Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in Erdweg:Vordenker in Zeiten der Veränderung

Erdwegs CSU-Bürgermeister Christian Blatt ist bis 2023 gewählt. Doch mehr als die Hälfte der derzeitigen 20 Gemeinderäte tritt bei der Kommunalwahl nicht mehr an, viele der anderen kandidieren auf hinteren Listenplätzen

Von Julia Putzger, Erdweg

Rund einhundert Kandidaten aus acht verschiedenen politischen Gruppierungen: Man könnte vermuten, dass so mancher Erdweger bei der Wahl seines Gemeinderats ob der großen Auswahl überfordert sein wird. Ähnlich vielfältig ist die politische Landschaft sonst nur im Land- oder Bundestag oder in den Städten, wie etwa in Dachau. Erdwegs Bürgermeister Christian Blatt (CSU) vermutet hinter den vielen Listen aber kein überaus großes politisches Interesse der Erdweger, sondern verweist schlicht auf die Struktur seiner Gemeinde.

Denn um wirklich ganz Erdweg zu sehen, ist eine längere Tour nötig. Ungefähr eine Stunde benötigt man, um einmal durch alle Ortsteile der Gemeinde Erdweg zu fahren, stattliche 20 Stück sind das an der Zahl. Anders jedoch als in vielen der umliegenden Gemeinden gibt es keinen einzelnen Ortsteil, der wesentlich mehr Einwohner hat als alle anderen. Stattdessen gibt es sieben Ortsteile, die alle zwischen 500 und 1500 Einwohner zählen, eigene Vereine, Wirtshäuser und Infrastruktur haben. "Alle pflegen eine eigene Dorfgemeinschaft, sodass es bei uns alles mindestens vier oder fünf Mal gibt", sagt Bürgermeister Blatt. Und das gilt eben auch für die politischen Gruppierungen.

20 Gemeinderäte gibt es in Erdweg, verteilt auf acht Gruppierungen. Drei davon sind wertgebunden - das sind die CSU, die Freien Wähler und die SPD. Die anderen fünf sind ortsgebundene Wählergemeinschaften aus Eisenhofen, Kleinberghofen, Großberghofen, Unterweikertshofen und Welshofen, die auf eine lange Tradition zurückblicken. Denn, so erklärt Blatt, die Wertegemeinschaften seien erst viel später entstanden, lange Zeit habe es nur die Ortslisten gegeben.

Für die Zusammenarbeit im Gemeinderat stellt das zwar eine Herausforderung dar, der man sich laut Bürgermeister Blatt im aktuellen Gemeinderat aber erfolgreich gestellt habe. Er bezeichnet die bisherige Arbeit als "harmonisch, zielgerichtet, schnell und sachorientiert." Es gebe keine Parteiarbeit im eigentlichen Sinn und keine "Parteisoldaten" - dasselbe erwartet er sich aber auch von den Gemeinderäten der Ortsteillisten: Es dürfe kein reines Ortsteildenken geben, bei dem Projekte im einen Ortsteil mit einem Bonus im anderen aufgewogen werden. Bisher habe das eigentlich gut geklappt - dass das auch nach der Wahl so bleibt, hofft Blatt. Es steht nämlich ein großer Wechsel an: Mehr als die Hälfte der derzeitigen Gemeinderäte tritt bei der Kommunalwahl nicht mehr an, viele der anderen auf hinteren Listenplätzen.

Eines ändert sich aber auch nach den Kommunalwahlen sicher nicht: Der Bürgermeister der Gemeinde Erdweg wird weiterhin Christian Blatt heißen. Der 36-Jährige ist erst seit September 2017 im Amt, nachdem sein Vorgänger Georg Osterauer (Freie Wähler) überraschend gestorben war. Eine Bürgermeisterwahl gibt es in Erdweg also erst 2023 wieder. 2017 setzte Blatt sich klar gegen den Gegenkandidaten und Gemeinderat Joseph Ndogmo durch. Ndogmo ist gebürtiger Kameruner und kandidiert dieses Mal auf der Liste der Freien Wählergruppe Welshofen ganz vorne. Der Wahlkampf in Erdweg läuft ohne eine Bürgermeisterwahl dementsprechend ruhig ab: Wahlplakate werben vor allem für die Landratskandidaten, die Ortslisten machen online oder mit Postwurfsendungen in ihren Gebieten auf sich aufmerksam. Trotzdem ist Blatt auf einigen Aufstellern zu sehen: Er kandidiert auf Platz 17 der CSU-Kreistagsliste.

Eines der großen Plakate, von denen Landrat Stefan Löwl lächelt, steht am Ortsausgang von Erdweg, wo die Straßen nach Arnbach und Großberghofen sich treffen auf einem Acker - einer Fläche die eigentlich als Gewerbegebiet gewidmet ist, aber nicht der Gemeinde selbst gehört. Das Problem ist Dauerbrenner in der Gemeindepolitik: Derzeit gibt es nur Handwerksbetriebe und mittelständische Unternehmen, die der Gemeinde Gewerbesteuern einbringen. Doch selbst wenn sich Unternehmen - statt in den benachbarten Gemeinden Sulzemoos und Odelzhausen, die durch die Lage direkt an der Autobahn punkten - in Erdweg ansiedeln wollten, kann die Gemeinde schlichtweg keine Flächen zur Verfügung stellen, weil sie keine besitzt.

Gleichzeitig aber steigt die Nachfrage der 6000 Erdweger nach Kinderbetreuungsplätzen. Vier Gruppen sind derzeit in provisorischen Räumen untergebracht, zum Beispiel in den ehemaligen Umkleideräumen der alten Erdweger Turnhalle. "Unsere Kapazitäten langen vorne und hinten nicht", sagt der Bürgermeister. Dementsprechend stehen in der Gemeinde große Bauvorhaben auf dem Plan: Im Ortsteil Eisenhofen beginnt im April der Bau eines neuen Kinderhauses. Im Ortsteil Walkertshofen sollen in einem Neubau unterhalb der Pfarrkirche ebenfalls Kapazitäten geschaffen werden, an dem Projekt beteiligt sich auch der Schützenverein. "Das verspricht ein schönes Ortszentrum zu werden", sagt Blatt.

Ein solches wünscht sich Bürgermeister Blatt auch für Erdweg. Dort sind Rathaus, Schule, Kindergarten und Pfarrzentrum zwar in unmittelbarer Nähe, zum Wohlfühlen lädt der Platz zwischen den einzelnen Gebäuden aber nicht ein. Während Blatt über den Platz geht, erzählt er, dass sich seit seiner Schulzeit hier vieles gewandelt habe. Deswegen sei eine Umgestaltung jetzt dringend nötig - im Zuge der Erweiterung der Schule sowie Baumaßnahmen am Pfarrzentrum soll dann ein einladender Vorplatz entstehen.

Doch die Bürger von Erdweg brauchen nicht nur Schulen und Kinderbetreuung, sondern auch Platz zum Wohnen. Auch draußen am Land sei der Siedlungsdruck der Metropolregion München zu spüren, die Grundstückspreise gestiegen, sagt Blatt. Deshalb tüftelte die Gemeinde im vergangenen Jahr lange an einem Einheimischenmodell, um den Erdwegern finanzielle Vorteile beim Erwerb von Grundstücken in der Gemeinde geben zu können. Mit Erfolg: 15 von 17 Grundstücken in Eisenhofen wurden so verkauft. Das erste Haus ist dort schon fast fertig und auch die Gemeinde selbst hat vor, auf dem Areal in den Wohnungsbau einzusteigen, um bedarfsgerecht für Jung und Alt zu bauen - also vor allem kleinere Wohneinheiten. Auch Nachverdichtung ist geplant, wobei man sich dabei auf einem schmalen Grat bewege: "Wir wollen das Ortsbild und den Charakter dabei nicht über Bord werfen, müssen aber Wohnraum schaffen", so Blatt.

Ebenfalls auf der Erdweger To-Do-Liste stehen umfangreiche Kanal- und Straßenbaumaßnahmen, die Ortsdurchfahrt in Kleinberghofen soll saniert, der Erdweger Sportplatz verlegt werden. "Das Investitionsvolum der nächsten Jahre ist hoch, aber wir können das schultern", erklärt Blatt selbstsicher. Trotzdem mahnt er: "Wir brauchen einen Fokus auf das Wesentliche." Der Zusammenhalt der einzelnen Ortsteile innerhalb der Gemeinde ist dafür jedenfalls unerlässlich.

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SZ vom 06.03.2020
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