Buchrezension:Mythen, Mönche, Powerfrauen

In seinem neuen Buch beleuchtet der Historiker Wilhelm Liebhart die lange, wechselvolle Geschichte des Klosters Altomünster.

Von Dorothea Friedrich

Schon als Kind habe er immer über die hohen Klostermauern schauen wollen, um ein wenig mehr vom geheimnisvollen Geschehen dahinter zu sehen, erzählt Wilhelm Liebhart; als Erwachsener sei er dann unzählige Male im Birgittenkloster Altomünster gewesen. Der Historiker hat sich mehr als 30 Jahre lang mit der Geschichte des die Marktgemeinde dominierenden Ensembles beschäftigt. Kürzlich ist sein Buch "Kloster Altomünster" im EOS Verlag erschienen. Gut 350 Seiten Klostergeschichte von den Anfängen bis zur Auflösung - ist das nicht nur etwas für Heimat- und Detailverliebte? Keineswegs.

Liebhart berichtet, basierend auf wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, "über 100 Jahre Benediktiner, 400 Jahre Benediktinerinnen, 500 Jahre Birgittenorden und 200 Jahre Alto und seine Nachfolger, also über 1200 Jahre Geschichte der Region". Er bringt viele kaum bekannte Fakten ans Tageslicht, macht aus der Klosterhistorie eine aufschlussreiche Reise durch die Zeit- und Geistesgeschichte vom 8. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Das beginnt schon bei den Legenden rum die Klostergründung durch den schottisch-stämmigen Alto und dessen heiligmäßiges Leben. Bemerkenswert: Als der Heilige Bonifatius dessen Bethaus weihen sollte, wollte er nach damaligem Brauch Frauen den Kirchenbesuch verbieten. Doch Alto wehrte sich erfolgreich gegen dieses Verdikt. Was hinter dieser frommen Erzählung steckt, wie schon seinerzeit Geschichtsfälschung betrieben wurde, ist spannend wie ein Krimi zu lesen. Ebenso erhellend ist die weitere Geschichte des Klosters, das über Jahrhunderte ein Hauskloster der mächtigen Welfen war.

Bis 1488 lebten zunächst Benediktiner, dann Benediktinerinnen im Kloster. Hungersnöte, Kriege und Seuchen drangen auch ins ansonsten abgeschottete klösterliche Leben ein - und führten zu ganz neuen spirituellen Erfahrungen; es war die hohe Zeit der Mystik und der Ausnahmefrauen - angefangen bei Hildegard von Bingen (1098-1179) und mit Birgitta von Schweden (1302/1303 - 1373) noch lange nicht endend. Liebhart setzt sich fundiert mit der Geschichte des Birgittenordens, seiner Gründerin und ihrer Altomünsterer Niederlassung auseinander. Entsprechend der Ordensregel lebten Mönche und Nonnen in strenger Klausur und wirtschaftlich unabhängig. Sie wurden im Laufe der Zeit sogar entscheidend für den wirtschaftlichen Aufschwung ihrer Region. Selbst in der Neuzeit, so erzählen es Altomünsterer immer noch gerne, huschten die Klosterfrauen nur ab und an in ihrer auffälligen Tracht über die Straße. Auch heute noch faszinierend ist Birgittas Organigramm der Aufgaben- und Machtverteilung in ihren Doppelklöstern: Sie schrieb ein Frauenkloster mit 60 Nonnen/Schwestern und ein Männerkloster mit 25 Mönchen/Brüdern vor.

Die Leitung hatte die Äbtissin, die auch für wirtschaftliche und rechtliche Belange zuständig war. In geistlichen Fragen waren alle Nonnen jedoch dem vom Männerkonvent gewählten Oberhaupt untertan. Dennoch, volle Frauenpower also bereits vor 700 Jahren in einer Epoche des Wandels. Was Liebhart zu der Frage führt, was die Mystikerin, achtfache Mutter, Ordensfrau und politisch engagierte Birgitta heute noch zu sagen hat. Die Antwort: Sie sei immer noch ein Vorbild, "weil sie nicht nur die Welt ihrer Epoche zu Recht kritisierte, sondern an sich selbst hohe moralische Maßstäbe anlegte und mit gutem Beispiel voranging". Ob das für alle ihre Nachfolgerinnen galt, ist bis heute in Altomünster ein beliebtes Thema. Schließlich bieten Frauen- und das bereits 1803 aufgelöste Männerkloster nebst dem schaurigen "schwarzen Gang" reichlich Stoff für Klatsch und Tratsch, wenn die Rede auf die riesige, seit vier Jahren vor sich hindämmernden barocke Anlage kommt.

Es war nach Jahrhunderten der Blütezeit ein qualvolles Sterben für das Altomünsterer Kloster. Liebhart geht im entsprechenden Kapitel nur sehr diskret darauf ein. So gab es etliche Versuche, neue Mitschwestern für die nach den strengen alten Birgitta-Regeln lebenden Ordensfrauen zu finden. 2014 weigerte sich die Priorin, Flüchtlinge im Gästehaus des Klosters unterzubringen, was zu heftigen Protesten führte und erstmals die mehr als prekäre finanzielle Lage der Gemeinschaft öffentlich machte. Der Freundeskreis "fratres et sorores ab extra" (Brüder und Schwestern von außerhalb) suchte nach neuen Nutzungsmöglichkeiten für das Gästehaus - und scheiterte grandios. "Einzelne gewannen ungünstigen und manipulierenden Einfluss auf die Klosterleitung und täuschten letztendlich die anderen Mitglieder." So verbrämt beschreibt Liebhart den Skandal um das vom damaligen Klosterdirektor Jörg Fehlner geplante Burnout-Zentrum, bei dem der seinerzeit schon abgesetzte Augsburger Bischof Walter Mixa eine undurchsichtige Rolle spielte. Doch es war zu spät: Die Voraussetzungen für eine Kongregation waren nicht mehr gegeben, da nur noch Priorin Apollonia, eine hochbetagte Mitschwester nebst der mehr oder weniger selbst ernannten Postulantin Claudia Schwarz dort lebten. Daher beschloss der Vatikan, dem der Birgittenorden direkt unterstellt ist, 2015 die Auflösung des Klosters und die Beendigung der "Einmischung Dritter".

Fünfziger Jahre

Wilhelm Liebhart.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Am 17. Januar 2017 endete schließlich die "insgesamt 1250-jährige monastische Tradition in Altomünster". Kunst- und Kulturschätze wurden inventarisiert und gingen an das Erzbischöfliche Ordinariat. Der ohnehin baulich schwer angeschlagene Gebäudekomplex rottet derzeit vor sich hin. Was daraus einmal werden soll, ist nicht nur für Liebhart die Frage aller Fragen. Er hofft immer noch auf eine Lösung, die das alte Gemäuer mit neuem Leben füllt: ein Haus der Begegnung, ein Haus der Kultur, ein Klostermuseum, Wohnungen und das alles - bildlich gesprochen - unter einem Dach. Da lohnt es sich doch, in dieser Kloster- und Geistesgeschichte die glorreiche Vergangenheit zu entdecken und womöglich Ideen für die Zukunft zu finden.

Wilhelm Liebhart: Kloster Altomünster. Geschichte und Gegenwart, EOS Verlag 2020, 360 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 29,95 Euro.

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