Konzert:Gesangskunst im Zwölferpack

Studierende des Leopold-Mozart-Zentrums Augsburg gestalten ein furioses Konzert zum Auftakt des Europäischen Musikworkshops Altomünster und begeistern ihr Publikum im Barocksaal Indersdorf mit Schumann-Liedern

Von Dorothea Friedrich, Markt Indersdorf

"Gott steh mir bei, Du bist die Hexe Loreley!" Das klingt nach einem Horrorfilm. Joseph von Eichendorff (1788-1857) hat diese gruselige Begegnung der dritten Art in "Waldesgespräch" eindrucksvoll beschrieben. Robert Schumann (1810-1856) vertonte das Gruselmärchen in seinem Zyklus "Liederkreis". Die junge Sopranistin Julia Heiler macht daraus ein so beeindruckendes Drama, dass sich ihrem Publikum die Nackenhaare sträuben. Heiler gehört zu den zwölf Gesangssolisten, die am Freitag im Barocksaal des ehemaligen Augustiner-Chorherrenstifts Indersdorf das Auftaktkonzert zum zwölften Europäischen Musikworkshop Altomünster (Eumwa) gestalteten. Sie alle sind Studierende am Leopold-Mozart-Zentrum der Universität Augsburg. Der Liederabend mit dem Titel "Als hätt' der Himmel" erwies sich mit Schumanns Liederkreis op. 39, Auszüge aus dessen Myrthen op. 25, und der Liederreihe op. 35 nach Gedichten von Julius Kerner als spannender und beglückender Auftakt des Eumwa.

Warum das Auftaktkonzert traditionell in Indersdorf stattfindet, erklärte Markus Kreul, künstlerischer Leiter des Eumwa: "Wir wollen junge Menschen aus der Region motivieren, denn Europa fängt vor der Haustür an. In der Woche nach Ostern kommen musikbegeisterte Kinder und Jugendliche aus vielen Ländern nach Altomünster, das ermöglicht neue Formen der Begegnung." Letzteres trifft auch auf den Liederabend zu. Das gute Dutzend junger Sängerinnen und Sänger machte selbst eingefleischten Schumann-Fans den Abschied von jahrelang zelebrierten Hörgewohnheiten leicht. Die Zuhörer konnten tief in zwölf Welten unterschiedlichster Stimmen, Empfindungen und Interpretationen abtauchen, um erst nach der Zugabe musikseelig lächelnd wieder aufzutauchen.

Warum? Dieser Konzertabend erwies sich als Spiegelbild der Gemütslage Schumanns im Jahr 1840, in dem die drei Liederreihen entstanden sind und wurde damit zur Achterbahn der Gefühle: Schumann darf 1840 endlich Clara Wieck heiraten. Er betritt auch musikalisch neues Terrain, wendet sich dem Lied zu und schmiedet wie im Rausch unvergängliche Bündnisse von Worten und Tönen. Diese zählen heute zum Standardrepertoire jedes Sängers, der seine Vielseitigkeit jenseits von Met und Bayerischer Staatsoper beweisen will. Und der in Sachen Lied bisweilen sein Programm abnudelt. Er respektive sie hätte daher am Freitag von den Sopranistinnen Julia Heiler, Natalija Radosavljevic und Hyunju Kim, den Tenören Ian Spinetti, Moritz Kugler, Jeayoun Kim und Wanting Li sowie den Baritonen Dabo Liu, Matthias Lika, Songheon Kim und Jun Ting Wan noch einiges lernen können.

Tenor Jeayoun Kim atmet Musik, lässt sie in sich hineinfließen und verströmt sie mit unglaublicher Innigkeit. Das hat Fritz-Wunderlich-Schmelz und ist Lyrik in Vollendung. Sopranistin Natalija Radosavljevic ist eine vor Sehnsucht vergehende Geliebte, die ihr Verlangen kaum noch zügeln kann. Dabo Liu entfährt nach den Anforderungen der Ballade vom alten Ritter "auf einer Burg" ein erleichtertes "Puh", was ihm die Herzen seiner Zuhörer zufliegen lässt. Das inspiriert den Sänger dermaßen, dass das Publikum bei Dabo Lius "Erstes Grün" förmlich das Gras vor seinem geistigen Auge sprießen sieht. Bass-Bariton Jinuk Kim besingt das "Trinkglas eines verstorbenen Freundes" stimmgewaltig hingebungsvoll, dass man ein wenig in Sorge um die Fenster des Barocksaals gerät. Jinuk Kims "Freisinn" ist ein einziges trotziges, schon fast wagnerianisches Aufbegehren gegen jegliche Konvention. Tenor Kugler und Sopranistin Radosavljevic umgarnen sich im Tanzlied op. 78,1 mit einem leidenschaftlich-sinnlichen Pas de Deux der Beziehungskrisen. Sopranistin Hyunju Kim meistert die Mutter aller Liebeslieder, die "Widmung", träumerisch-versonnen und absolut kitschfrei. Tenor Wanting Li lässt die "Mondnacht" hell erstrahlen. Bariton Ian Spinetti weint bewegende "Stille Tränen". Jung Tin macht die Trauer um die verlorene Heimat "In der Fremde" nachfühlbar. Sangheon Kim legt alle "Wehmut" verlorenen Glücks in seine Baritonstimme. Matthias Lika zaubert mit "Zwielicht" großes Kino. Jun Tin Wan ist mit "Wer machte dich so krank" personifiziertes Mitgefühl.

Markus Kreul am Flügel ist mehr als nur "Kommentator am Klavier", wie er in seiner Moderation sagte. Es meistert eine Doppelaufgabe: Er ist der "Gesprächspartner" seiner Solisten, stellt mit ausdrucksstarkem Spiel Fragen und gibt Antworten. Und, er unterrichtet das Sänger-Dutzend, hat ein Ohr für jede Nuance ihres Auftritts. Dieser Respekt vor der Persönlichkeit jedes Künstlers machen Lust auf mehr.

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