Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Ein Akt der Verzweiflung

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Der Hungerstreik in der Karlsfelder Traglufthalle offenbart nicht nur den Frust der Flüchtlinge über die untragbare Situation in der Massenunterkunft, sondern deckt auch Kommunikationsschwächen des Landratsamts auf

Von Walter Gierlich

Es war eine Eskalation mit Ansage: Nach knapp fünf Monaten hat sich in der Karlsfelder Traglufthalle, in der fast 300 Geflüchtete untergebracht sind - viele davon von Anfang an - so viel Frustration, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit angestaut, dass der Unmut jetzt in einer hilflosen Aktion zum Ausbruch gekommen ist. Dass ein Leben auf engstem Raum in so einer Halle ohne Fenster, ohne Frischluft und ohne jegliche Privatsphäre über längere Zeit unerträglich ist, räumt mittlerweile auch Landrat Stefan Löwl (CSU) ein. Nur, was tun? Neue menschengerechte Unterkünfte kann die Behörde nicht aus dem Boden stampfen. Das dauert nun mal seine Zeit. Insofern wirkt der Hungerstreik der Hallenbewohner ein wenig wie die Trotzreaktion eines Kindes: Geschieht meiner Mutter recht, dass ich mich verbrannt habe.

Dass es aber erst die Verzweiflungsaktion der Flüchtlinge gebraucht hat, um ihnen die Sachlage zu erläutern, dass Grundstücke nicht beliebig zu haben sind, dass aber alle irgendwann die unsägliche Unterkunft werden verlassen können, ist schlimm. Der Helferkreissprecher Fabian Baur kritisiert zu Recht die mangelhafte Informationspolitik seitens des Landratsamts. So wurden den Hallenbewohnern nie die Kriterien erläutert, die dazu führten, dass einige in die komfortableren Häuser an der Karlsfelder Parzivalstraße umziehen durften. Am Donnerstag war in der Zeitung zu lesen, dass Landrat Löwl angekündigt hat, dass weitere Bewohner der Traglufthalle Karlsfeld in die neuen Container am Himmelreichweg in Dachau umziehen würden. Weder Helferkreis noch Flüchtlinge waren darüber informiert.

Und es gibt noch einen Punkt, der zu massivem Unmut unter den Flüchtlingen führt: Die Ungleichbehandlung der Asylsuchenden, die von Politikern und Behörden unterschieden werden in diejenigen, die "wirklich schutzbedürftig" sind und sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge. Dabei verlässt niemand aus Jux und Tollerei seine Heimat und begibt sich auf die lebensgefährliche Flucht durch Wüsten und über Meere. Schutz und Hilfe brauchen alle, egal, ob sie nun vor Krieg, Folter, Terror oder Hunger geflohen sind.

Schön wäre es, wenn die Aktion der Flüchtlinge dazu führte, dass das Landratsamt auf die Aufstellung der Traglufthalle im Dachauer Stadtteil Augustenfeld verzichten würde. Auf dem Grundstück könnten doch auch Häuser nach dem Vorbild der Karlsfelder Parzivalstraße errichtet werden. Aus Gründen der Menschlichkeit - und weil es auch noch viel billiger ist.

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Quelle:
SZ vom 26.03.2016
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