Kommentar:Nicht nur ein Studienpreis

Die Auszeichnung, die das Internationale Dachau-Komitee gestiftet hat, fördert wichtige wissenschaftliche Aufarbeitung der Naziverbrechen und verstärkt die Präsenz des Verbandes ehemaliger KZ-Häftlinge in der bayerischen Gedenkpolitik

Von Helmut Zeller

Auch wenn zuweilen behauptet wird, dass Nationalsozialismus und Holocaust doch inzwischen umfassend erforscht seien - dem ist eben nicht so. Das zeigt einmal mehr die Studie des Historikers Martin Clemens Winter über die Todesmärsche. Es gibt etliche Monografien zu diesem Thema; der israelische Historiker Daniel Blatman hat 2010 ein mehr als 800 Seiten starkes Standardwerk zum letzten Kapitel des nationalsozialistischen Massenmords vorgelegt. Der Internationale Suchdienst Bad Arolsen (ITS) hat 2011 zum Thema eine Konferenz veranstaltet und verfügt über eine Fülle an Dokumenten in seinem Archiv. Schon Blatman hatte den Reaktionen der deutschen Bevölkerung auf die Kolonnen der KZ-Häftlinge große Aufmerksamkeit gewidmet. Diese Perspektive hat Winter - neben anderen Aspekten wie der strafrechtlichen Verfolgung nach dem Krieg - vertieft und nun umfassend die Beteiligung der Zivilbevölkerung an dem Verbrechen erforscht. Und er hat damit auch einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des KZ Dachau geliefert.

Unabhängig davon tritt das Internationale Dachau-Komitee als Organisation mit der Vergabe des Studienpreises, über den eine prominent und international besetzte Jury entscheidet, wieder einmal in die Öffentlichkeit. Denn es war - bis auf die alljährliche Ausrichtung der Befreiungsfeier an der KZ-Gedenkstätte - etwas ruhig geworden um den so wichtigen Verband der ehemaligen KZ-Häftlinge. Zu ruhig. Das Dachau-Komitee hat wie andere Verbände von NS-Opfern mit dem Ableben der Überlebenden zu kämpfen und muss deren Nachkommen für die künftige Erinnerungsarbeit gewinnen. Es mag auch an der großen räumlichen Entfernung liegen, das Dachau-Komitee hat seinen Sitz in Belgien: Die Vereinigung nimmt, anders etwa als das Auschwitz-Komitee, nur selten Stellung zu aktuellen besorgniserregenden Entwicklungen wie dem Anwachsen des Antisemitismus in Deutschland und Europa. Dabei verfügt das Comité International de Dachau über eine einzigartige Position: Es hat einen bilateralen Vertrag mit dem Freistaat Bayern abgeschlossen, der dem Verband ein weitreichendes Mitspracherecht bei der Gedenk- und Erinnerungsarbeit der KZ-Gedenkstätte sichert. Das Dachau-Komitee ist neben der Gedenkstättenstiftung eine Säule der Geschichtspolitik in Bayern. Das muss so bleiben - und die Vergabe des Studienpreises weist in die Zukunft des Verbands.

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