Süddeutsche Zeitung

Streik am Dachauer Klinikum:"Pflege wie am Fließband"

Rund 50 Mitarbeitende der Helios Amper-Kliniken in Dachau und Markt Indersdorf streiken für 10,5 Prozent mehr Lohn. Sie beklagen, dass es zu wenig Zeit und Personal gebe, um die Patienten angemessen zu versorgen.

Von Celine Seeger, Dachau

Es ist laut, als Christian Reischl, Gewerkschaftssekretär bei Verdi, das Megaphon in die Hand nimmt. Mit Trillerpfeifen und Protestschildern machen rund 50 Streikende an diesem Dienstag auf die Missstände in der Pflege der Helios Amper-Kliniken in Dachau und Markt Indersdorf aufmerksam. "Notbesetzung am Streiktag besser als im regulären Dienst" oder "Profite pflegen keine Menschen" steht auf ihren Plakaten. Auch in einigen Kindertagesstätten und im öffentlichen Nahverkehr steht die Arbeit still - zum ersten Mal seit 15 Jahren streiken auch die Busfahrer in Dachau.

Vor dem Dachauer Krankenhaus ist man wütend und aufgebracht - wie Amelia Borens-Capia, die schon seit ihrer Ausbildung im Jahr 2011 im Helios Amper-Klinikum in Dachau arbeitet, seit 2014 in der Notaufnahme: "Ich mache diese Arbeit gerne, aber es wird einem nicht leichtgemacht". Sie beklagt die mangelhafte Besetzung der Notaufnahme, die teilweise nur von zwei Pflegerinnen pro Schicht betreut werde. Mindestens drei Mitarbeitende je Schicht sollten eigentlich eingeteilt sein. Ausgerechnet heute, so Borens-Capia, habe die Klinikleitung auf eine höhere Notbesetzung der Notaufnahme bestanden als sonst.

Auch Eva Lechl-Steinhardt, die bereits seit 42 Jahren am Klinikum ist, arbeitet in der Notaufnahme. Die Arbeitsbelastung sei unglaublich hoch, so Lechl-Steinhardt. Das läge vor allem am großen Personalmangel und den vielen Krankheitsausfällen - selbst in der Pandemie-Hochphase habe sie nie eine derartige Unterbesetzung erlebt. Klinikums-Pressesprecher Martin Pechatscheck teilt dazu mit, dass aktuell keine hohen Krankenquoten festgestellt werden könnten. Eva Lechl-Steinhardt erzählt, sie habe schon unter einigen Trägern des Klinikums gearbeitet - seit Helios das Klinikum übernommen habe, so Lechl-Steinhardt, habe sich die Lage drastisch verschlechtert: "Die Arbeit ist nicht zu schaffen. Wir pflegen wie am Fließband."

"Hier geht jeder über seine Grenzen. Das ist ein Fehler im System"

Betriebsrat Martin Tobies ist ebenso frustriert. Man streike zwar für einen besseren Lohn, aber vor allem für mehr Respekt und Wertschätzung des Arbeitgebers. Viele Entscheidungen der Klinik dienten in erster Linie dazu Profit zu generieren. Eine angemessene Pflege, so Tobies, sei nur dem Einsatz der Mitarbeitenden zu verdanken: "Hier geht jeder über seine Grenzen. Das ist ein Fehler im System." Durch die Überbelastung, so Tobies, befänden sich die Mitarbeitenden oft in einer Spirale aus Stress und Druck. Nicht selten führe das auch zu psychischen Problemen oder Burnout.

Wäre die Arbeit in der Pflege höher wertgeschätzt und besser bezahlt, so würden sich laut der Pflegerin Daniela Baumgartner auch mehr Menschen für diesen Berufsweg entscheiden. So bleibe der Job jedoch unattraktiv und die viele Arbeit an den wenigen Verbleibenden hängen. Helios-Sprecher Pechatscheck betont auf Nachfrage den Einsatz des Klinikums für seine Mitarbeitenden: "Die Verbesserung von Arbeitsbedingungen ist und bleibt uns ein wichtiges Anliegen, für das wir uns kontinuierlich einsetzen." Er nennt dabei den Ausbau neuer OP-Räume sowie einen Springer-Pool zur Entlastung der Pflegekräfte. Zuletzt hatte Helios seinen Mitarbeitenden Firmen-Socken geschenkt.

Der Konzern soll versucht haben, den Streik zu verhindern

Die Gewerkschaft fordert nun 10,5 Prozent Lohnerhöhung für alle Klinikbeschäftigten außer der Ärzteschaft. Gewerkschaftssekretär Reischl rechnet aber bis Ostern mit keiner zufriedenstellenden Einigung bei den Verhandlungen. Dann werde weiter gestreikt, so Reischl, auch wenn das beim Helios-Konzern ungern gesehen werde. Laut Reischl habe der Konzern im Vorfeld versucht, den Streik der Beschäftigten an diesem Dienstag mit rechtlichen Mitteln zu unterbinden. Es hätten mehr Personen auf einzelnen Station von ihrem Streikrecht Gebrauch machen wollen als Helios zugelassen habe. "Das zeigt, dass das Klinikum das Streikrecht gering schätzt", so Reischl. Pressesprecher Pechatscheck erklärt, dass die Klinik das Recht zu Streiken als ein hohes Gut ansehe, welches auch respektiert werde. Gleichzeitig wolle die Klinik die Versorgung von Notfällen sicherstellen. "Damit auch während des Streikgeschehens die Versorgung von Notfällen sichergestellt ist, hat Verdi die Mindestbesetzung von drei Pflegefachkräften auf der kardiologischen Station anerkannt", so der Pressesprecher. Im Normalbetrieb wäre eine Regelbesetzung von vier Personen pro Schicht vorgesehen gewesen.

Mit der Forderung nach mehr Lohn und Anerkennung ihrer Arbeit bewegen sich die Krankenhausbeschäftigten schließlich in Richtung Landratsamt. Immerhin ist Landrat Stefan Löwl (CSU) stellvertretender Vorsitzender der Helios Amper-Klinikum Dachau AG und sitzt somit im Aufsichtsrat des Klinikums, an dem der Landkreis heute noch 5,1 Prozent der Konzernanteile hält.

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