Süddeutsche Zeitung

Klinikum Dachau:"Diese Pflege ist gefährlich"

Mitarbeiter im Helios Amper-Klinikum beklagen skandalöse Zustände für Patienten und Angestellte. Der Vorwurf: Kranke blieben ohne Medikamente, hungrig, ungewaschen und unversorgt. Die Klinikleitung widerspricht.

Von Jessica Schober, Dachau

Sie sind wütend - und verzweifelt. Rund 30 Mitarbeitende des Dachauer Krankenhauses haben sich am Donnerstag vor dem Helios Amper-Klinikum versammelt, um die von ihnen wahrgenommene extreme Belastung im Beruf und die Unterversorgung von Patienten anzuprangern. Auf Plakate haben sie geschrieben "Betten sperren" und "Profite pflegen keine Menschen". Aus unterschiedlichen Abteilungen sind sie am internationalen Tag der Pflege zu einer sogenannten "Aktiven Mittagspause" zusammengekommen. Die Zustände, die sie in dem privaten Dachauer Krankenhaus beschreiben, an dem auch der Landkreis Anteile hält, klingen haarsträubend.

Eine Krankenschwester, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, erzählt von Patienten, die nicht gewaschen oder gefüttert werden könnten, weil die Zeit dafür nicht reiche. Manche Kranke bekämen ihre Medikamente nicht rechtzeitig. Auf manchen Stationen müssten Coronakranke zusammen mit Covid-Negativen behandelt werden. "Diese Pflege ist gefährlich", sagt die Frau, die Repressalien ihres Arbeitgebers befürchtet. "Wir haben hier viel zu wenig Personal und eine schlechte Bezahlung. Ich wünsche mir mehr Respekt und Wertschätzung", sagt der Krankenpfleger Moritz Kutsch. "Das Problem ist seit Jahren bekannt, aber es ändert sich nichts." Seine Kollegin Bettina Timo ist als Physiotherapeutin im Helios Amper-Klinikum angestellt. Sie sei zur Unterstützung der Pflegekollegen bei der Kundgebung mit dabei, sagt sie. "Wir sehen ja im ganzen Haus, dass von der Pflege nicht mehr viel übrig ist."

Bei Krankheitsausfall ist eine Pflegekraft für 40 Patienten zuständig

In einer Rede ruft Krankenpfleger Matthias Gramlich vor dem Klinikeingang durchs Megaphon: "Hier in Dachau wird die Grenze des Erträglichen durchgehend überschritten. Es ist jegliches Maß verloren gegangen, was menschlich leistbar ist. Und gleichzeitig ist man bedacht darauf, dass Missstände nicht nach außen dringen. Wir sollen dazu schweigen, dass wir mit zwei Pflegekräften und einer Pflegehilfskraft über 40 Patienten betreuen. Wenn es einen Krankheitsausfall gibt, dann ist manchmal eine Pflegekraft mit 40 Patienten allein."

Die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte sind nach übereinstimmenden Aussagen der versammelten rund 30 Menschen hart. "Wir sollen laufend Dienste tauschen, einspringen und werden oft in der freien Zeit angerufen. Wir können unsere Pausen nie am Stück nehmen", sagt Gramlich. Im Winter sei die Intensivstation mit Covid-Patienten "komplett überbelegt und die Kollegen dort komplett überlastet" gewesen. Seit Omikron die dominante Variante sei, treffe es vor allem die Covid-Station, zu der Pflegekräfte von anderen Station ad hoc abgezogen worden seien.

Der Vorwurf: Corona-positive Patienten würden kaum mehr isoliert behandelt

Der Infektionsschutz könne bei der Überlastung kaum mehr gewährleistet werden, beklagen mehrere Pflegekräfte unisono. "Wir sollen jetzt auch dazu schweigen, dass wir negative und positive Patienten gleichzeitig betreuen müssen. Es sollen immer noch mehr Patienten hier durchgeschleust werden", ruft Gramlich in das Megaphon. Der Druck auf die Beschäftigten steige, während der Helios-Konzern, der nach eigenen Angaben deutschlandweit mehr als 75 000 Mitarbeitende beschäftigt, einen Umsatz von 6,7 Milliarden Euro im vergangenen Jahr erwirtschaftete. Gramlich sagt: "Während Krankenhäuser in anderen Landkreisen Defizite machen, fährt dieser Konzern hier einen schönen Gewinn ein - dabei sind wir es, die diesen Laden am Laufen halten."

Eine konkrete Forderung der demonstrierenden Mitarbeiter lautet daher: "Betten sperren bei Unterbesetzung oder eine Mindestbesetzung gewährleisten." Insbesondere im Vergleich zu den Krankenhäusern in Fürstenfeldbruck oder dem Landkreis München, würde das Helios Amper-Klinikum erst sehr spät das Erreichen seiner Kapazitätsgrenze an die Rettungsleitstelle melden, so Gramlich. Er stellte einen bildhaften Vergleich an: "Das ist, als würde man in einer Kfz-Werkstatt vier Hebebühnen betreiben, aber nur einen Mechaniker einstellen." Ohne entsprechendes Personal könne man keine Krankenhausbetten zur Verfügung stellen.

Das Klinikum widerspricht. Es handle sich, so die Kliniksprecherin Pia Ott, um "Vorwürfe Einzelner, die nicht den Tatsachen entsprechen und die von dem Großteil der Belegschaft nicht geteilt werden". Insgesamt kümmerten sich 500 Pflegekräfte in den Helios-Kliniken Dachau und Indersdorf um die Patienten. Am Tag der Pflege habe sich die Klinikleitung bei einem mehrstündigen Rundgang persönlich bei den Pflegekräften bedankt. Auf einem Foto sieht man Mitarbeitende gemeinsam mit ihren Vorgesetzten, die offenbar geschenkte Socken mit dem Helios-Logo in die Kamera halten. Dazu die Sprecherin: "Diese persönliche Geste kam bei unseren Mitarbeitenden sehr gut an."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5583832
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/jala/gsl
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.