Süddeutsche Zeitung

Der neue Stil der Grünen:Anstand in der Sprache

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Spätestens seit 2015 lässt sich eine Verrohung der Sprache in der Politik beobachten. Die Rede von Grünen-Chef Robert Habeck hingegen ist respektvoll und gemäßigt - und das ist wichtiger, denn je

von Viktoria Großmann

Wie wichtig die Wortwahl ist, hat der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck in seiner Festzeltrede in Dachau eindrucksvoll bewiesen. Nicht allein, dass Habeck kaum einmal die Stimme erhebt, sondern in gemäßigtem Ton spricht. Nicht nur, dass er sich so nah wie möglich an sein Publikum stellt, beinahe von der Bühne kippt, sich an keinem Tisch festhält und hinter keinem Pult versteckt. Habeck verzichtet auf die üblichen Gesten. Sticht nicht mit dem Finger nach seinen Zuhörern, droht nicht der Luft. Vor allem aber setzt er seine Worte umsichtig. Die Wörter Sorge, Angst, Wut, Kampf kommen fast oder gar nicht vor. Dafür Ermutigung, Freiheit, Solidarität, Demokratie. Wenn Habeck über den Umgang mit Kriminellen und Verfassungsfeinden spricht, dann sagt er "kontrollieren" und "überwachen". Er sagt nicht: bekämpfen, wegsperren, abschieben.

Spätestens seit 2015 wird eine Verrohung der Sprache in der Politik und in öffentlichen Debatten beklagt. Der Ton sei rauer geworden. Ein Ton, der ins Bewusstsein sickert, der eine Gesellschaft verändern, Ausgrenzung befördern kann. Sensible Wortwahl erscheint wichtiger denn je. Wenn von rechter Seite bewusst martialisch gedroht wird, wenn sich ein Ministerpräsident verächtliches Vokabular zulegt, wenn nicht mehr unterschieden wird zwischen einem Nicht-Schließen durchlässiger europäischer Grenzen und einer Öffnung derselben.

Was der promovierte Philosoph Habeck tut, ist keine Schönrednerei, wie sie Politikern gern vorgeworfen wird. Es ist eine bewusst freundliche und optimistische Wortwahl. Eine, die einschließt, anspricht, die Mut macht. Das ist schon ein guter Teil des Handelns, das von Rednern stets eingefordert wird. Glaubt man Habeck und anderen Grünen, dann wollen sie nichts weniger als die Rettung der Demokratie und des Anstands in der Politik. Eine respektvolle Sprache ist dafür eine unverzichtbare Grundlage.

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Quelle:
SZ vom 23.08.2018
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