Komasaufen:Diagnose "akuter Rausch"

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Laut einer Erhebung des Statistischen Landesamtes hat die Zahl der alkoholbedingten Krankenhausbehandlungen seit dem Jahr 2000 um 35 Prozent zugenommen. Immer mehr junge Leuten saufen sich ins Koma.

Rudi Kanamüller

Archivbild: Nach einer von der DAK-Gesundheit zusammengestellten Statistik bleibt das so genannte Koma-Saufen bei Kindern und Jugendlichen auf hohem Niveau. (Foto: dpa)

Es sind zwar nur nackte Zahlen, ab es sind Zahlen, die Bände sprechen: Alkoholbedingte Behandlungen im Krankenhaus haben seit dem Jahr 2000 um rund 35 Prozent zugenommen. Das geht aus einer jetzt vom Bayerischen Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung veröffentlichten Erhebung hervor. Nicht verschont von der Entwicklung ist der Landkreis Dachau: Insgesamt wurden dort im Jahr 2011 im Klinikum Dachau 400 Personen aufgrund alkoholbedingter Krankheiten behandelt. Bei 179 davon wurde die Diagnose "akuter Rausch" gestellt. Das war 2011.

Ganz aktuell, so sagt der Sprecher des Ärztlichen Leitungsgremiums der Amperkliniken, Michael Weber, auf Nachfrage der SZ, "haben wir den Eindruck, dass die Entwicklung im Landkreis etwas gegen den Trend verläuft". Er stelle dies anhand der alkoholbedingten Behandlungen besonders an sogenannten Brennpunkten wie Silvester oder Fasching fest. So seien in der Amperklinik an Fasching lediglich zwei schwer alkoholisierte 17-jährige Mädchen behandelt worden, die allerdings die Klinik schon sehr bald wieder hätten verlassen können.

Für die meisten, die aufgrund von Alkoholmissbrauch hierher kommen, sei dies eine "einmalige Sache". Weber: "Die schauen, dass sie möglichst schnell und unerkannt wieder das Krankenhaus verlassen können, weil es ja peinlich wäre, wenn man erkannt würde." Die meisten dieser Patienten würden sich "ruhig und friedlich" verhalten. Ihr einziger Wunsch: so schnell wie möglich nach Hause. Minderjährige Patienten müssten von den Eltern oder Erziehungsberechtigten abgeholt werden.

Der Ärztesprecher führt die positive Entwicklung vor allem darauf zurück, dass Krankenhaus und Behörden die nötigen Schlüsse aus gravierenden Vorfällen, die sich vor einigen Jahren im Fasching ereignet haben, gezogen hätten, wie strenge Auflagen für die Mitfahrer auf Umzugswagen. Im Klinikum Indersdorf habe man vorsorglich "Betten aufgestellt, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein". Was das Thema Alkohol-Prophylaxe betrifft, meint Weber, dass hier die "Rolle des Krankenhauses etwas überschätzt" werde. "Wir haben keinen prägenden Einfluss und können auch am Wochenende niemanden in eine Beratung vermitteln." Werde allerdings im Krankenhaus jemand häufiger alkoholbedingt vorstellig, würden schon entsprechende Anlaufstellen informiert werden.

Natürlich, sagt Weber, "gibt es auch Stammkunden, bei denen eine chronische Alkoholsucht vorliegt und die aus desolaten sozialen Verhältnissen" kämen. Generell aber gelte, wenn jemand im Krankenhaus randaliere oder das Personal gefährdet sei, "kommt die Polizei". Man schaue, dass diese Kundschaft in einer Ausnüchterungszelle ihren Rausch ausschlafen könne. Manchmal aber, so Weber, sei dies für den Arzt "ein sehr gefährliches Gebiet". Weber: "Was ist, wenn dem was zustößt?"

Aus diesem Grund würden solche Patienten auch schon mal gründlicher untersucht. Sicher ist sicher.

Wie rasant die Zahl alkoholbedingter Behandlungen im Krankenhaus in den vergangenen Jahren zugenommen hat, das verdeutlicht die Erhebung aus dem Jahr 2000. Damals wurden in bayerischen Kliniken 38 617 Menschen aufgrund übermäßigen Alkoholmissbrauchs behandelt. Zwischen dem Jahr 2000 und dem Jahr 2011 ist die Zahl der vollstationären Behandlungsfälle mit alkoholbedingten Krankheiten um 35 Prozent gestiegen.

Auf den Freistaat Bayern bezogen, wurden, so das Statistische Landesamt, im Jahr 2011 in den bayerischen Krankenhäusern 52 196 Patienten aufgrund einer alkoholbedingten Krankheit "vollstationär" behandelt. Das entspricht einer Zunahme um 1,8 Prozent gegenüber dem Jahr 2010 mit 51 266 Patienten. Das Statistische Landesamt: "Bei 22 141 Patienten - das sind rund 42,4 Prozent aller stationären Krankenhausaufenthalte - war akuter Rausch der Verursacher. Auch hier registrieren die Statistiker eine gravierende Zunahme gegenüber dem Vergleichsjahr 2010, als 21 464 Rausch-Patienten gezählt wurden.

Eine ähnlich dramatische Entwicklung zeichnet sich bei Behandlungen aufgrund eines "akuten Rausches" ab, jedoch auf höherem Niveau. Die Behandlungszahlen stiegen von 8 617 im Jahr 2000 kontinuierlich um rund 157 Prozent auf 22 141 Fälle im Jahr 2011.

Besonders häufig und kräftig haben der Statistik zufolge Jugendliche in der Altersgruppe unter 20 Jahren dem Alkohol zugesprochen. Hier sei sogar ein Anstieg der Behandlungszahlen von rund 210 Prozent zu verzeichnen. 125 der Dachauer Vollrauschpatienten waren 20 Jahre oder älter. Die Zahl der alkoholbedingten Krankenhausaufenthalte in dieser Altersgruppe wird mit 341 Patienten angegeben.

In der Altersgruppe der 15- bis unter 20- Jährigen wurden im Landkreis Dachau 53 Personen aufgrund alkoholbedingter Krankheit im Klinikum Dachau behandelt, 48 davon wegen akutem Rausch. In der Gruppe der Zehn- bis unter 15-Jährigen mussten sechs Jugendliche im Krankenhaus behandelt werden. Ursache: akuter Vollrausch.

© SZ vom 16.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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