Konzert bei Kult A8 in Wiedenzhausen:Wenn John Dowland mit Charlie Parker jammt

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Spielfreude pur: Hugo Siegmeth (links) und Axel Wolf in Sankt Florian. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Saxofonist Hugo Siegmeth und Lautenist Axel Wolf verbinden bei Kult A8 Epochen, die einander näher sind, als man denkt

Von Gregor Schiegl, Sulzemoos

Die Neunziger waren das Jahrzehnt der wilden Mixturen. Alles, was klingt, wurde auf Teufel komm raus miteinander vermengt: Rap mit Rock, Metal mit Jazz. Crossover nannte man das, und das meiste davon war gar nicht mal so schlecht. Wenn ein Saxofonist und ein Lautenspieler gemeinsam Jazz-Standards und Lieder aus dem Barock und der Renaissance interpretieren, klingt das zunächst ähnlich verwegen, schon allein weil das Saxofon eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist. Tatsächlich ist es aber eine sehr naheliegende Versuchsanordnung, zu der sich Hugo Siegmeth und sein Bruder im Geiste, Axel Wolf, zusammengefunden haben. Anders als in der Klassik waren die Noten der alten Musik nicht exakt notiert. Der Basso continuo lieferte nur eine Bandbreite möglicher Begleitakkorde, die erst in der Improvisation des Spiels konkret ausgestaltet wurden. Genau das ist die Schnittstelle zum Jazz: die Improvisation. "Und über diese Brücke gehen wir", erklärt Hugo Siegmeth. Dass hier keine Brüche zu erwarten sind, signalisiert schon der Titel ihres Programms "Flow". Werke von Claudio Monteverdi, George Gershwin, John Dowland, Georg Friedrich Händel und Miles Davis werden hier in einer stilvollen Jam-Session zusammengeführt. Von Axel Wolf an der Laute und Theorbe und Hugo Siegmeth an Alt- und Sopransaxofon, sowie an der Bassklarinette. Kult A8 hat die beiden Musiker in die mit Gold und reichen Stuckverzierungen reich ausgestatteten und gut besuchten Kirche Sankt Florian nach Wiedenzhausen eingeladen. Auch der Bayerische Rundfunk ist gekommen mit Kameras und Mikros, die pelzig zu Füßen der Musiker lagern wie Schoßhunde auf alten Renaissanceporträts.

Das Duo beginnt locker und spielfreudig, man muss fast sagen spielwütig, mit einer traditionellen Tarantella, und Axel Wolf demonstriert schon gleich zu Beginn, dass Lautenspiel viel mehr sein kann als nur gediegenes Gezupfe. Man kann die Laute auch modern spielen, mit Verve, was man nicht mit Grobheit verwechseln darf. Wolfs Spiel ist immer filigran und virtuos, aber er nimmt auch Synkopen ins Repertoire auf. Die kannte man in der Renaissance so nicht, für den Jazz sind sie hingegen stilprägend, ja konstitutiv.

Hugo Sigmeth ist ein Meister der leisen Töne, was sicherlich auch der Rücksicht auf die nicht eben krachige Laute geschuldet ist. Aber es ist nicht so, dass er sich fesseln im Spiel anlegen würde. In der Bearbeitung von Charlie Parkers berühmter Nummer "Ornithology" erlaubt er sich auf der Bassklarinette kurze, aber heftige Klangeruptionen. Die meiste Zeit aber ist sein Spiel so lyrisch und zart, dass es eher vokal wirkt als instrumental. In John Dowlands "Flow my Tears" vom Jahr 1600 klagt das Tenorsaxofon ergreifend, während Wolf seiner Theorbe locker folkige Klänge entlockt. Dafür ist Antônio Carlos Jobims "Girl of Ipanema" durch den kühlen Klang der Laute seiner tropischen Schläfrigkeit beraubt und wirkt dadurch umso munterer und klarer. Der Reichtum des Spiels bildet sich vor allem in den Feinheiten ab, in der Intonation, in den Phrasierungen und nicht zuletzt in Siegmeths Talent, Klangfarben von üppig-voluminös bis zur blassen Tontapete zu variieren.

Die zwei sind nicht nur hervorragende, sie sind auch ein exzellentes Duo. Sie befeuer und inspirieren einander, etwa wenn Siegmeth das Saitenspiel der Laute mit einem feinen Vibrato aufnimmt und weiterspinnt und Wolf daraus ein Ostinato extrahiert oder - wenn man es im Jazz-Jargon ausdrücken will - einen Vamp, was ja letztlich keinen Unterschied macht. Am besten studieren lässt sich ihr Können, wenn die beiden frei improvisieren, wenn sie aus musikalischen Miniaturen Themen entwickeln und einen perfekten Spannungsbogen schlagen. Das ist große Kunst. Zum Programm gehört auch eine Eigenkomposition des gebürtigen Banater Schwaben Hugo Siegmeth, der immer wieder dezent Rhythmen und Harmonien der rumänischen Hora einflicht. All das funktioniert so organisch und harmonisch, dass man von Weltmusik im besten Sinne sprechen kann. Zeitloser Weltmusik.

Siegmeth und Wolf erzählen nebenbei viel über die Musikgeschichte, über ihre Instrumente. Das tun sie nicht nur fachkundig und informativ, sondern auch auf sehr sympathische Weise. Man merkt: Die beiden lieben, was sie tun. Als die Leute nach knapp zwei Stunden auf harten Kirchenbänken eine Zugabe herbeiklatschen, greift Hugo Siegmeth grinsend zum Saxofon. "Darauf hatten wir spekuliert." Und dann spielen sie einen Blues, das Publikum singt mit. Ein weihevoller Augenblick im Tempel der Musik.

© SZ vom 09.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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