovan Živković zur Sache - neue Instrumentenkonstellation inklusive. Gewissermaßen zurück zu seinen Wurzeln geht Benning mit "Footsteps", einer Eigenkomposition. Nun hockt er wie der Drummer einer wüsten Rockband hinter seinem Drumset und lässt die Sau raus. Das brave Wirtshaus am Erdweg mutiert im aufreizenden knackig violetten Scheinwerferlicht zu einem abgefahrenen Szeneclub, das Publikum tobt. Die nächste Gelegenheit, Benning zu erleben, gibt es schon am Samstag, 9. Juni. Die Dachauer Schlagzeugschule Drums feiert ihr 35-jähriges Bestehen. Dort hat dieser Ausnahmemusiker seine ersten Percussionisten-Schritte gemacht. "Footsteps" ist eine Reverenz an Bennings Lehrer Nobert Siegl, mit dem er nun wieder spielen wird.

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Quelle:
SZ vom 04.06.2018
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