Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Karlsfeld geht die Puste aus

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Die Gemeinde sieht nun die Schattenseiten des Wachstums. Einerseits kommen die Leute wegen der Jobs, die können sie aber nicht behalten, wenn die Infrastruktur nicht stimmt

Von Gregor Schiegl

Viele junge Familien zieht es nach Karlsfeld. Das ist schön, denn es gibt Landstriche in der Republik, die regelrecht aussterben, bei denen die Bevölkerung schwindet, sich Betriebe verabschieden und Häuser in bester Ortslage leerstehen und langsam verfallen. Aber wie so oft, ist auch in Karlsfeld das Gute eine Frage des richtigen Maßes. Karlsfeld ist zur Mustergemeinde geworden, wie Wachstum zur Last werden kann. Die Gemeinde erstickt im Verkehr - auch im eigenen. Die hohen Kosten für den Ausbau der Infrastruktur machen Karlsfeld zu einer "bedürftigen Gemeinde", die Almosen aus staatlichen Töpfen erhält. Und beim Ausbau der Kinderbetreuung geht es ihr wie im Märchen vom Hasen und dem Igel. Egal, wie sehr sie sich abhetzt: Sie hat keine Chance hinterherzukommen.

Für die Eltern ist das nicht nur ärgerlich, es ist existenzbedrohend. Manche kann es den Job kosten, das Dach über dem Kopf, wenn das Kind keinen Betreuungsplatz bekommt. Auch das ist eine der Schattenseiten des Wachstums. Der Siedlungsdruck hat die Mietpreise in Höhen getrieben, die man nur noch mit einem Job der gehobenen Gehaltsklasse bezahlen kann - oder zwei normalen, wie sie die meisten haben. Der Gemeinde ist kein Vorwurf zu machen. Sie hetzt wie der Hase von einem Ort zum anderen. Aber auch wenn sie stets etwas verspätet über die Ziellinie stolpert: Die Kinder kommen doch immer wieder einigermaßen gut unter.

Ende gut, alles gut? So einfach ist es natürlich nicht. Eine Kindertagesstätte im Gewerbegebiet ist eine Notlösung. Aber auch unter den Notlösungen gibt es bessere und schlechte. Diese ist zumindest akzeptabel: Die Kinder haben eine Wiese, auf der sie sich austoben können. Für die Kleinsten wird man den Nachweis erbringen, dass es in der Krippe ruhig genug ist, um schlafen zu können. Das Grundproblem aber wird bleiben: Karlsfeld wächst rasant, auch weil die alten Wohngebiete nachverdichtet werden. Steuern kann die Gemeinde das nicht mehr und stoppen schon gar nicht. Sie wird weiter rennen müssen und hoffen, dass der Zuzug nachlässt, ehe ihr die Puste ausgeht. Sonst ergeht es ihr sinnbildlich wie dem Hasen im Märchen. Der brach am Ende tot zusammen.

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Quelle:
SZ vom 08.06.2016
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