Kommentar:Den Anstand wahren

Verwaltung und Ordnung müssen sein. Aber nicht zu Lasten der Menschlichkeit. Die Stimme der Ehrenamtlichen und Sozialverbände ist ein wichtiger Ausgleich zu Regeln und Vorschriften

Von Viktoria Großmann

Flüchtlinge haben nicht dieselben Rechte wie Menschen, die einen festen Wohnsitz und ein Bleiberecht in Deutschland haben. Das klingt nach einer Binsenweisheit, doch häufig ist auch den ehrenamtlichen Helfern nicht klar, wie groß die Unterschiede sind. Wie abhängig die Asylsuchenden sind von gutem Willen, Hilfsbereitschaft, Anstand und vernünftigen Gesetzen. So haben Menschen, die in staatlichen Unterkünften leben, eben kein Recht auf Unverletzlichkeit ihrer Wohnung: Flüchtlingsheime sind keine Wohnungen. Sie gelten nicht einmal als fester Wohnsitz. Jederzeit darf die Polizei ins Haus kommen, darf das Landratsamt sein Hausrecht wahrnehmen. Ein Vermieter darf nicht einfach die Wohnung seines Mieters betreten. Er darf kaum Vorschriften zur Einrichtung machen, nicht einmal das Rauchen verbieten. Die Bewohner der Container können sich kaum individuell einrichten - meistens stehen dem die strengen Brandschutzvorschriften entgegen. Nachtschränkchen, Beistelltisch, im Zweifel gar größere Topfpflanzen: verboten.

Betrachtet man das alles aus Verwaltungssicht erscheint vieles einleuchtend, weil mit Hinblick auf Gesetze, Vorschriften, Versicherungspflichten kaum anders machbar. Die Menschen sollen untergebracht werden, jemand muss das zahlen, jemand muss verantwortlich sein. Außerdem soll alles nicht von Dauer sein. Doch Gesetze und Vorschriften sind oft nicht nur mit Herz und gesundem Menschenverstand schwer in Einklang zu bringen, sondern scheitern auch gern an der eigenen Bürokratie. De facto schlafen viele Menschen sehr lange in einem Bett, das nicht das ihre ist, in einer Wohnung, in der sie nicht heimisch werden dürfen. Einige versuchen, ein geregeltes Leben zu führen, doch Ungewissheit und fehlende Rechte hindern sie.

Umso wichtiger ist es deshalb, Verwaltungszwängen und Vorschriften immer wieder mit Menschlichkeit zu begegnen. Anstand einzufordern und zu verlangen, die Würde jedes Einzelnen zu achten. So ergibt sich ein Gleichgewicht. Der Ansatz der Caritas sollte ein Leitbild sein: Nicht nach den Rechten fragen, die ein Mensch per Gesetz hat. Sondern nach denen, die ihm zustehen. Und das sind im Zweifel dieselben, die wir für uns selbst in Anspruch nehmen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: