Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in Dachau:Die Stunde der Herausforderer

Das Bündnis für Dachau versammelt die sechs Gegenkandidaten von Landrat Stefan Löwl (CSU) und setzt damit ein starkes Zeichen für den politischen Wechsel im Landkreis

Von Helmut Zeller, Erdweg

Auf dem Rückweg nach Dachau sagt eine Frau im Auto der Fahrgemeinschaft: "Also, der Liebl hat mich am meisten beeindruckt, der wirkt kompetent und besonnen." Die anderen stimmen ihr zu. Achim Liebl, 60, Kandidat der Grünen für die Landratswahl, hat eine gute Figur gemacht auf der Veranstaltung im "Freudenhaus" in Kleinberghofen. Das Bündnis für Dachau hatte ihn und fünf weitere Herausforderer des Landrats Stefan Löwl (CSU) zu einer Podiumsdiskussion eingeladen - Löwl war auch angefragt worden, hatte aber am Mittwochabend bereits einen Termin. Sechs leere Stühle stehen auf der Bühne der Kultkneipe - Besucher strömen in den Saal, bald ist kein Platz mehr frei, die Veranstaltung der "Superlative", wie das Bündnis sie angekündigt hat, zieht. Im November 2014 drehten hier Emma Watson und Daniel Brühl Szenen des Thrillers "Colonia". Einen Thriller wird man heute Abend nicht sehen, doch die Kommunalwahl bietet genug Spannung. Das ist heute Abend schon spürbar, da liegt etwas in der Luft - Aufbruch, Sehnsucht nach einem politischen Wechsel.

Das sagen auch die Umfragen im ganzen Land. Dem "Bayerntrend" zufolge würde die CSU auf 36 Prozent kommen, die Grünen auf 25 Prozent (plus vier), wenn am kommenden Sonntag Landtagswahlen wären. Die SPD läge bei einem neuen Tiefststand, sieben Prozent, Freie Wähler (minus drei) und AfD (plus zwei) würden jeweils zehn Prozent erreichen. Das sind Zahlen vom Januar, der Trend hält aber an. Die Grünen sind weiter auf dem Vormarsch in der Stadt München. Laut einer aktuellen Umfrage würden derzeit 42,8 Prozent bevorzugt die Partei wählen. Vom bundesweiten Höhenflug seiner Partei hofft Spitzenkandidat Achim Liebl bei den Kommunalwahlen zu profitieren.

Die politische Landschaft im Landkreis Dachau hat sich grundlegend verschoben. Das begann mit der Wahl im März 2014. Damals fiel Dachau. Florian Hartmann (SPD) zwang Oberbürgermeister Peter Bürgel (CSU) in die Stichwahl und gewann sie. Ein Schock für die CSU. Nach 37 Jahren trat Landrat Hansjörg Christmann (CSU) nicht mehr an. Sein Nachfolger Stefan Löwl, dem Christmann eine knappe absolute Mehrheit im ersten Wahlgang prophezeit hatte, musste auch in die Stichwahl. Er hatte nur vier Prozent mehr als Martin Güll (SPD), damals Landtagsabgeordneter, erreicht.

Es war ein schwarzer Tag für die CSU. Gegen eine Wiederholung hätte das Bündnis nichts einzuwenden. Dafür tut es einiges. Stadtrat Kai Kühnel, Zweiter Bürgermeister, gilt als der Architekt der Allianz für den amtierenden Oberbürgermeister. SPD, Grüne und Bündnis nominierten Florian Hartmann als gemeinsamen Spitzenkandidaten - mit dem Ziel, Hartmann eine mögliche Stichwahl bei fünf Bewerbern zu ersparen. Die könnte für ihn gefährlich werden. Dem Landrat Stefan Löwl dagegen würde das Bündnis eine Stichwahl gönnen. Sie ist bei der Vielzahl von Kandidaten auch nicht ausgeschlossen.

Die Podiumsdiskussion "Die Herausforderer" - das Motto wurde nach Löwls Absage kreiert - gerät zu einer Demonstration des Willens zum Wechsel. Natürlich geht es, wie angekündigt, auch darum, die Einstellung der Bewerber zu den politischen Grundsätzen des Bündnisses in Erfahrung zu bringen, ob sie sich für mehr Teilhabe, soziale Gerechtigkeit oder ökologischere Verkehrskonzepte einsetzen wollen. Auch Fragen nach erneuerbaren Energien und einer Ökonomie für das Gemeinwohl spielen eine Rolle.

Aber an diesem Abend soll demonstriert werden, dass es in der Landkreispolitik wie schon in der Stadt auch ohne CSU an der Spitze ginge. Das hat sich das Bündnis fein ausgedacht. Die Wählergruppierung hat sich in den 25 Jahren ihres Bestehens zu einem politischen Gewicht in der Stadt entwickelt, ein Jahr nach der Gründung errang das Bündnis Stadtratsmandate, heute entsendet es vier Vertreter in den Dachauer Stadtrat. Und: Erstmals kandidiert es auch für den Kreistag.

Bündnis-Sprecher Mike Berwanger moderiert humorvoll und unterhaltsam den Abend, der sich über mehr als drei Stunden hinzieht. Auf dem Podium sitzen: Hubert Böck (SPD), Sebastian Leiß (Freie Wähler Dachau), Achim Liebl (Die Grünen), Hauke Stöwsand (ÖDP), Dagmar Wagner (Freie Wähler) und Jonathan Westermeier (Die Linke). Einzelne Bündnis-Mitglieder fühlen den Kandidaten auf den Zahn. Und dann ist noch das Publikum dran. Etwa die Frage nach der Armut und dem überteuerten Wohnraum im Landkreis. Dachau liegt bei Miet- und Immobilienpreisen auf den vorderen Plätzen im bundesweiten Ranking. Von 200 Obdachlosen in den Unterkünften sind 70 Kinder. Es gibt weniger als 2000 Sozialwohnungen im Dachauer Land, die Wartezeiten auf eine Zuteilung liegen zwischen vier und sechs Jahren - alle Kandidaten sind sich einig, dass dieser Missstand behoben werden müsse. Leiß sieht Versäumnisse in der Bodenpolitik des Landkreises, Böck würde als Landrat auch Wohnungen für Mitarbeiter der Behörde bauen lassen und plädiert wie Dagmar Wagner für zusätzliche Einheimischenmodelle und Wohnraum im Erbbaurecht. Liebl würde in Kooperation mit den Gemeinden das Problem angehen, der Landkreis müsse Geld für den kontinuierlichen Ankauf von Grundstücken in die Hand nehmen und sie dem Markt für den Bau von Sozialwohnungen zuführen. Unzählige Themen werden an diesem Abend diskutiert - Neubau des Landratsamtes, Verkehrspolitik, Gesundheitsversorgung, ÖPNV, Energiepolitik, Klimawandel, Kreisumlage. Das ist alles in ihren Wahlprogrammen nachzulesen. Die einzelnen Kandidaten sind mehr oder weniger in allen Fragen bewandert und alle sind besten Willens, eine Lösung herbeizuführen.

Doch es geht auch um den Auftritt, um den Eindruck, den sie als Persönlichkeiten hinterlassen. Böck und Wagner geben sich bodenstämmig, im Landkreis tief verwachsen, Stöwsand, ein Jurist, zeigt sich als analytischer Kopf, Leiß präsentiert sich als scharfer Kritiker der Politik des Landrats, dessen Ausführungen Liebl ein paar Mal korrigiert, und Westermeier überrascht mit erfrischenden Aussagen. Der Streit zwischen der Stadt Dachau und dem Landkreis über die Kreisumlage sei doch so weit weg von den Menschen. Entscheidend ist - ob Landkreis oder Gemeinde -, dass das Geld sinnvoll für die Menschen ausgegeben werde, also etwa für Schulen und nicht für Straßen. Überhaupt sticht Westermeier, 27 Jahre alt, aus der Reihe heraus, mit seinen Rastalocken, lässig auf dem Stuhl sitzend, aber bei aller Jugendlichkeit durchaus mit kommunalpolitischem Durchblick. Natürlich, sagt er selbst auch, hat er keine Chance, aber unterschätzen sollte man ihn nicht, denn er steht an der Spitze der "Fridays for Future"-Bewegung im Landkreis und hat gerade bei Jugendlichen einen guten Stand.

Der Grünen-Kandidat Achim Liebl jedoch mit seiner kompetenten, ruhigen und überlegten Art, macht das Rennen in dieser Art Vorauswahl - gemessen zumindest an den Reaktionen der Zuhörer. Viele sehen ihn schon in einer Stichwahl mit Löwl, sofern es überhaupt dazu kommen wird. 2014 erreichten seine Herausforderer, Michaela Steiner (FW) gut 20 Prozent, Martin Güll (SPD) gar knapp 38 Prozent. Aber damals trat Löwl erstmals an, Güll war als ehemaliger Schulleiter und profilierter Bildungspolitiker sehr beliebt. Löwl hat sich in den zurückliegenden sechs Jahren nicht nur in seiner eigenen Partei, sondern auch bei Grünen, SPD und Freien Wählern viel Anerkennung und Respekt erarbeitet. Die Wähler in Bayern schätzen Umfragen zufolge ihre Kommunalpolitiker ohnehin ungleich mehr als Landes-, Bundes- und Europapolitiker. Auch ist es nicht so, dass Landrat Löwl nicht ohnehin etliche Ziele, die seine Herausforderer an diesem Abend formulieren, selbst verfolgen würde, und das auch mit Erfolg. "Der Amtsbonus", sagt Liebl, gegen die Chance auf eine Stichwahl einwendend. Selbst die muss aber nicht zu einem Wechsel führen.

An den Wänden im Freudenhaus hängen alte Fotos von Erwachsenen und Kindern, die längst nicht mehr am Leben sind. Viele Träume sind in der Wirtschaft schon geträumt worden. Das ist gut so. Die meisten dürften nicht wahr geworden sein. Einige aber vielleicht doch.

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Quelle:
SZ vom 21.02.2020
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