Schwer sind die Klänge. So schwer wie der sumpfige Morast der Südstaaten, der bei jedem Schritt wie Kaugummi an den Schuhsohlen klebt. Ein Klagen ohne Jammern, ein Flehen ohne Fordern. Fantasien fliegen durch die Luft, die heiß und schwül zu werden scheinen, durchwoben vom Zirpen der Zikaden. Lange Güterzüge johlen durch die Nacht, vorbei an verschlafenen Provinzorten mit einfachen Scheunen. In denen der harte Alltag des Landlebens keinen Platz findet, weil hier getanzt und gefeiert wird.
Viele schließen die Augen, sobald "Sir" Oliver Mally die Saiten seiner Gitarre berührt und Hubert Hofherr seine Lippen an die Mundharmonika setzt. Und dann tauchen sie ab, in eine Welt, wo nicht, wie an diesem Samstagabend, um die Alte Schule in Lauterbach der Wind den Schnee waagrecht um die Häuser jagt.
Der Förderverein hat das wunderschöne Gebäude vor dem Abriss bewahrt und eigenhändig zu einem optischen und kulturellen Schmuckstück ausgebaut. Die Vorsitzende Claudia Fleischer hatte sich gefreut, dass so namhafte Künstler hier auftreten. Doch an diesem Samstag fürchtet sie, dass der Saal im ersten Stock nicht voll werden könnte. Viele Besucher haben abgesagt wegen des Wetters. "Wir spielen für die, die da sind, und nicht für die, die nicht da sind", sagt Oliver Mally gelassen. Doch dann ist alle Aufregung Fleischers umsonst: Der Saal ist gut gefüllt, einige Zuhörer müssen sogar stehen. Und Mally, der Bluesmusiker und Liederschreiber aus der Steiermark, greift in seine Saiten und vergisst alles drumherum. Jetzt zählt die Musik, die Geschichten und die Gefühle, von denen der bald 53-Jährige eine schier unerschöpfliche Bandbreite wiederzugeben vermag.
Im vergangenen Jahr war er bereits in Lauterbach. Damals mit dem Pianisten Martin Gasselsberger. Oliver Mally, der Mann mit den indianischen Gesichtszügen, der sich selbst zum "Sir" erhob und damit nicht nur sich, sondern vor allem seine musikalische Kunst adelt, tritt gerne mit anderen Musikern auf, die seine Liebe zum Blues, zum tragischen wie zum lebensbejahenden, ja fast rockigen, teilen und eine Einheit bilden. Jetzt steht er zusammen mit Hubert Hofherr auf der Bühne, den er sogleich eigenmächtig mit einem "von" adelt. Die zarten und exakten Töne, die der Niederbayer aus seinen Mundharmonikas entlockt, lösen begeisterten Zwischenapplaus und Beifallsrufe aus.
Die Stimmung ist gelöst. Kerzen beleuchten die roten Rosen auf den Tischen und die Beleuchtung der nackten Mauerwand hinter den Künstlern passt perfekt zum Konzert. Eingewoben in die Tragik einsamer Männerherzen und sonstigen Enttäuschungen liegt die Musik, liegen die Texte nicht schwermütig auf den Herzen der Zuhörer. Sie berühren eher, trösten. Und dann wechseln die beiden Künstler, die sich erst vor jedem Lied neu auf das nächste Stück einigen, ständig ab: Nach einem langsamen, ruhigen Song folgt einer, der Köpfe, Beine und Füße rhythmisch folgen lässt und sogar zum Tanzen animiert.
"Sir" Oliver Mally lebt seine Musik. Seine Augen weiten sich vor Lust, wenn eine besonders gelungene Phrase ihn selbst begeistert (und davon gibt es sehr viele); sein Mund formt jedes Wort; seine Töne streicheln zärtlich die Stimmbänder oder fordern sie rauchig kräftig heraus.
Seit 1990 ist er mit seinen Bands, aber auch Solo national und international auf Tour. Immer wieder wird er mit Preisen bedacht und mit besten Kritiken überhäuft. Der Koffer mit CDs ist voll und nach dem Konzert wird er viele Lücken aufweisen. Hubert Hofherr ist nicht nur der Spiegel seiner Musik, er setzt vielen Liedern noch das "Sahnehäubchen" auf. Der unscheinbare und eher zurückhaltende Musiker mit dem unzähmbaren Wuschelkopf zelebriert dabei seine Kunst. Mit einer Bedachtheit fischt er stets vor jedem Stück eine andere Mundharmonika aus seinem Kasten, als handele sie sich um wertvolle Juwelen. Vollkommen in sich versunken taucht er dann mit geschlossenen Augen ab, in die Welt der Musik, die er mit seinem Instrument noch einmal zu einem ganz neuen Leben erweckt.
Die Pause ist viel zu schnell da und auch länger als anderswo gewohnt. Es gibt viel zu erzählen, viel zu erinnern. Wie das Haus früher aussah, wie schwer die Arbeit und wie lohnend sie war. Leckere Häppchen werden dargeboten, gezaubert von den Mitgliedern des Vereins. Nicht nur die, die man eh schon kennt, werden in die Unterhaltungen mit einbezogen, auch andere dürfen mitreden. Das Gemeinschaftsprojekt ließ nicht nur die Lauterbacher näher zusammenrücken. Es öffnet auch viele Türen. Eine Besucherin kommt extra aus Weilheim zum Konzert - und nicht wenige Fördermitglieder stammen aus München und Umgebung.
Nahtlos setzen die beiden Künstler ihr Konzert schließlich fort. Mit eigenen Kompositionen, die stets auch witzige und winzige Elemente von bekannten Liedern von Jimmy Hendrix oder Pink Floyd enthalten - und mit Coverversionen, wie Bob Dylans "Simple twist of fade". Lyrik, Blues, Country und immer sind Mally und Hofherr eins mit den Tönen und den Inhalten der Texte. Zwei Zugaben geben die beiden Künstler, gehen dürfen sie trotzdem nicht. Eine dritte wird gefordert - und das Versprechen, im nächsten Jahr wiederzukommen.