Kommentar:Der Hass gedeiht in der Mitte

Sinti und Roma werden in Deutschland noch immer diskriminiert. Das Dachauer Symposium hat jetzt Wege aufgezeigt, wie man den Vorurteilen gegenüber dieser Volksgruppe begegnen kann

Von Helmut Zeller

Zu einer Reise durch Deutschland im Jahr 2019 fällt einem unweigerlich das Wort Heinrich Heines ein: Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht. Nicht wenige werden in diesem Land auch ums Leben gebracht. Mindestens 169 Menschen haben seit der Wiedervereinigung die Angriffe von Neonazis und anderen Rechtsextremen nicht überlebt. Doch es ist nicht nur der gesellschaftliche Rand, wo die Politik so gerne den Hass verortet und ihm tatenlos zugesehen hat. Er gedeiht ganz prächtig in der bürgerlichen Mitte: Jeder vierte Bundesbürger ist antisemitisch eingestellt, gut ein Viertel "fremdenfeindlich" und rassistisch, wertet also Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe und Abstammung ab. Besonders betroffen sind deutsche Sinti und Roma - noch fast 75 Jahre nach dem nationalsozialistischen Genozid an ihnen. 49 Prozent wollen diese Minderheit aus den Innenstädten verbannen, 60 Prozent unterstellen ihr eine besondere Neigung zur Kriminalität (Leipziger Mitte-Studie 2018).

Auch deshalb ist den Organisationen des Symposiums Dank auszusprechen. Wieder wurde ein Thema in die Öffentlichkeit gebracht, an dem sich die Kontinuität nationalsozialistischen Denkens bis in die heutige Zeit abbildet. Die wissenschaftliche Analyse, auch des leugnenden Umgangs mit dem Völkermord an Sinti und Roma nach 1945, bietet die Grundlage, gegen den Hass auf sie vorzugehen. Die Forderung Robert Sigels nach einer Überarbeitung der bayerischen Lehrpläne ist da schon mal sehr wichtig, denn die Schüler lernen so gut wie nichts über die Verfolgungsgeschichte dieser Minderheit. Wichtig auch die Diskussion über die Vermittlung des Wissens und die dabei zentrale Frage: Wessen Erinnerung zählt. Emran Elmazi vom Dokumentations- und Kulturzentrum deutscher Sinti und Roma in Heidelberg zeigt den Weg: Etwa 200 Schulklassen besuchten jährlich das Zentrum, in dem die Betroffenen ihre Geschichte selbst dargestellt haben.

Das Symposium wirkt weit über Dachau hinaus; sollte es nicht finanziell und personell aufgestockt werden, gerade weil es auch die Funktion eines Demokratieprojekts hat? Auch für Dachau: Der Künstler und Sinto Alfred Ullrich aus dem Landkreis schaffte es, dass 2011 - vor acht Jahren erst - das Schild mit der Aufschrift "Landfahrerplatz" im Stadtgebiet verschwand. Dieses Wort war zur NS-Zeit in Gebrauch und ist ein Synonym für "Zigeuner". Ullrichs Hinweis auf den diskriminierenden Sprachgebrauch stieß zuerst auf Grenzen: "Es gelang mir nicht auf Anhieb, da wirklich Gehör zu finden."

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