Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Gemeinsam bohren

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Ob der Karlsfelder Tunnel kommt oder nicht: Die hartnäckigen Verhandlungen der Gemeinde haben einen wichtigen politischen Prozess zur Lösung der Verkehrsprobleme in Gang gebracht

Von Gregor Schiegl

Karlsfelds Kommunalpolitiker zitieren gern den Soziologen Max Weber mit seinem berühmten Satz, Politik sei "ein starkes langsames Bohren von harten Brettern". Kein Wunder, Karlsfelds Werkstatt ist voll mit harten Brettern. Am Bau der Ortsmitte hobelten sie fast fünf Jahrzehnte. Die Idee eines Karlsfelder Tunnels verfolgen Bürger und Gemeinderäte schon seit den Achtziger Jahren. Damals schafften sie es mit ihrem Anliegen sogar in die Bedarfsplanung des Bundesverkehrswegeplans. Doch dann kam die Wende und die neuen Bundesländer mit ihren maroden Straßen; Karlsfeld musste sich hinten anstellen.

Die Not ist seitdem nicht geringer geworden. Die 20 000-Einwohner-Gemeinde erstickt im Durchgangsverkehr, die Luftschadstoffwerte an der Münchner Straße sind alarmierend. Schon allein deshalb ist es richtig, dass die Gemeinde auf eine ernsthafte Prüfung ihres Anliegens pocht - und zwar auf Grundlage realistischer Zahlen. Dass dies nach den abenteuerlichen Berechnungen des Ministeriums dank der Intervention des Verkehrsreferenten Bernd Wanka (CSU) nun nachgeholt wird, ist ein Hoffnungsschimmer für Karlsfeld. Mehr aber auch nicht. Die geschätzten Baukosten von 138,8 Millionen Euro müssen gut gerechtfertigt sein.

Voraussichtlich im Herbst wird die Entscheidung fallen, ob der Bau des Tunnels bis 2030 in Angriff genommen wird oder ob das Projekt endgültig im Papierkorb verschwindet. Es wäre schade, aber keine Katastrophe. Der Tunnel ist kein Allheilmittel. Karlsfelds Verkehrsproblem ist zu komplex, es gibt nicht die eine Lösung. Das zeigt auch das Verkehrsgutachten der Gemeinde: Nur sinnvoll aufeinander abgestimmte Teilmaßnahmen schaffen Entlastung. Und selbst das nur in begrenztem Maße. Karlsfeld ist ein chronisch Kranker; es gibt keine Aussicht auf Heilung, nur auf Linderung.

Eine positive Nachricht gibt es trotzdem. Mit ihrer Hartnäckigkeit hat die Gemeinde Verkehrsbehörden, Landkreis und Landeshauptstadt mit in ihre Werkstatt geholt. Das Brett ist immer noch hart. Aber jetzt bohren auch andere daran, und ihnen stehen Werkzeuge zur Verfügung, die Karlsfeld nicht hat. Mitstreiter gewinnen - auch das ist Politik.

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Quelle:
SZ vom 30.04.2016
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